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Ministerpräsident im zweiten Anlauf: Reiner Haseloff (CDU) schwört den Amtseid

© Ronny Hartmann/dpa

Abweichler brüskieren Reiner Haseloff: Ein rechter Spuk in Magdeburg

Reiner Haseloff bekommt bei der Ministerpräsidentenwahl einen Denkzettel, der weniger ihm als Armin Laschet zu schaffen machen könnte. Eine Analyse.

Von Robert Birnbaum

Reiner Haseloff will jetzt erst mal gar nichts sagen. Eigentlich ist es auch in Sachsen-Anhalt Brauch, dass der frisch vereidigte Ministerpräsident ein paar Worte an den Landtag richtet. Aber Haseloff bleibt stumm auf seinem Sessel in der Regierungsbank sitzen.

Dabei liegt dem CDU-Politiker mit Sicherheit einiges auf der Zunge. Im Juni triumphal die Landtagswahl gewonnen, geräuschlos die erste schwarz-rot-gelbe Koalition der GeRepublik geschmiedet mit einer satten Mehrheit – und dann lassen ihn acht Abweichler im ersten Wahlgang hängen!

Ahnen konnte Haseloff, dass er wie schon 2016 wieder nicht ohne Denkzettel ins Amt kommen würde. Er habe damit sogar gerechnet, sagt er hinterher. Doch zwei Wochen vor der Bundestagswahl erwarteten eigentlich viele in Magdeburg, dass sich selbst Haseloff-Hasser zusammenreissen.

Aber die Truppe, die sofort jeder als Verdächtige in den Blick nahm, hat mit dem eigenen Kanzlerkandidaten auch nichts am Hut. Armin Laschet erteilt genau der Art von Zusammenarbeit mit der AfD eine klare Absage, die ein Rechtsaußen-Flügel der sachsen-anhaltinischen CDU mal mehr, mal weniger verdeckt anstrebt. Dass der Schlag gegen Haseloff den Bundes-Kandidaten mit trifft, dürfte diesem Flügel egal sein, wenn nicht sogar recht.

Und es war ein harter Schlag. Das Bündnis aus CDU, SPD und FDP hat im Landtag 56 Sitze. Haseloff hatte extra die FDP mit ins Boot geholt, weil ihm die Ein-Stimmen-Mehrheit einer großen Koalition allein zu unsicher war. 49 Stimmen für den Ministerpräsidenten hätten im ersten Wahlgang genügt.

Nur 48 kamen zusammen. Die Abweichler hatten sich auch nicht einfach enthalten. Sie stimmten mit Nein.

Sitzungsunterbrechung, Krisentreffen der CDU-Fraktion.

„Da werden noch alte Rechnungen bezahlt“, sagt AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner im MDR-Studio. Eine Linken-Abgeordnete twittert, sie habe gerade Holger Stahlknecht den Landtag verlassen sehen – lächelnd.

Haseloffs einstiger Kronprinz hätte in der Tat noch eine Rechnung offen. Haseloff hatte ihn als Innenminister 2020 wegen Illoyalität gefeuert, als Stahlknecht in die Koalitionskrise um die Rundfunkgebühren hinein per Interview den Koalitionsbruch und eine CDU-geführte Minderheitsregierung ins Spiel brachte.

Ex-Minister, Ex-Parteichef: Holger Stahlknecht (CD) nach der Stimmabgabe
Ex-Minister, Ex-Parteichef: Holger Stahlknecht (CD) nach der Stimmabgabe

© imago images/Jan Huebner

Stahlknecht zog sich dann auch vom CDU-Vorsitz zurück. Seinen Wahlkreis gewann er im Juni wieder klar. Als Leitfigur für eine Rechtsverschiebung Richtung AfD sah sich der kantige Hannoveraner missverstanden.

Für alle, die genau diese Verschiebung propagieren, war die Landtagswahl insgesamt ein Rückschlag. Haseloff holte mit einem scharfen Anti-AfD-Kurs sensationelle 37,1 Prozent und bescheinigte damit indirekt der eigenen Rechts-Truppe, dass sie bei den Wählern kaum Rückhalt hat.

Ein Racheakt aus dieser Ecke lässt sich natürlich nicht beweisen. „Ich betreibe als guter Demokrat keine Ursachenforschung“, wehrte CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt ab und verwahrte sich gegen „Legenden“.

Tatsächlich halten es manche in Magdeburg für möglich, dass neben den üblichen CDU-Verdächtigen auch einige Sozialdemokraten ihren Frust ausgelebt haben. Die SPD, bei der Landtagswahl auf 8,4 Prozent dezimiert, musste unter anderem das Wirtschaftsministerium an die CDU abgeben. Das ist in der Landespolitik ein zentrales Ressort zur Verteilung von Wohltaten.

Haseloff selbst nannte alle Mutmaßungen „Stochern im Nebel“, stochert aber selber mit: Der Start einer solch ungewöhnlichen Koalition mitten im Bundestagswahlkampf sei aber naturgemäß von „bundespolitischen Implikationen“ mit geprägt, betont er: „Eine landespolitische Entscheidung ist nie davon abgekoppelt, was bundespolitisch läuft.“

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Als der frischbackene Ministerpräsident im MDR-Studio erste Bilanz zieht - und bei der Gelegenheit klarstellt, dass er im Landtag später doch noch reden wird -, ist der Spuk für ihn seit ein paar Minuten vorbei. Um 12:18 Uhr verliest Landtagspräsident Gunnar Schellenberger das Ergebnis des zweiten Wahlgangs.

Der CDU-Mann leitet schon die ganze Sitzung recht eigenwillig - „'Ja' könnse dann ankreuzen“, hatte er geknarzt, als er diese Abstimmung freigab, aber dann doch lieber angefügt: „Sollten Sie was andres ankreuzen, könn' sie das auch.“ Jetzt steigt Schellenberger eigens vom Präsidentenstuhl herab ans Rednerpult. Er reckt rasch den Daumen hoch Richtung Haseloff.

53 Ja-Stimmen diesmal. Zwei oder drei Koalitionäre haben offenbar wieder mit Nein gestimmt, eine Enthaltung kommt neu dazu. Trotzdem, es reicht.

Als Auftakt zu einem Rumpelbündnis im Land will Haseloff den Vormittag nicht werten. „Sie glauben doch nicht, dass ich mir das vorgenommen hätte, wenn ich mir das nicht zutraute“, raunzt er.

Auch die Partner SPD und FDP wiegeln ab. SPD-Fraktionschefin Katja Pähle versichert: „Das ist jetzt nicht der richtige Moment, ins Wahlkampfgetöse der Bundestagswahl einzustimmen.“

Das lässt aber auch so nicht auf sich warten. Es brauche keinen Wagemut zu erraten, wer die Abweichler waren, twittert der Grüne Reinhard Bütikofer. „Die Brandmauer gegen die AfD hat erhebliche Lücken.“ Armin Laschet gratuliert, ohne die schwere Geburt zu erwähnen: „Viel Erfolg mit deiner neuen Koalition und eine gute Zukunft für euer Land zum Wohle der Menschen.“ Was soll er auch sagen zu den „bundespolitischen Implikationen“?

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