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Schwieriges Verhältnis. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (l.) führt mit seiner ÖVP ein Regierungsbündnis mit den Grünen und deren Chef Werner Kogler.

© AFP

Afghanistan-Krise: Warum Österreichs Grüne an der Macht verzweifeln

Parteiaustritte und eine Demo gegen den Regierungspartner: Österreichs Grüne hadern mit der Afghanistanpolitik und dem Umgang von Kanzler Kurz mit Flüchtlingen.

Es ist ein Satz aus der Kategorie Basta-Politik, mit dem Sebastian Kurz am Sonntagabend im TV-Sender Puls 24 jede Diskussion um die Aufnahme von Afghanen in Österreich beendete: „Ich bin klar dagegen, dass wir jetzt freiwillig mehr Menschen aufnehmen – das wird’s unter meiner Kanzlerschaft auch nicht geben.“

Das kategorische Nein kommt wenig überraschend; seit der Flüchtlingskrise 2015 verfolgt der damalige Außenminister Kurz eine strikte Anti-Migrationspolitik, mit der er seine ÖVP und das Land nach rechts gerückt hat. Der 34-Jährige kann sich dabei auf die Unterstützung seiner Wählerschaft und seiner Partei verlassen – seinen Koalitionspartner von den Grünen stürzt die aktuelle Debatte aber in die nächste Sinnkrise.

„Die grüne Politik mit all den Argumenten und Nichthaltungen erreicht nicht mehr mein Herz“ - mit diesen Worten begründete die ehemalige Spitzenfrau der Wiener Landespartei, Birgit Hebein, am Wochenende ihren Austritt aus der Partei. In ihrem Statement auf Facebook geht sie sowohl mit der ÖVP als auch mit der eigenen Partei hart ins Gericht: Kurz führe das Land auf einen „autoritären Kurs“, die Grünen ließen klare Haltung und den Einsatz für Menschenrechte vermissen.

Dabei war Hebein noch Ende 2019 eine der Architektinnen der unwahrscheinlichen Liaison zwischen der rechtskonservativen ÖVP und den Grünen. Sie verhandelte das Regierungsübereinkommen mit, das unter dem Motto „Das Beste aus beiden Welten“ die tiefen Gräben zwischen den Parteien überbrücken sollte. Ein „gewagter Versuch“, wie Hebein nun schreibt, der immer wieder gescheitert sei: „Damit haben wir Hoffnung zerstört.“

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Die Entfremdung der ehemaligen Spitzenfrau von der Partei dürfte auch persönliche Motive haben – sie hatte sich nach internen Streitigkeiten Ende 2020 aus der aktiven Politik zurückgezogen. Trotzdem trifft ihre Kritik an „passiven“ Grünen einen wunden Punkt der Partei: In der Asyl- und Migrationspolitik beansprucht Kurz’ ÖVP seit Tag eins die Handlungshoheit, mit Erfolg. Machtlos mussten die Grünen mitansehen, wie sich Kurz im Herbst 2020 gegen die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria stemmte, im Januar dieses Jahres konnten sie die umstrittene Abschiebung einer Zwölfjährigen mit ihrer Familie nach Georgien nicht verhindern.

Die Parteispitzen verlieren zum Austritt Hebeins kein Wort, Unterstützung erhält sie nur aus den Reihen der Wiener Grünen, etwa der Gemeinderätin Viktoria Spielmann: „Es bricht mir das Herz, wo sich unsere Partei hin entwickelt“, schrieb sie auf Facebook. Spielmann gehört zu den wenigen aktiven Politikerinnen, die sich regelmäßig Luft machen über die bundespolitischen Verrenkungen. Die Wiener Landespartei organisiert am Dienstagabend auch zusammen mit NGOs und linken Parteien eine Demonstration gegen die eigene Regierungspolitik. Die Forderungen: Abschiebungen nach Afghanistan stoppen, Menschen evakuieren, Innenminister Karl Nehammer absetzen.

Kurz' Botschaft lautet: Genug ist genug

Der ÖVP-Mann und Vertraute von Kurz ist auch in der Afghanistan-Krise seinem Ruf als Hardliner gerecht geworden: Als die Taliban die Vororte von Kabul erobert hatten, tönte er noch in Interviews, man müsse „so lange abschieben, wie es geht“. Dafür plante der Ex-Soldat Abschiebezentren in den Nachbarländern.

Der Kanzler urlaubte in den Tagen der Machtübernahme der Taliban in Kroatien, erst am Sonntag äußerte er sich zum ersten Mal: Die Lebensbedingungen in Afghanistan seien „furchtbar“, die neuen Machthaber „grausam“, trotzdem plädiere er für „Hilfe vor Ort“. Immer wieder weisen der Kanzler und seine Parteifreunde darauf hin, dass Österreich im EU-Vergleich überproportional viele Afghanen aufgenommen hat, rund 40 000 sind ins Land gekommen, nur Schweden und Deutschland haben größere Communities. Seine Botschaft: Genug ist genug.

Die grüne Parteispitze schweigt laut

Dass Österreich nicht einmal ein kleines Kontingent ins Land holen will, kommentierte der Migrationsexperte Gerald Knaus im ORF mit scharfen Worten: „Ich finde es schade, dass die Politik der österreichischen Regierung die Politik der AfD ist – kein Signal, niemanden nehmen.“ Nur weil ein paar hundert besonders gefährdete Menschen aufgenommen würden, würden sich nicht gleich Zehn- oder Hunderttausende auf den Weg machen.

Die grüne Parteispitze schweigt auffallend laut, von Vizekanzler Werner Kogler abwärts. In einem schriftlichen Statement fordert er eine „europaweite Initiative zur humanitären Aufnahme von Schutzsuchenden“ und die „sofortige Evakuierung all jener, die um ihr Leben fürchten müssen“. Es wirkt wie ein Eingeständnis: In Wien kommen wir beim eigenen Koalitionspartner nicht weiter, jetzt liegen die Hoffnungen auf Brüssel.

Am Montag brach zumindest Oberösterreichs Grünen-Chef Stefan Kaineder aus der Schweigespirale aus, mit einem Angriff auf Kurz: „Seine Aussagen sind eigentlich ein Schaden für die Republik Österreich, weil sie ein Stück unseriös sind“, sagt er bei Puls 24. „Die Republik Österreich nimmt Asylanträge entgegen, dazu ist sie auch verpflichtet.“ Ein Alleingang, der sich mit Kaineders persönlichem Dilemma erklärt: Er muss Ende September in Oberösterreich Wahlen ausfechten – und die grüne Kernklientel wärmen.

Christian Bartlau

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