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Kein Problem der Christsozialen - jedenfalls nicht nur: Zu viel Sprit fließt an vielen Polit-Stammtischen.

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Alkoholsucht in der Politik: Es muss viel passieren, bis etwas passiert

Alkohol und Politik – der Fall des CDU-Abgeordneten Andreas Schockenhoff ist nicht der erste. Das Problem ist verbreitet.

Rainer Ortleb hat es damals nicht gewagt. Vor seinem Zusammenbruch klagte der einstige Bundesbildungsminister zwar ungewöhnlich offen über seine Gefühle, die Fremdheit und Einsamkeit des ostdeutschen Politikers im Bonner Politikgetriebe. Das Tabu, sein offensichtliches Alkoholproblem zu benennen, brach jedoch erst die "Bild"- Zeitung – nach Ortlebs Rücktritt im Februar 1994 "aus gesundheitlichen Gründen".

Nicht nur der FDP-Politiker, auch seine Parteifreunde reagierten „nahezu panisch auf jede Erwähnung von Trinkproblemen“, notierte der ebenfalls alkoholkranke „Spiegel“-Reporter Jürgen Leinemann. Und beschrieb es als „Tragik des Hilfsbedürftigen, dass alle hilfsbereit weggucken“. Die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sprach von Überforderung, Kanzler Helmut Kohl verwies darauf, dass viele Politiker bis an die Grenzen belastet seien.

17 Jahre später. Das Problem ist immer noch da, das Tabu auch. Und wieder steht einer im Rampenlicht deswegen. Doch Andreas Schockenhoff, seit 21 Jahren Bundestagsabgeordneter der CDU, seit 2005 Fraktionsvize, ging einen Schritt weiter. „Mir ist bewusst, dass ich alkoholkrank bin“, teilte der Außenpolitiker nun in einer persönlichen Erklärung mit. Und dass er sich deshalb „in den nächsten Tagen in ärztliche Behandlung und stationäre Therapie“ begeben werde.

Hat da einer endlich beherzt die Tür aufgestoßen? Bekommen wir jetzt eine ehrliche Debatte mit Signalwirkung, vergleichbar dem Depressions-Outing des Fußballers Sebastian Deisler? Über die Brutalität des politischen Geschäfts, den Erfolgsdruck, die Angst vor Versagen, Absturz und Skandalen, die pausenlose Überforderung? Und darüber, dass es hierzulande mehr als 1,3 Millionen Alkoholabhängige und fast zehn Millionen Gefährdete gibt?

Experten loben den Vorstoß. "Sehr mutig" seien Schockenhoffs Äußerungen, finden sie bei der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. Mit dem Eingeständnis habe der Politiker ein Signal gesetzt, die Sucht als Krankheit zu begreifen und Hilfe in Anspruch zu nehmen, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Doch auch bei Schockenhoff musste es weit kommen, bis er so weit war. Am vergangenen Donnerstag teilte die Staatsanwaltschaft Ravensburg mit, dass sie gegen den 54-Jährigen ermittelt. Wegen des Verdachts der Unfallflucht und Trunkenheit am Steuer. Schockenhoff hatte nach einem Fest im Oberschwäbischen mit dem Auto ein parkendes Fahrzeug gerammt. Eine spätere Blutprobe ergab über zwei Promille. Schockenhoff gab an, zu Hause weitergetrunken zu haben. Doch 1,1 Promille seien es "zum Tatzeitpunkt" allemal gewesen, meinen die Ermittler. Und nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" war Schockenhoff bereits 1995 und 1998 alkoholisiert am Steuer erwischt worden.

Er war nicht der Erste. Der CDU-Politiker Heinrich Lummer wurde 1996 mit 1,96 Promille aus dem Verkehr gezogen. Die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann trat im Februar 2010 nach einer Trunkenheitsfahrt zurück. Die Grünen in Berlin verloren aus demselben Grund vor kurzem ihren Wahlkampfchef André Stephan. Und der frühere CSU-Politiker Otto Wiesheu verursachte 1983 unter Alkohol einen Unfall, bei dem ein Mann starb.

Politik und Alkohol, ein altes Gespann. Joschka Fischer nannte den Bundestag 1983 eine "unglaubliche Alkoholikerversammlung". Franz-Josef Strauß, Willy Brandt – auch die "Großen" hatten ihr Problem. Die angeschickerten Auftritte der FDP-Politiker Detlev Kleinert im Bundestag (1994) und Heinrich Heidel im hessischen Landtag (2009) gehören zu den Lachnummern auf "Youtube". Und Ex- Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) beschrieb dem "Spiegel" noch im Februar das Dilemma. Er habe „Kolleginnen und Kollegen durch den Alkohol sterben sehen“. Das habe „mit der Einsamkeit des Politikers zu tun“. Er könne sich aber auch "an keinen sogenannten parlamentarischen Abend eines Verbandes, einer Botschaft, einer Lobby erinnern, bei dem das Alkoholangebot nicht reichhaltig war".

CDU-Bundestagsabgeordneter Andreas Schockenhoff hat seine Alkoholsucht eingestanden.
CDU-Bundestagsabgeordneter Andreas Schockenhoff hat seine Alkoholsucht eingestanden.

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Bis zu seinem Crash hat sich Schockenhoff verhalten wie alle seine Vorgänger: Nichts sagen und hoffen, dass keiner was merkt. Dabei waren die Probleme des früheren Studienrats bekannt – und nicht nur engen Weggefährten. Der Tod seiner ersten Frau, fünf Kinder, Scheidung von der zweiten Frau im Frühjahr, die Karriere in Berlin – er sei "privat und gesundheitlich sehr gefordert" gewesen, erklärt der Politiker. Er entschuldigt sich bei allen, die er "schwer belastet" habe. Und hofft wohl, die Sache unbeschadet zu überstehen.

Für seine politische Arbeit bedeute das alles "überhaupt nichts", versichert der Abgeordnete, die Therapie habe er in die Sommerpause gelegt. Und dass er im Herbst den Bezirksvorsitz Württemberg- Hohenzollern abgibt, sagt ein Sprecher, sei seit Monaten entschieden. Gut möglich, dass Schockenhoff die Dimension seines Problems noch immer nicht erkennt. Doch ein Politiker, der seine Sucht einräumt, in den Griff bekommt und nicht davongejagt wird – auch das wäre ein Signal.

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