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Angela Merkel: Mit vollem Rucksack in die Sommerpause

Angela Merkel zieht am Mittwoch eine erste schwarz-gelbe Bilanz. Danach geht sie in Urlaub. Welche Probleme nimmt sie mit in die Ferien?

Am Mittwoch tritt eine angeschlagene, urlaubsreife Regierungschefin vor die Bundespressekonferenz. Angela Merkel wird wohl trotz miserabler Umfragewerte und trotz anhaltender Streitigkeiten in ihrer Koalition eine positive Bilanz ihrer Arbeit ziehen. Tatsächlich ist sie Antworten auf zentrale Herausforderungen bislang schuldig geblieben.

Sparpaket

Auch wenn Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) seine Kritik an Teilen des Sparpakets als „normales Verfahren“ im Rahmen der Ressortabstimmung herunterspielt, sorgt er doch für Ärger in der Koalition. Es sei „nicht hinnehmbar“, kritisiert Unions-Fraktionsschef Volker Kauder, dass Regierungsmitglieder wenige Tage nach der Entscheidung zum Sparprogramm dieses Konzept „schon wieder kleinreden“. Als Beispiel nannte er die Luftverkehrsabgabe. „So etwas geht nicht. Das fördert nicht die Glaubwürdigkeit dieser christlich-liberalen Koalition“, sagte Kauder der Onlineausgabe des „Focus“. Brüderles Ministerium hatte in den vergangenen Tagen davor gewarnt, dass die Einführung der Luftverkehrsabgabe zum Minusgeschäft werden könne, wenn viele Passagiere auf ausländische Flughäfen auswichen. Vorbehalte äußerte Brüderle außerdem gegen den Abbau von Ausnahmen bei der Ökosteuer, durch den das Finanzministerium sich Einsparungen in Höhe von einer Milliarde Euro erhofft. Betriebe mit hohem Stromverbrauch müssten dadurch deutlich mehr Ökosteuer zahlen, moniert er.

Das Sparpaket, das sich derzeit in der Abstimmung zwischen den Ministerien befindet, soll bis Ende des Jahres beschlossen werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bekräftigte am Montag nach Angaben von Teilnehmern in der CDU-Präsidiumssitzung, dass die Sparziele eingehalten werden müssten. Für Diskussionen dürfte die Forderung von zahlreichen CDU-Politikern sorgen, im Zuge der parlamentarischen Beratungen mehr soziale Balance in das Sparpaket zu bringen.

Steuern

Für die FDP war die Nachricht ernüchternd: Auf „absehbare Zeit“ seien keine Steuersenkungen möglich, zumindest nicht vor 2013, verkündete die Bundeskanzlerin im Mai, einen Tag nach der schwarz-gelben Niederlage bei der NRW-Wahl. Die Liberalen mussten sich den Realitäten des Bundeshaushalts beugen und von ihrem zentralen Wahlkampfversprechen verabschieden. Umso mehr betont die FDP nun, dass es bei der für den Herbst geplanten Überprüfung der Mehrwertsteuer zu Vereinfachungen kommen müsse. In der zweiten Septemberhälfte soll sich eine Regierungskommission mit den Ausnahmeregeln bei der Mehrwertsteuer beschäftigen. Doch auch hier warnt Schäuble den Koalitionspartner vor zu großen Erwartungen. Von den 23 Milliarden Euro, die der Staat bei einer Anhebung der reduzierten Mehrwertsteuer auf den vollen Satz mehr einnehmen würde, entfielen allein 17 Milliarden Euro auf Nahrungsmittel – und die will in der Koalition keiner ernsthaft verteuern. Die FDP sieht in der Debatte aber auch die Chance, sich vom Image der „Mövenpick-Partei“ zu befreien. Die isolierte Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen sei ein Fehler gewesen, räumte FDP-Generalsekretär Christian Lindner vor kurzem ein.

Energie

Aus der schnellen Vereinbarung über Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken ist nichts geworden. Die Koalition wollte die Wahl in NRW nicht mit einer Atom-Debatte belasten. Dann brach der Streit offen aus: Sollen die Kernkraftwerke vier, zwölf, 20 oder gar 28 Jahre länger laufen? Soll die Brennelementesteuer eine Kompensation für längere Laufzeiten sein oder auf alle Fälle kommen? Wie weit geht der Einfluss des Bundesrates? Der Riss geht mitten durch die Union. Das energiepolitische Gesamtkonzept wird nun voraussichtlich erst im November fertig. Harte Zeiten kommen auf die Koalition zu, die auch eine Laufzeitverlängerung von nur wenigen Jahren einer kritischen Öffentlichkeit verkaufen muss. Die Opposition will alle rechtlichen Mittel zur Verteidigung des Atomausstiegs ausschöpfen und die Bürger zum Protest mobilisieren.

Gesundheit

Pro forma gibt es eine Einigung – auf höhere Beiträge, stärkere Belastung von Arbeitnehmern und ein paar Sparmanöver. Aber wirklich einig sind sich die Koalitionäre natürlich nicht geworden, dafür waren sie inhaltlich zu weit auseinander. So gibt es intern längst Wetten darauf, wann der wüste Streit zwischen CSU und FDP über Kopfpauschale, Zusatzbeiträge und Co. wieder losbricht und ob der künstliche Frieden wenigstens über die Sommerpause hält. „Harmonie im Falschen ist der schlechteste Wegbegleiter“, stellte CSU-Chef Horst Seehofer klar – und das lässt nichts Gutes ahnen. Hinzu kommt, dass die Bayern den Hausärzten entgegenkommen wollen. Die laufen momentan Sturm gegen Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP), weil dieser ihnen die erhofften Honorarzuwächse über so genannte Hausarztverträge begrenzen will. „Der Bundesgesundheitsminister sollte nicht gegen die Hausärzte, sondern für eine gute Gesundheitspolitik streiten“, bollert der CSU-Chef Richtung Berlin – und stellt damit wieder das vereinbarte Sparpaket in Frage, mit dem Rösler alle ein wenig belasten und das Kassendefizit von voraussichtlich elf Milliarden Euro im kommenden Jahr ausgleichen wollte. Nach dem Sommer muss die Einigung in Gesetzesform gegossen werden, an den Details wird es noch Kritik geben. Die Kanzlerin indessen macht aus der Not eine Tugend. Sie will, wie sie über die Zeitschrift „Bunte“ kundtat, den Sommer für tiefere Einblicke in die Materie nutzen und das Gesundheitswesen persönlich erkunden – mit Einblicken in die Nöte und Probleme von Ärzten, Pflegern und Patienten, wie sie sagt. Außerdem wolle sie wissen, wie das System funktioniert und nach welchen Maßstäben das Geld verteilt wird. Ob man daraus schließen muss, dass Merkel das bisher nicht wusste und die nötige Reform auch deshalb nicht vorankam? Auf jeden Fall ist es ein Signal, das leidige Thema zur Chefsache zu machen.

CDU

Der Regierungspartei CDU steht ein ungemütlicher Sommer bevor. Die Funktionäre sind unzufrieden mit der Leistung der eigenen Regierung, manche schämen sich sogar für ihr miserables Bild. Parteifreunde haben den Führungsstil Merkels zum Thema gemacht – mit Ratschlägen oder der hinterlistigen Warnung, die Autorität der Kanzlerin infrage zu stellen. Der Abgang von sechs erfahrenen CDU-Regierungschefs in nur zehn Monaten vermittelt den Eindruck eines „Erosionsprozesses“, wie ein CDU-Präsidiumsmitglied sagt. Merkel muss sich die Frage stellen lassen, warum sie starke Persönlichkeiten in der CDU nicht binden kann. Von ihren vier Stellvertreterposten in der Partei ist mit Annette Schavan nur noch einer besetzt. Die Vorsitzende muss schnell ein ausgewogenes Personalpaket für die Parteispitze schnüren, das die Parteiflügel überzeugt und keinen Anlass für neuen Streit liefert. Ob daraus neue Bindung entsteht, ist fraglich: So lange Merkel bei Wahlen und in Umfragen erfolgreich war, nahm die CDU es hin, dass sie die Identität und den Markenkern der Partei nicht pflegte. In der Krise werden die Fragen nach der Kernbotschaft und dem unverwechselbaren Überzeugungen der Parteivorsitzenden lauter. Das Problem: Sich neu erfinden kann die Pragmatikerin im Kanzleramt nicht. Also muss sie auf Zeit spielen.

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