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Proteste in Teheran im September.

© Foto: dpa/Uncredited

Update

Nach Auflösung der Sittenpolizei: Iran plant Untersuchungsausschuss zu Protesten – ohne Protestvertreter

Eine Untersuchung der Regierung soll die Gründe für die Proteste im Iran klären. Davon ausgeschlossen: die Demonstranten selbst.

In einem ungewöhnlichen Schritt hat der Iran die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses angekündigt, der die Gründe für die seit mehr als zwei Monaten andauernden Proteste im Land klären soll. Allerdings sollen weder Demonstranten oder Systemkritiker noch andere politische Parteien daran teilnehmen, erklärte Innenminister Ahmad Wahidi laut Nachrichtenagentur Ilna am Sonntag.

Die Protestierenden hätten keine Vertreter, „außerdem hatten wir es mit Krawallmachern und Unruhestiftern und nicht Demonstranten zu tun“, sagte Wahidi demnach zu den Gründen für den Ausschluss der Protest-Vertreter. Dem Minister zufolge gehe es in dem Untersuchungsausschuss darum, „die Wurzeln der Proteste zu erkunden und daher werden nur relevante Behörden und unabhängige Juristen an den Diskussionen im Ausschuss teilnehmen“, hieß es weiter.

Irans Präsident Ebrahim Raisi plante bereits seit längerem als eine Art Versöhnungsgeste ein Forum, um auch mit Kritikern die seit mehr als zwei Monate andauernden Proteste im Land zu diskutieren und Differenzen auszuräumen. Kritiker gaben allerdings zu bedenken, dass eine Untersuchung der Proteste ohne Teilnahme von Protestvertretern oder Oppositionspolitikern keine konstruktiven Ergebnisse erzielen würde. Manche bezeichneten den Vorschlag als „absurd“.

Iranische Sittenpolizei aufgelöst – Regimekritiker reagieren verhalten

Nur wenige Stunden davor hatte Teheran verkündet, die Sittenpolizei aufgelöst zu haben. Diese war bislang hauptsächlich für die Einhaltung der Kleidungsvorschriften von Frauen zuständig.

„Die Sittenpolizei wurde aufgelöst, aber die Justizbehörde wird sich weiterhin mit dieser gesellschaftlichen Herausforderung auseinandersetzen“, zitierte die Tageszeitung „Shargh“ den Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri am Sonntag. Weitere Details zu den Umständen und der Umsetzung der Auflösung gab es nicht.

Kritiker der politischen Führung reagierten verhalten auf die Ankündigung. Das Problem sei nicht die Sittenpolizei, sondern der Kopftuchzwang, schrieb ein iranischer Aktivist auf Twitter. „Frauen müssen überall ohne Kopftuch verkehren können“, forderte er. Und dies sei „nur der erste Schritt.“

Beobachtern zufolge würde die Auflösung der Sittenpolizei zwar kein Ende des Kopftuchzwangs für Frauen bedeuten, aber einen wichtigen Teilerfolg der Frauenbewegung im Iran darstellen.

Die Sittenpolizei war der Auslöser der seit über zwei Monaten andauernden systemkritischen Aufstände in dem Land. Mitte September verhafteten die islamischen Sittenwächter die 22-jährige Mahsa Amini. Unter ihrem Kopftuch sollen ein paar Haarsträhnen hervorgetreten sein. Amini starb wenige Tage später im Gewahrsam der Sittenpolizei. Seitdem protestieren im Iran Menschen gegen das islamische System und dessen Gesetze und Vorschriften.

Seit dem Ausbruch der Proteste werden der Kopftuchzwang und die islamischen Kleidervorschriften von vielen Frauen, besonders in Großstädten, zunehmend ignoriert. Laut islamischen Gesetzen müssen Frauen in der Öffentlichkeit ein Kopftuch sowie einen langen, weiten Mantel tragen, um Haare und Körperkonturen zu verhüllen.

Dieses Gesetz ist seit über 40 Jahren Teil der gesellschaftspolitischen Doktrin des islamischen Systems um, wie es heißt, „Land und Volk vor der westlichen Kulturinvasion zu retten“.

Seit Beginn der Demonstrationen wurden nach Einschätzung von Menschenrechtlern rund 470 Menschen getötet, darunter 64 Kinder. Auch 60 Sicherheitskräfte seien getötet worden. Die offiziellen Angaben diesbezüglich sind widersprüchlich. Der Sicherheitsrat spricht von 200, ein Kommandeur der Revolutionsgarden von 300 Toten.

Außerdem wurden in den vergangenen mehr als zwei Monaten Tausende verhaftet, unter ihnen Studenten, Journalisten, Sportler sowie Künstler. Einige Demonstranten wurden von Revolutionsgerichten auch bereits zum Tode verurteilt. Ab Montag sind landesweit weitere Proteste – und laut Oppositionskreisen auch Streiks – geplant. (dpa)

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