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Stolz feiert sich Bundesumweltminister Norbert Röttgen als Freund der Windenergie.

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Atomstreit in der Union: Warum provoziert Norbert Röttgen seine Parteifreunde?

Die Frage der Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke spaltet die Union, dabei hat sich die Partei in Sachen Ausstieg aus dem Ausstieg in einem Knäuel von Fragen verheddert.

Norbert Röttgen ist immer noch im Amt. Die Kanzlerin hat ihren Umweltminister auch nicht zurückgepfiffen. Dabei hatte Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus seinen Parteifreund am Montag in ungewohnter Schärfe angegriffen. Er hatte von "Eskapaden" gesprochen, die er nicht länger bereit sei zu akzeptieren. Er hatte die Kanzlerin ultimativ zum Eingreifen aufgefordert und seinem Parteifreund den Rücktritt nahe gelegt. Der Anlass für den Wutausbruch des Baden-Württembergers war eher nichtig. Die Union will nach der Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und dem Verlust der Bundesratsmehrheit den Ausstieg aus dem Atomausstieg mit einem Bundesgesetz ermöglichen. Dagegen hatte der Umweltminister aus rechtlicher und fachlicher Sicht Einwände erhoben sowie "tendenziell" darauf verwiesen, dass eine Novellierung des Atomgesetzes ohne Zustimmung der Länder nicht zu machen sei.

Für Mappus brachte diese Wortmeldung das Fass zum Überlaufen. Doch was treibt Norbert Röttgen, warum stellt sich dieser so notorisch gegen den christdemokratischen Mainstream? Warum löckt er ständig wider den Stachel? Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass sich Röttgen in Sachen Atomenergie gegen seine Partei stellt. So hatte er im Januar dafür plädiert, die Laufzeitverlängerung auf acht Jahre zu begrenzen und zudem erklärt, die Kernkraftwerke würden nur so lange laufen, "bis der Ausbau der erneuerbaren Energien sie überflüssig macht". Vor ein paar Wochen dann hatte er den Kraftwerksbetreibern mit teuren Sicherheitsauflagen gedroht. Röttgen profiliert sich bei der Frage der Laufzeitverlängerungen als Mahner und Bremser.

Die rot-grüne Bundesregierung hatte vor zehn Jahren mit den Energiekonzernen verabredet und in einem Ausstiegsgesetz festgeschrieben, dass das letzte deutsche Atomkraftwerk im Jahr 2022 vom Netz gehen soll. Die schwarz-gelbe Bundesregierung prüft nun eine Laufzeitverlängerung um bis zu 28 Jahre. In diesem Fall würde das letzte Atomkraftwerk erst im Jahr 2050 abgeschaltet. Natürlich ist Röttgen quasi schon per Amt dazu verpflichtet, eine skeptischere Haltung in Sachen Atomenergie einzunehmen. Schließlich ist diese auch für die Union erklärtermaßen nur noch eine Brückentechnologie. Der Bundesumweltminister muss dafür sorgen, dass am anderen Ende der Brücke genügend Strom aus regenerativen Energiequellen zur Verfügung steht. Zudem muss er das ungeklärte Endlagerproblem lösen. Doch dies allein erklärt nicht den permanenten Streit in der Union.

Für viele CDU-Politiker ist die Atomenergie "fester Bestandteil" der Energieversorgung

Die Frage der Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke spaltet die Union. Dabei hat sich die Partei in Sachen Ausstieg aus dem Ausstieg in einem Knäuel ideologischer, technischer, wirtschaftlicher und machtstrategischer Fragen und Widersprüche verheddert. Es gibt in der CDU viele Politiker, die die Atomkraft eben nicht für eine Brückentechnologie halten. Sie wollen aus ideologischen Gründen an der umstrittenen Technologie festhalten. Sie sind fast davon überzeugt, dass es bald eine neue Generation von kleinen, kompakten und sichereren Atomkraftwerken gibt, auf die sich die Stromgewinnung in Deutschland stützen könne. Auch für Stefan Mappus ist Atomenergie ein "fester Bestandteil" der deutschen Energieversorgung, schließlich stehen in Baden-Württemberg nicht nur vier Atomkraftwerke. In Karlsruhe sitzt mit EnBW auch eines von vier Energieunternehmen, die in Deutschland Atomkraftwerke betreiben. Dieses würde massiv von dem Weiterbetrieb der bereits abgeschriebenen Kraftwerke profitieren und zusätzliche Milliardengewinne einfahren.

Allerdings stehen Atomkraft und regenerative Energien in Deutschland bereits jetzt in Konkurrenz zueinander. Längst hat vor allem der Ausbau der Windkraftwerke eine Dimension erreicht, wo sich die Frage stellt, welche Form der Energiegewinnung Vorrang hat. Der massive Ausbau regenerativer Energien verträgt sich nicht mehr mit der Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken. Die Achillesferse der Windenergie sind die wetterbedingten Schwankungen. Deshalb brauchen sie in der Grundlast Kraftwerke, die flexibel und kurzfristig einsetzbar sind und die Schwankungen auffangen können. Moderne Gaskraftwerke können dies, Atomreaktoren hingegen nicht. Sie können nur in der Grundlast und nur dauerhaft betrieben werden und sind deshalb keine Ergänzung, sondern eine Konkurrenz zur Windkraft.

Die Entscheidung über die Verlängerung der Laufzeiten würde also die Struktur der zukünftigen Stromversorgung und des Energiemarktes für Jahrzehnte präjudizieren. Derzeit stammen in Deutschland etwa 16 Prozent des Stroms aus regenerativen Energiequellen. Die Branche ist davon überzeugt, bereits in zehn Jahren 47 Prozent Ökostrom anbieten zu können. Konservative Experten bezweifeln diese Prognosen. Gleichzeitig jedoch würde der Ausbau der regenerativen Energien zu Lasten von Atomkraftwerken den Strompreis deutlich erhöhen. Die Atomenergie deckt derzeit 23 Prozent des deutschen Strombedarfs.

Für potenzielle schwarz-grüne Bündnisse ist die Energiepolitik von zentraler Bedeutung

Technisch stellt sich die Frage, wie sicher sind Deutschlands Atomkraftwerke? Müssen sie für eine Laufzeitverlängerung nachgerüstet werden? Röttgen fordert im Gegenzug zur Verlängerung der Laufzeiten massive Investitionen in neue Sicherheitstechnologie. Nach internen Berechnungen der Bundesregierung könnten sich diese bei einer Laufzeitverlängerung um 28 Jahre auf bis zu 50 Milliarden Euro summieren. Für ein neues Sicherheitskonzept spricht auch, dass die Betriebsgenehmigungen der deutschen Kraftwerke auf 40 Jahre ausgelegt sind, der rot-grüne Atomausstieg begrenzt die Laufzeit auf 32 Jahre. Sicherheitstechnisch unproblematisch ist nur eine Laufzeitverlängerung um acht Jahre, auch deshalb hat Röttgen eine solche ins Spiel gebracht. Ein neues Sicherheitskonzept hingegen würde ein Großteil der zusätzlichen Gewinne der Energiekonzerne aus der Laufzeitverlängerung abschöpfen und die Verlängerung der Kraftwerke für die Betreiber unattraktiv machen. Gleichzeit würden neue Sicherheitsstandards die Zustimmung der Länder im Bundesrat erfordern, denn die sind für deren Überwachung zuständig.

Die Forderung nach Verlängerung der Laufzeiten ist also leicht erhoben, aber sie lässt sich gar nicht so einfach umsetzen. Die Bundesregierung hat deshalb schon im Herbst vergangenen Jahres angekündigt, ein nationales Energiekonzept erarbeiten zu wollen. Erst dann soll entschieden werden, ob die Laufzeiten um zwölf, 20 oder 28 Jahre verlängert werden. Womit sich der Union abschließend die Frage des Ausstiegs aus dem Atomausstieg auch machtstrategisch stellt. Röttgen hat diese fest im Blick, schließlich gehört er zu den Anhängern einer Annährung der CDU an die Grünen. Die Union braucht neue Machtoptionen, dies hat zuletzt die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gezeigt.

Damit wird die Atomkraft wieder zum ideologischen Zankapfel. Für die Grünen ist die Atomenergie schließlich nicht nur eine ökologische, sondern auch eine prinzipielle Frage. Schwarz-Grün rückt für die Öko-Partei nur dann in den Bereich des erwägbaren, wenn es beim Atomausstieg bleibt. An dieser Stelle kommt auch Stefan Mappus wieder ins Spiel. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist schließlich nicht nur ein Freund der Atomkraft, sondern auch ein Gegner der Grünen und damit machstrategisch ein Gegenspieler von Röttgen. Vor seiner Landtagswahl im März kommenden Jahres hat er kein Interesse an innerparteilichen Debatten über machtstrategische Optionen jenseits der Liberalen. Er regiert in Stuttgart mit der FDP und das soll auch so bleiben. Schwarz-grüne Sperrfeuer stören da im Wahlkampf nur. Auch deshalb hat er den Umweltminister Anfang der Woche so scharf angegriffen und auch deshalb fordert er von der Kanzlerin ein Machtwort.

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