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Streit zwischen Lukaschenko und Putin gab es schon öfter. Aber so hart war der Konflikt noch nie.

© picture alliance / dpa

Auf dem Weg zu einem neuen Staat?: Lukaschenkos Angst vorm großen Bruder

Russland liefert kein Öl mehr an Weißrussland. Damit erhöht Putin den Druck, damit sich der Nachbar auf eine Integration einlässt.

Als der russische Präsident Wladimir Putin kürzlich durchblicken ließ, er könnte nach dem Auslaufen seiner Amtszeit nach 2024 in Moskau im Amt des Staatsratsvorsitzenden weiter regieren, atmete die politische Elite im benachbarten Weißrussland erst einmal durch. Das Projekt des „Unionsstaates“, einer Integration von Russland und Weißrussland und die Gründung eines gemeinsamen Staates, schien erst einmal abgesagt. Putin hatte sich offenbar für ein anderes Szenario zum Verbleib an der Macht in Moskau entschieden.

Dass der Wunsch Putins, einen neuen Staat zu gründen, nicht nur eine Hypothese, sondern eine konkrete Überlegung war,  hatte der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko Ende letzten Jahres in einem Interview mit dem Radiosender „Echo Moskwy“ öffentlich gemacht. Putin habe ihm darin den Posten eines Parlamentspräsidenten angeboten, behauptete Lukaschenko. Er habe jedoch abgelehnt. 

Zuletzt war Moskaus Druck auf den Nachbarn in Minsk immer stärker geworden. Das nährte den Verdacht, Putin habe einen Weg gefunden, sein „Problem 2024“ zu lösen: Er kann zwar nicht noch einmal Präsident Russlands sein. Das hielte ihn aber nicht davon ab. Präsident eines ganz neuen Staates zu werden, der aus einer faktischen Vereinigung von Russland und Weißrussland entsteht.

Eine „Union“ sind die beiden Länder vertraglich schon seit 20 Jahren, doch das stand praktisch nur auf dem Papier. Erst im letzten Jahr gab Putin plötzlich ein starkes Interesse an einer tatsächlichen Integration zu erkennen. Ein ganz neuer Unionsvertrag wurde vorbereitet, der auf die Bildung eines gemeinsamen Wirtschafts- und Verwaltungsraumes hinausläuft.

Aber in Minsk wuchs der Widerstand. Zehntausende gingen im Dezember gegen die „Integration“, wie Putin sie sich vorstellt, auf die Straße. Alarm geschlagen hatte auch die weißrussische Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexejewitsch. Der Kreml betreibe eine „stille Annexion“ des Nachbarlandes, warnte die Autorin in einem Interview der Plattform „Project Syndicate“. Die einzige Hoffnung, seien die Massenproteste der Bevölkerung.

Russland sitzt am längeren Hebel

Diese Hoffnung kann sich jedoch als vergeblich erweisen. Der weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko ließ die Demonstranten auseinandertreiben und viele von ihnen hart bestrafen. Alexejewitsch hatte in dem Interview geglaubt, Lukaschenko könne eigentlich kein Interesse daran haben, zum russischen Gouverneur in Minsk herabgestuft zu werden. Er hatte zuvor tatsächlich so etwas wie Widerstand erkennen lassen und die Unterzeichnung eines neuen Vertragswerkes mit Russland immer wieder hinausgezögert.

Bis Putin offenbar die Geduld verlor. Er sitzt am längeren Hebel. Weißrusslands Verträge für Öl und Gas liefen zum Jahresende aus. Die oppositionelle weißrussische Zeitung „Belarus Partisan“ schrieb, Putin habe Lukaschenko vor die Wahl gestellt: „Entweder die reale Vereinigung der beiden Staaten oder die Kürzung und am Ende der Stopp der wirtschaftlichen Vorteile für den Nachbarn“. Seit dem 1. Januar liefert Russland kein Öl mehr, allein der Transit Richtung Polen und Deutschland wird ungestört gewährleistet. Weißrussland kann den Rohstoff nur noch von einem eng mit Lukaschenko befreundeten russischen Oligarchen kaufen. Aus dem Kreml verlautete, dies seien rein geschäftliche Entscheidungen der Konzerne, die sich mit ihren weißrussischen Partnern nicht über den Preis einigen können. Tatsächlich ist der Lieferstopp von oben angeordnet worden, fanden Journalisten heraus. 

Lukaschenko appellierte sichtbar angeschlagen zum Jahresbeginn an sein Volk: „Sie haben vielleicht bemerkt, dass ich in letzter Zeit oft über die Souveränität und Unabhängigkeit unseres Landes spreche“, sagte er in seiner Neujahrsansprache. Damit gab der Präsident selbst zu, dass beides in Gefahr ist: „Nur ein falscher Schritt, und wir verlieren alles“, fügte er dramatisch hinzu.

Der Kreml braucht die Kontrolle über Weißrussland

Damit hat er möglicherweise aber nur noch sich selbst und seine Mannschaft gemeint. In den meisten Umfragen - vor allem auf dem Lande - bringt eine Mehrheit Putin weit größeres Vertrauen entgegen als ihrem eigenen Staatschef. Dass sie eine Vereinigung mit Russland wollen, heißt das jedoch noch lange nicht, wie die Demonstrationen im Dezember zeigen.

Ebensowenig heißt das aber, dass Putin mit seiner Verkündung einer Verfassungsänderung in Russland, sein Szenario eines Unionsstaates aufgegeben hat, glauben unabhängige Experten in Minsk. Arsenij Siwizki, Chef der weißrussischen Denkfabrik Thinktanks.by, warnt: „Eine Verfassungsänderung, die Schaffung neuer Posten, die Stärkung des Parlaments - das alles löst nicht das wichtigste Problem: die Legitimität der Macht in Russland.“ Moskau werde weiterhin ultimativ auf einer Integration mit Weißrussland bestehen, ist der Experte überzeugt.

Dafür gibt es einen geostrategischen Grund: Der Kreml braucht die Kontrolle über Weißrussland, weil es so seine militärischen Kapazitäten weiter nach Westen verschieben kann. Aber auch wirtschaftlich hat das kleine Weißrussland dem großen Bruder etwas zu bieten: seine Kapazitäten für die Verarbeitung russischer Rohstoffe in Raffinerien und Chemiefabriken. Öl und Gas hat Russland zur genüge, aber was die so genannte Wertschöpfungskette betrifft, gibt es immer noch eklatante Mängel.

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