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Ein amerikanischer Militärkonvoi auf dem Weg durch Syrien.

© Baderkhan Ahmad/AP/dpa

Aufruf wider das Wettrüsten – und fürs Klima: 50 Nobelpreisträger fordern deutliche Abrüstung

Extreme Armut, Pandemien, Erderwärmung: Nobelpreisträger:innen fordern, mit weniger Waffen Geld für die Lösung von Menschheitsproblemen freizubekommen.

Mehr als fünfzig Nobelpreisträgerinnen und -träger fordern, die Kosten der größten Menschheitsprobleme – darunter das Klima - durch eine weltweite Kürzung der Rüstungsausgaben zu finanzieren. In einem Aufruf unter dem Titel „Ein einfacher Vorschlag an die Menschheit - weltweite Friedensdividende“ schlagen sie vor, dass alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen darüber verhandeln, ihre Rüstungsbudgets fünf Jahre lang jeweils um zwei Prozent zu kürzen.

Auf diese Weise werde die Sicherheit aller Länder erhöht und das Risiko von Kriegen gesenkt. Eine enorme Summe würde frei.

Die mehr als fünfzig mit dem Nobelpreis Geehrten, unter ihnen die Friedensnobelpreisträgerin von 2011, die jemenitische Menschenrechtsaktivistin Tawakkol Karman, und die polnische Literaturnobelpreisträgerin von 2018 Olga Tokarczuk, rechnen mit einer Billion US-Dollar, die so zusammenkäme.

Angeschlossen haben sich dem Aufruf Präsidenten wissenschaftlicher Akademien und mehrere andere höchstdekorierte Spitzenforscher, so Stephen Smale, Träger der Fields-Medaille, einer der weltweit höchsten Auszeichnungen für Mathematik, alles in allem mehr als 60 Personen.

Organisatoren des Appells sind der renommierte italienische Quantenphysiker Carlo Rovelli und Matteo Smerlak vom Leipziger Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften. 

„Schon Atom-Abrüstung in den 90ern funktionierte“

Nach den Vorstellungen der Autor:innen sollte die Hälfte des Geldes, das sich durch Rüstungskürzung einsparen ließe, von den Vereinten Nationen verwaltet werden und als weltweiter Fonds genutzt werden, „um die schwersten Probleme der Menschheit anzugehen: Pandemien, Klimawandel und extreme Armut“.

Über die andere Hälfte sollten die Regierungen selbst verfügen. „Einiges davon kann genutzt werden, um den erheblichen Forschungsaufwand der Waffenindustrie auf dringend nötige friedliche Nutzungen umzulenken“. Auf jeden Fall hätten alle Länder enorme neue Ressourcen gewonnen.

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Die Nobelpreisträger argumentieren mit früheren Abrüstungsverträgen, die zeigten, dass ihr Vorschlag realistisch sei. „Dank der SALT- und START-Verträge verminderten die USA und die Sowjetunion ihre Atomwaffenbestände seit den 90er Jahren um 90 Prozent.“ Funktioniert hätten sie, weil sie vernünftig waren – „alle Beteiligten profitieren von der Abrüstung ihrer Gegner und damit die Menschheit insgesamt“.

Die Welt stehe Risiken gegenüber, die nur durch Zusammenarbeit abzuwenden seien: „Lassen Sie uns kooperieren, statt uns zu bekämpfen.“ Unter den Unterzeichnenden sind die deutschen Preisträger Gerhard Ertl (Chemie) und Harald zur Hausen (Medizin), der Brite Sir Roger Penrose (Physik) und der italienische Physik-Nobelpreisträger dieses Jahres Giorgio Parisi.

In einem Artikel für den Mailänder Corriere della sera, der ebenfalls am heutigen Dienstag erscheint, weist Organisator Rovelli auf die Rahmenbedingungen hin, über die die Unterzeichner:innen des Aufrufs „ernstlich besorgt“ seien: eine wachsende Kriegsneigung weltweit und eine immer stärkere gegenseitige Dämonisierung. Die Rüstungsausgaben hätten sich seit dem Jahr 2000 verdoppelt.

Weil die Aufrüstung derer, die man für Feinde hält, stets ein Nachrüsten in Gang setze, stehe praktisch jedes Land der Welt in einem Rüstungswettlauf, der im besten Falle eine unglaubliche Verschwendung sei, im schlimmsten zu fürchterlicher Zerstörung führe. 

Die Mahnung der italienischen Stadtmauern

„Unser Planet ist klein, wir Menschen sind verletzlich, und wir stehen vor ernsthaften Risiken“, schreibt Rovelli, der auch ein anerkannter Wissenschaftsautor ist. „Alles, was die Menschheit in Jahrhunderten erreicht hat, schaffte sie nur, wenn sie kooperierte“, fährt Rovelli fort und verweist auf seine italienische Heimat:

„Italiens Städte sind von Mauern umgeben, weil sie sich jahrhundertelang bekriegt haben. Seit sie nicht mehr eine gegen die andere unter Waffen stehen, ist das Leben im Land besser geworden. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Menschheit weltweit das Gleiche tut.“

Die Idee zum Aufruf der 60 sei ihm während eines wissenschaftlichen Kongresses im letzten Sommer in Schottland gekommen, erzählt Rovelli dem Tagesspiegel.

„Es waren auch etliche Nobelpreisträger dabei, und wir haben eingehend über die gesellschaftliche Rolle der Wissenschaft gesprochen, über die Klimakrise, über die Schwierigkeit, Ressourcen aufzutun. Auch die Gefahr für den Frieden war Thema.“ Und dann, ja: „Dann habe ich einen Nobelpreisträger nach dem andern kontaktiert.“

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