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Anti-Assad Demo in Homs. Einige sind jedoch noch immer unsicher, wo sie stehen.

© reuters

Aufstand in Syrien: Angst vor der Revolution

Der Aufstand in Syrien geht weiter, das Töten auch. Trotzdem hat das Regime um Baschar al Assad bis heute großen Rückhalt in der Bevölkerung. Einige haben mehr Angst vor dem, was nach ihm folgen könnte.

Dieses Dorf soll ohne Namen bleiben. Zu groß ist die Angst der Bewohner, dass die Sicherheitskräfte wiederkommen, dass die Männer festgenommen und gefoltert werden, dass sie für immer verschwinden. „Sie können nicht unterscheiden zwischen den Unschuldigen und den Schuldigen“, sagt Abu Hamad, zwischen den Leuten, die bewaffnet Widerstand leisten, und Menschen, die sich plötzlich inmitten eines Aufstandes wiedergefunden haben, den sie so nicht wollten. Abu Hamad, Englischlehrer in Rente, graues Haar und grauer Schnäuzer, braune Lederjacke, zählt sich selber zu den wenigen Unschuldigen.

Das Dorf liegt irgendwo in der syrischen Unruheprovinz Idlib im Nordwesten Syriens. Hier sei jeder auf der Seite der Opposition, sagen sie immer wieder. Und sie meinen damit die Aktivisten, die jede Nacht in einem kleinen, überhitzten Raum Videos ihrer Demonstrationen auf YouTube hochladen; und die Soldaten der vor knapp zehn Monaten gegründeten aufständischen Freien Syrischen Armee, die aus übergelaufenen Mitgliedern der syrischen Streitkräfte besteht. Sie haben jetzt um die Stadt Position bezogen und geben den Bewohnern ein vages Gefühl von Sicherheit. Oder der stets schwarz gekleidete Dorfvorsteher, zu dem die Männer abends kommen, wenn sie ihre Streitigkeiten beilegen wollen.

Aber Abu Hamad zweifelt, ist zerrissen. Er weiß nicht, ob er den Menschen im staatlichen Fernsehen glauben soll oder seinen Nachbarn und Freunden. Seine Zweifel sind ein Beispiel dafür, wie weit die Propaganda des Regimes reicht und wie komplex die Lage in Syrien ist.

Im Haus des Dorfvorstehers liegt ein junger Aktivist auf einem Bett im Wohnzimmer. Die Geister haben versucht ihn umzubringen. Shabiha – Arabisch für Geister – so nennen sie hier die bewaffneten Schlägertrupps des Regimes. Auf der Landstraße haben sie sein Auto beschossen, sechs Kugeln in seinen Körper gejagt. Eine in den rechten Arm, zwei in den Oberkörper, drei in das rechte Bein. Irgendwie hat er überlebt. Ein Nachbar war unter den Shabiha. „Das ist das Resultat des Aufstandes“, sagt Abu Hamad. Die Dorfbewohner sollen gegeneinander aufgebracht werden, das Land in Anarchie gestürzt werden. „Wir müssen zusammenstehen. Das schwächt uns vor dem wirklichen Feind“, sagt er.

Und wer ist das, dieser wirklich Feind? Seine Antwort bleibt vage.

Noch immer haben viele Syrer weniger Angst vor Assad als vor dem, was nach ihm kommt. Und noch immer glauben viele den Äußerungen Assads, in denen er die Opposition als Verschwörung diffuser fremder Mächte abtut, die das Land destabilisieren wollen. Der syrische Präsident Baschar al Assad schürt damit bewusst Ängste vor Israel und den USA. Und er hat damit Erfolg. Selbst hier, in einem Dorf voller Aufständischer, gibt es Männer wie Abu Hamad, die der offiziellen Version glauben – oder zumindest an der Motivation der Opposition zweifeln. Am größten ist die Angst vor der Zeit nach der Revolution unter den schiitischen, christlichen und alewitischen Minderheiten. Sie fürchten sich vor einer Machtübernahme durch die sunnitische Mehrheit.

Ob Revolution oder nicht entscheidet die Dorfgemeinschaft, nicht der Einzelne

Die Uno schätzt, dass mindestens 5000 Menschen in den elf Monaten des Aufstandes in Syrien umgekommen sind. Diese Schätzung ist mehr als fünf Wochen alt, inzwischen dürften es Hunderte mehr sein. Auch während der Beobachtermission der Arabischen Liga ging die syrische Führung weiter brutal gegen Aufständische vor. Trotzdem hat Assad Rückhalt in großen Teilen der Bevölkerung. Anfang Januar ergab eine Meinungsumfrage in Syrien, dass 55 Prozent der Befragten gegen seinen Rücktritt sind. Die Umfrage wurde von Katar finanziert – einem der offensivsten Kritiker Assads.

Dennoch gilt: Ob Revolution ist oder nicht, entscheidet nicht der Einzelne, sondern das entscheidet die Dorfgemeinschaft. In Abu Hamads Nachbardorf kann man leicht erkennen, wo die Loyalitäten sind. An jeder Ecke hängen Bilder von Baschar al Assad. Die Bewohner hier sind Schiiten. Sie stehen der vornehmlich alewitischen Führungsriege nahe. Zwischen den beiden Städten gab es gute Beziehungen, bis die Revolution kam. Die Schiiten blieben auf der Seite Assads. Anfangs hätten die schiitischen Nachbarn Informationen über die Oppositionellen an die Regierungskräfte gegeben, aber das sei vorbei, sagt Abu Hamad. Die Dorfvorsteher hätten ihre Seiten gewählt, aber beschlossen, sich nicht in die Angelegenheiten des anderen Dorfes zu mischen.

Fast jede Nacht tanzen Demonstranten auf dem Dorfplatz. Singend fordern sie den Sturz des Regimes. Mal sind es 20, 30 Männer, mal 100, 200. Freitags kommt das ganze Dorf zusammen. Rund 2000 Männer und am Rande einige kleine Gruppen von Frauen. Osama, 26 Jahre alt, Arabischstudent, war einer der Ersten, die hier demonstriert haben. An dem Tag, als in Pakistan sein Namensvetter Osama bin Laden von US-Truppen getötet wurde, kamen Sicherheitskräfte und haben ihn geholt. Sie haben ihm die Augen verbunden, ihn an den Armen aufgehängt, geschlagen und ihm Stromschläge verpasst. „Warum brauchst du Freiheit?“, hätten sie gesagt. „Du musst getötet werden.“

Es gibt viele junge Männer hier und wenig Arbeit. Wer es irgendwie schaffte, ging ins Ausland, um Geld zu verdienen. Wer ein eigenes Gewerbe aufmachen wollte, bekam es mit korrupten Beamten zu tun. Die Frustration war groß und einer der Gründe, warum hier anfangs so viele auf die Straße gegangen sind.

"Wir brauchen Hilfe vom Teufel. Aus den USA, aus Israel"

Abu Hamad hat eine andere Erklärung: „Die jungen Leute hatten kein Geld, jetzt stehen sie auf der Seite derer, die sie bezahlen.“ Nur für Geld gingen sie jeden Abend demonstrieren, nur für Geld desertierten sie. Ob er die Aktivisten oder die Deserteure schon einmal gefragt hat, ob sie wirklich bezahlt werden und von wem? Nein. Sie sitzen neben ihm in einem kleinen, stickigen Raum, wo sie sich zu Zigaretten und Tee getroffen haben und diskutieren. Jetzt fragt er zum ersten Mal direkt: „Bekommt ihr Geld?“ Alle dementieren aufgeregt, fallen sich gegenseitig ins Wort, keiner würde irgendwas bekommen. Abu Hamad überzeugt das nicht. „Sie können einem nicht die Wahrheit sagen.“

Schon jetzt sei es hier unsicherer geworden, findet er. Nicht nur wegen der Kämpfe zwischen Armee und Aufständischen. Es gebe keine staatliche Autorität mehr, die für Ordnung sorgen, die junge Männer vom Stehlen abhalten könne.

Für die Oppositionellen hat der Mangel an staatlicher Autorität indessen mehr Sicherheit gebracht. Sie haben nun keine Angst mehr, auf die Straße zu gehen, ihre Meinung zu äußern. Die Demonstrationen sind Routine, niemand hindert sie hier. Die Armee und die Shabiha waren das letzte Mal im Oktober hier. Die Aktivisten sagen, das liege daran, dass die Freie Syrische Armee sie beschütze und die reguläre Armee im Zweifel zurückdrängen würde. Aber vermutlich haben die staatlichen Kräfte gerade mit größeren Problemen zu kämpfen. In Hama, Homs oder Daraa etwa, den Hochburgen des Widerstandes. Die Freie Armee hat gerade mal 50 Mann hier stationiert. Sie haben Kalaschnikows und Maschinengewehre, aber keine Waffen, um Panzer aufzuhalten.

Inzwischen sind tausende Soldaten aus der syrischen Armee desertiert und haben sich der Freien Armee angeschlossen. Aber bisher sind es vor allem die Fußsoldaten. Nur leicht bewaffnet sind sie bisher keine wirkliche Gefahr für die staatliche Armee. Dafür müssten ganze Kompanien samt schwerer Waffen desertieren. Aber da die Führung der Armee vornehmlich aus Alewiten rekrutiert wird, die Assad gegenüber loyal sind, ist das unwahrscheinlich.

„Wir müssen friedlich leben“, sagt Abu Hamad. Er wünscht sich die Zeit vor dem Aufstand zurück. Die Sicherheit, die Stabilität. Syrer, die zusammenstehen gegen Feinde von außen.

Osama, der junge Arabischstudent, wünschte, es gebe sie, diese ausländische Verschwörung gegen Syrien, von der Abu Hamad redet und die Assad für die Unruhen verantwortlich macht: „Wir brauchen Hilfe vom Teufel. Wir brauchen Hilfe von Israel, den USA, Großbritannien.“

Daniel Etter

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