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Noch keine Massenbewegung. Mitte Juni gab es eine Demonstration gegen die Überwachung durch den amerikanischen Geheimdienst vor dem Checkpoint Charlie. Die Piraten hoffen nun, dass ihnen solche Proteste doch noch nützen. Foto: Kay Nietfeld/dpa

© picture alliance / dpa

Aufwind durch Späh-Affäre: Die Piraten hoffen wieder

Zwischenzeitlich waren die Piraten in den Umfragen abgestürzt. Nun soll der NSA-Skandal die Partei doch noch in den Bundestag befördern.

Die Piraten haben sich etwas versteckt. Zwischen den Plattenbauten in Berlin-Lichtenberg haben sie ihre Wahlkampfzentrale in einer Art Lagerhalle bezogen. Dort warten Plakate darauf, aufgehängt zu werden. Und dort lagert auch wieder eine Hoffnung: Einzug in den Bundestag. Diese kommt auf, weil seit Wochen ein Thema die Schlagzeilen bestimmt, das die Menschen in den Hochhäusern neben der Wahlkampfzentrale vielleicht (noch) nicht als ihr wichtigstes ansehen, aber die Piraten: Wie geht man mit dem digitalen Zeitalter um?

Aufgebracht hat das Thema Edward Snowden mit seinen Enthüllungen zum US-Geheimdienst NSA. Und Piratenchef Bernd Schlömer versucht, der Spionageaffäre eine entsprechende Tragweite zu geben, und spricht vom „vielleicht größten politischen Skandal der letzten Jahrzehnte“. Und die Politische Geschäftsführerin, Katharina Nocun, legt eine Tangente zur Umweltbewegung und dem Ursprung der Grünen. „Die Folgen der Umweltverschmutzung sind auch schleichend und nicht direkt zu sehen, so ist es mit der Überwachung auch: Wenn sie wehtut, ist es zu spät.“

Die Piraten hörten zuletzt häufig den Vorwurf, sie würden das Thema verschlafen, obwohl es doch ihre Kernkompetenz betreffe. Nur war das knapp daneben. Sie haben schnell reagiert, Rücktritte gefordert und etliche Kryptopartys veranstaltet, auf denen Bürger lernen konnten, wie man die eigene digitale Kommunikation verschlüsselt. Nur hat sie keiner wahrgenommen. „Die massenhafte Empörung von Rot und Grün hat die Position in den Hintergrund gedrängt“, gibt auch Schlömer zu. Diese Woche aber keimte dann doch etwas Hoffnung auf. Denn mit Forsa sieht zumindest ein Umfrageinstitut die Piraten etwas weiter oben – mit vier Prozent nah an der Fünfprozenthürde. Andere Institute sehen diese Tendenz noch nicht. Dort landen sie wie beispielsweise am Freitag im ARD-Deutschlandtrend nur bei zwei Prozent. Dafür profitiert ausgerechnet die in Sachen NSA in der Kritik stehende Union – mit einem Zugewinn von einem Prozentpunkt auf 42 Prozent. Aber den Piraten macht Mut, dass nach der ARD-Umfrage die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung und der Kanzlerin unter der Affäre leidet. 70 Prozent der Befragten sind unzufrieden mit den bisherigen Aufklärungsbemühungen. Und auch in der Gesellschaft regt sich Widerstand. Namhafte Autoren haben in einem offenen Brief von Angela Merkel Aufklärung in der Affäre gefordert. Sie schreiben von einem „historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstaat“. Für Samstag sind zahlreiche Demonstrationen gegen eine Totalüberwachung in mehreren deutschen Städten geplant, darunter in Berlin und im Wahlkreis von Merkel. Und selbst Bundespräsident Joachim Gauck schaltete sich nun ein und warnt vor einem Schaden für die Freiheit.

Über einen Einzug der Piraten in den Bundestag wäre die Kanzlerin sicher nicht einmal unglücklich, würde dies eine rot-grüne Mehrheit doch noch unwahrscheinlicher machen. Trotzdem dürfte sie alarmiert sein angesichts der negativen Bewertung ihrer Aufklärungsarbeit. Deshalb sollte Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) am Donnerstag vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium reinen Tisch machen – und er hat sich festgelegt: Alles ist 100-prozentig sauber. Falls doch noch etwas kommt, wird er kaum dahinter zurückkönnen. Sein schärfstes Argument ist unter anderem eine Stellungnahme der NSA zu den Vorwürfen, die dem Tagesspiegel vorliegt. Darin beschreibt die NSA, dass es insgesamt drei Programme mit dem Namen Prism gebe, die aber nichts miteinander zu tun hätten. Eines sei nur zur internen Kommunikation und heiße „Portal for Realtime Information Sharing and Management“. Ein zweites gehöre zum US-Verteidigungsministerium und sei in Afghanistan eingesetzt worden. Und ein drittes Prism sei tatsächlich zur Auslandsüberwachung eingesetzt, allerdings sei es nicht geeignet, um „wahllos private Kommunikationsinhalte von Bürgern im Ausland zu sammeln“. Vielmehr sei der Gebrauch „begrenzt, gezielt, besonnen und alles andere als flächendeckend“. Allerdings lässt die Stellungnahme offen, wie viele deutsche Kommunikationsdaten wie auch -inhalte gespeichert oder ausgewertet wurden. Auch ist nicht klar, wie genau die NSA an die Daten kommt.

Mit den Empörungsrufen von SPD und Grünen müssen die Piraten daher weiterleben, und sie wollen ihnen mit konkreten Forderungen begegnen: Das Kontrollgremium soll reformiert und nach dem Vorbild des Verteidigungsausschusses zu einem Pflichtausschuss mit Untersuchungsausschussrechten umgebaut werden. Es soll eine Ombudsstelle für Bürger gegen Überwachung geben, ein Gesetz, das Whistleblower wie Edward Snowden gesetzlich schützt, und einen Nachrichtendienstbeauftragten. Außerdem müsse über die Abschaffung einiger Dienste, wie des Militärischen Abschirmdienstes, nachgedacht, ein internationales Abkommen zur „Überwachungsabrüstung“ ausgearbeitet und mehr digitale Bildung betrieben werden. Ein Alleinstellungsmerkmal sind diese Forderungen nicht. Andere Parteien gehen in eine ähnliche Richtung. „Unter den Bürgerrechtsliberalen gibt es Anknüpfungspunkte“, sagt auch Schlömer. Aber die Piraten argumentieren: Wir waren zuerst da. Um ihre Kompetenz zu unterstreichen, haben sie auch eine DVD angefertigt mit den besten Verschlüsselungstricks. Und sie versprechen: „Wir wollen im Bundestag der ständige Untersuchungsausschuss gegen Überwachung sein.“ Zuvor müssen sie aber aus ihrem Versteck kommen – in Lichtenberg.

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