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Menschen genießen das sonnige Frühjahrswetter im Lustgarten vor dem Alten Museum in Berlin.

© Paul Zinken/dpa-Zentralbild/dpa

Update

Ausgangssperren, Schulen, Läden: Bundesweite Corona-Notbremse kommt erst Ende nächster Woche – was geplant ist

Das Kabinett hat am Dienstag die Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Bundeskanzlerin Merkel bezeichnet die Verschärfung als „überfällig“.

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Der Bundestag will über die bundesweit einheitliche Corona-„Notbremse“ am Mittwoch kommender Woche entscheiden. Das teilte die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Britta Haßelmann, am Mittwoch in Berlin mit. Es werde aber noch deutlich länger als acht Tage dauern, bis die Änderungen am Infektionsschutzgesetz wirksam würden, sagte sie. Die Bundesländer seien weiter in der Verantwortung, auf die steigende Zahl an Neuinfektionen zu reagieren.

Der Entwurf der Koalition reiche nicht aus, um die dritte Welle der Corona-Pandemie zu brechen, sagte Haßelmann und verlangte weitergehende Regelungen insbesondere für die Arbeitswelt und die Schulen. Eine Testpflicht in Unternehmen sei bereits zu einer Testangebotspflicht für Unternehmen verwässert worden, kritisierte sie. Das Parlament beschäftigt sich an diesem Freitag in erster Lesung mit dem Entwurf der Koalition.

Das Bundeskabinett hatte die Änderung des Infektionsschutzgesetzes am Dienstag beschlossen. Nach Kritik aus den Bundesländern hat das Kanzleramt den Entwurf für die gesetzlich verankerte, bundesweite Corona-Notbremse etwas aufgeweicht.

In dem beschlossenen Entwurf eines „Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, der dem Tagesspiegel vorliegt, sind weitere Ausnahmen bei der Ausgangssperre von 21 bis 05 Uhr geplant, die ab einer Inzidenz von 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen greifen soll und zum Beispiel auch aktuell für Berlin zur Geltung kommen würde. Nur Schleswig-Holstein liegt derzeit als einziges Bundesland noch unter einer Inzidenz von 100.

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So soll die Ausgangssperre nicht gelten für medizinische oder veterinärmedizinische Notfälle oder andere medizinisch unaufschiebbare Behandlungen, bei berufsbedingten Gründen, für Abgeordnete, Presse- und Medienberichterstattung, der Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts, der Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen oder Minderjähriger oder der Begleitung Sterbender, der Versorgung von Tieren oder „von ähnlich gewichtigen und unabweisbaren Gründen“.

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Allerdings ist nach 21 Uhr auch die Abholung von Speisen in Restaurants untersagt, eine Belieferung durch Essens-Lieferdienste bleibt aber zulässig.

Ebenso gelockert wurden die Regelungen für Läden, die ab einer 100er-Inzidenz zu schließen sind: Ausgenommen bleiben der Lebensmittelhandel, ebenso Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte.

[Mehr zum Thema: Rette sich, wer kann! Mehr ist derzeit von der Politik nicht zu erwarten. Ein Kommentar]

Zudem heißt es wörtlich für die bundesweite Corona-Notbremse ab Erreichen der 100er-Inzidenz: „Die Öffnung von Einrichtungen wie Theatern, Opern, Konzerthäusern, Bühnen, Musikclubs, Kinos mit Ausnahme von Autokinos, Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten sowie zoologische und botanische Gärten sowie entsprechende Veranstaltungen sind untersagt“. Aerosolforscher hatten darauf gepocht, wegen der kaum erfolgenden Infektionen draußen hier mehr Freiheiten zuzulassen.

Private Treffen im öffentlichen oder privaten Raum sollen nur mit den Angehörigen eines Haushalts und einer weiteren Person erlaubt sein - Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres werden nicht mitgezählt. Bei Trauerfeiern für Verstorbene sollen bis zu 15 Personen zusammenkommen dürfen.

In dem vom Kabinett beschlossenen Entwurf sind folgende Maßnahmen vermerkt:

  • Harter, regionaler Lockdown bei Überschreiten des Schwellenwerts von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen
  • Private Zusammenkünfte werden auf die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person beschränkt (einschließlich Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres).
  • Ausgangssperren von 21 bis 5 Uhr, mit Ausnahmen für Notfälle oder aus beruflichen Gründen. 
  • Sport ist nur noch sehr begrenzt und maximal zu zweit oder mit den Angehörigen eines Haushalts möglich.
  • Auch alle Geschäfte müssen dichtmachen – mit Ausnahme des Lebensmittelhandels, Apotheken, Drogerien, Tankstellen, Buchhandlungen und Gartenmärkte.
  • Die Öffnung von Einrichtungen wie Theatern, Opern, Konzerthäusern, Bühnen, Musikclubs, Kinos mit Ausnahme von Autokinos, Museen, Ausstellungen, Gedenkstätten sowie zoologische und botanische Gärten sowie entsprechende Veranstaltungen sind untersagt.
  • Die Gastronomie bleibt geschlossen. Abholung und Lieferung von Speisen ist aber erlaubt.
  • Dienstleistungen mit einer körperlichen Nähe sind untersagt. Ausgenommen sind solche, die medizinischen, therapeutischen, pflegerischen oder seelsorgerischen Zwecken dienen sowie Friseure.
  • Ist der Inzidenzwert von 100 fünf Tage lang wieder unterschritten, können die Maßnahmen am übernächsten Tag entfallen. Liegt er drei Tage lang darüber, treten sie ab dem übernächsten Tag wieder in Kraft.
  • Übernachtungen zu touristischen Zwecken sind untersagt.
  • Schulen und Kitas dürfen nur bei Inzidenz unter 200 offen bleiben. Selbst dann dürfen Schüler nur am Unterricht teilnehmen, wenn sie sich zweimal pro Woche testen. Auch das Lehrpersonal muss sich testen.
  • Die Versammlungsfreiheit sowie Zusammenkünfte, die der Religionsausübung dienen, fallen nicht unter die Beschränkungen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich am Dienstag in einem Pressestatement zur Notbremse. Die Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes sei nach Ansicht von Merkel "ein wichtiger sowie dringender Beschluss", wie es in der Corona-Pandemie weitergehen soll. Die wichtigste Änderung sei, dass die Notbremse bundesweit umgesetzt werde. Die Unklarheiten, was in welcher Region gelte oder nicht gelte, seien dann vorbei, sagte Merkel in Berlin.

"Die bundeseinheitliche Notbremse ist überfällig", sagte die Kanzlerin. Auch wenn es schwerfalle, die Lage sei "ernst". "Und wir alle müssen sie auch ernst nehmen", sagte sie und bezog sich dabei auf die Zahlen des Robert Koch-Institutes, die Entwicklung des Reproduktionswertes und die Zahlen der belegten Intensivbetten. Die bisherigen Bund-Länder-Beratungen würden nicht mehr ausreichen, so die Kanzlerin. Die Maßnahmen müssten "stringenter, konsequenter" sein.

[Mehr zum Thema: Jung, gesund und trotzdem geimpft – die 3 legalen Tricks der Ungeduldigen (T+)]

"Wenn wir warten würden, bis alle Intensivbetten belegt wären, dann wäre es zu spät", sagte sie weiter. "Das dürfen wir nicht zulassen." Die Hilferufe der Intensivmediziner dürften nicht überhört werden.

Trotz der angespannten Corona-Lage in Deutschland zeigt sich die Kanzlerin auch zuversichtlich. „Wir haben es schon einmal geschafft, die Zahlen auf ein kontrollierbares Maß zu bringen“, sagt Merkel. „Und das kann und wird uns wieder gelingen“, sagt sie weiter. In dieser Welle helfe zudem die Impfkampagne, die "von Tag zu Tag besser" laufe. Man gehe dem Licht am Ende des Tunnels „mit immer größeren Schritten“ entgegen.

[Lesen Sie mit T+ auch: Impfreihenfolge, Wirksamkeit, Nebenwirkungen - die 50 wichtigsten Fragen und Antworten zum Impfen.]

Merkel hatte sich nach den gescheiterten Plänen für einen Osterlockdown und der zunehmenden Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern dafür entschieden, über eine bundesweite Regelung, den Lockerungsversuchen mehrerer Bundesländer trotz hoher Inzidenzen mit verpflichtenden Regelungen entgegenzuwirken und dem Bund mehr Durchgriffsrechte zu verleihen, um der dritten Welle besser zu begegnen.

Kanzleramt rechnet mit noch sechs bis acht Wochen mit Einschränkungen

"Trotz der bereits durchgeführten Impfungen bei hochbetagten und besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen hat sich in den letzten Wochen eine erhebliche Zunahme der Belastung im Gesundheitssystem ergeben", heißt es in dem Gesetzesentwurf. Um der staatlichen Schutzpflicht "für Leben und Gesundheit" nachzukommen und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems aufrechtzuerhalten, müsse eine bundesgesetzliche Grundlage geschaffen werden.

Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) hatte zuletzt in einer Schalte mit den Chefs der Staatskanzleien deutlich gemacht, dass das Kanzleramt noch mit sechs bis acht Wochen an Einschränkungen rechnet. Die Regierung gehe von einer verschärften Infektionslage aus, die noch so lange dauern könnte. Das könnte dazu führen, dass die per Bundesgesetz geplanten Lockdown-Maßnahmen je nach Infektionsgeschehen bis maximal Mitte Juni gelten könnten. Das bedeutet auch, dass Pfingsturlaube kaum möglich sein werden, hieß es dazu in Länderkreisen.

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Da nun feste Grenzen per Gesetz eingezogen werden, kann ein Lockdown auch nicht einfach durch einen Beschluss von Kanzlerin und Ministerpräsidenten für beendet erklärt werden – und Klagen gegen greifende Maßnahmen wären nur beim Bundesverfassungsgericht möglich. In dem Entwurf wird betont, dass die Regelungen so lange gelten sollen, wie der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite konstatiert.

Intensivmediziner erwarten Höchststand an Patienten bereits Ende April

Die Intensivmediziner-Vereinigung Divi rief die Politik auf, die Notbremse möglichst schnell noch diese Woche zu verabschieden. Die Zahl der Corona-Intensivpatienten nehme schneller zu als ohnehin erwartet. Bereits Ende April würden 6000 erreicht - so viele wie auf dem Höhepunkt der zweiten Welle. Wenn das Gesetz erst Ende April beschlossen werde, werde die Patientenzahl auf 7000 steigen, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx, der „Augsburger Allgemeinen“.

Am Dienstag stieg die 7-Tages-Inzidenz bundesweit auf 140,9. Einen höheren Wert hatte es zuletzt vor drei Monaten, am 15. Januar, gegeben. Laut Robert Koch-Institut (RKI) gab es zudem binnen eines Tages 10.810 Corona-Neuinfektionen und 294 neue Todesfälle.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich rechnet damit, dass der Bundestag voraussichtlich am Freitag nächster Woche abschließend über die Notbremse beraten wird. Eine schnellere Verabschiedung sei nicht möglich, weil die Opposition einer Verkürzung der Beratungsfrist nicht zustimme. Nach dem Bundestag müsste die Gesetzesänderung dann auch noch den Bundesrat passieren. Dafür wäre nach Angaben aus Länderkreisen eine Sondersitzung - womöglich ebenfalls am Freitag nächster Woche - erforderlich, zu der aber noch nicht eingeladen wurde.

Mitarbeiterinnen des Ordnungsamts kontrollieren in Köln drei Frauen.
Mitarbeiterinnen des Ordnungsamts kontrollieren in Köln drei Frauen.

© imago images/Future Image/C. Hardt

Neben der Änderung des Infektionsschutzgesetzes hat das Kabinett auch eine Pflicht für Angebote von Coronatests in Unternehmen auf den Weg gebracht. Der Entwurf einer geänderten Arbeitsschutzverordnung sieht vor, dass die Unternehmen ihren Beschäftigten in der Regel einmal in der Woche Tests zur Verfügung stellen.

Begleitet wurde das zähe Ringen um die Bundes-Notbremse von teils kritischen Äußerungen aus den Ländern. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) wandte sich besonders gegen nächtliche Ausgangsbeschränkungen. „Richtig ist mit Sicherheit, die Kontakte so weit es geht, drinnen wie draußen zu reduzieren und auf das Nötigste zu beschränken“, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz in der RBB-„Abendschau“. Aber: „Abends alleine oder zu zweit spazieren zu gehen, ist keine große Gefahr.“ (mit dpa)

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