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Annalena Baerbock: Auch deutsche Unternehmen umgehen Sanktionen

© AFP/Tobias Schwarz

Sanktionen gegen Russland eine Enttäuschung?: Ampel-Partner und Opposition widersprechen Baerbock

Den Sanktionen gegen Russland fehle es an Schlagkraft, sie zeigten keinen Effekt, bemängelt Außenministerin Annalena Baerbock. Politiker der Ampel und aus der Opposition sehen das anders.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist mit der Wirkung der westlichen Sanktionen gegen Russland unzufrieden. In einem Interview mit dem Journalisten Stephan Lamby, das er nach eigenen Angaben Anfang Juli geführt hat, sagte Baerbock: „Eigentlich hätten wirtschaftliche Sanktionen wirtschaftliche Auswirkungen. Das ist aber nicht so.“

Sie sagte, „mit rationalen Entscheidungen“, die man „zwischen zivilisierten Regierungen“ treffe, sei „dieser Krieg nicht zu beenden“. Baerbock sprach sich damit nicht gegen die Sanktionen aus, aber bedauerte die fehlende Schlagkraft.

Die russische Wirtschaft soll laut Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) in diesem Jahr um 1,5 Prozent wachsen, trotz der elf Sanktionspakete, die die Europäische Union inzwischen gegen Russland erlassen hat. Die deutsche Wirtschaft soll laut IWF um 0, 3 Prozent schrumpfen.

Ifo-Institut schreibt, russische Wirtschaft sei „weit weniger widerstandsfähig“

Das Münchner Ifo-Institut hatte im Mai 2023 eine Zwischenbilanz zur Wirkung der Sanktionen herausgegeben. Dass Indien und China nun Erdgas, Erdöl und Kohle aufkauften, ersetze teilweise die wegfallenden russischen Importe. „Als wichtiger Handelspartner Russlands springt das Land sowohl als Abnehmer als auch als Lieferant von Gütern ein. So hat China beispielsweise seine Lieferung von Baumaschinen spürbar erhöht, nachdem Japan seine Ausfuhr dieser Maschinen nach Russland sanktionierte“, schrieben die Autoren.

Dennoch zeigten die Sanktionen Wirkung. Die Wirtschaft sei „weit weniger widerstandsfähig“ als die „traditionellen makroökonomischen Indikatoren“ zeigten. Das wachsende Bruttoinlandsprodukt sei zum Beispiel Ergebnis der Produktionssteigerungen in der Rüstungsindustrie, für die Bevölkerung hat das jedoch keinen positiven Effekt. Die offizielle Arbeitslosenstatistik sei beschönigend. Zwar seien nur vier Prozent der Bevölkerung erwerbslos, doch viele befänden sich im unbezahlten Urlaub. „Daher sind rund zehn Prozent der Erwerbsbevölkerung faktisch ohne Arbeit“, heißt es in dem Bericht.

So sieht das auch Ulrich Lechte, außenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Die Sanktionen hätten „sehr wohl einen Effekt“, sagte er dem Tagesspiegel. Zu beobachten sei das zum Beispiel am Rubel-Kurs, der seit Monaten stark fällt.

„Nur hatte sich Putin jahrelang auf diesen Krieg vorbereitet, Finanzreserven und Lagerbestände aufgebaut. Die Umgehung von Sanktionen in einer globalisierten Welt ist einfacher, siehe die plötzliche Importfreude von Kasachstan. China als Partner ist auch mehr als hilfreich“, sagte er.

 Russlands Wirtschaft gleicht also aktuell einem Kartenhaus, das zwar länger standhält, als man zu Beginn erwartete, aber immer instabiler wird.

Roderich Kiesewetter, CDU-Verteidigungspolitiker

Der SPD-Außenpolitiker Adis Ahmetovic kritisierte den Fokus der Außenministerin. Der Teufel stecke im Detail. „Wie nachhaltig kann ein Wachstum sein, welches reinweg auf den massiven Ausbau der Kriegswirtschaft fußt? Das Wachstum scheint daher eher eine Blase zu sein, die bald zerplatzen wird“, sagte er dem Tagesspiegel.

Auch im Bereich des Wirtschaftswachstums gelte „der Marathongedanke: Wir haben zusammen mit unseren Verbündeten den längeren Atem. Und das sollte Außenministerin Baerbock nach vorne stellen“.

Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter teilt die Einschätzung der Außenministerin ebenfalls nicht. „Russlands Wirtschaft leidet massiv unter den Sanktionen und die BIP-Prognosen des IWF zeigen auch nach unten“, sagte er, aber Putin habe sein Land auf eine Kriegswirtschaft umgestellt. „So gab es einen großen Anstieg an staatlichen Ausgaben im Rüstungssektor, denn die Rüstungsfabriken laufen Tag und Nacht, aber in der Automobilproduktion oder der Pharmaziebranche sind die Einnahmen massiv zurückgegangen“, sagte er.

Kiesewetter wies auch auf die sinkenden Ölexporte hin. „Das sollten wir nicht unterschätzen“, sagte er, schließlich machten Öl- und Gasverkäufe einen großen Teil der russischen Staatseinnahmen aus. „Russlands Wirtschaft gleicht also aktuell einem Kartenhaus, das zwar länger standhält, als man zu Beginn erwartete, aber immer instabiler wird“, sagte Kiesewetter.

Er mahnte, die Sanktionen müssten schärfer überwacht werden. „Hier muss das Netz an Sanktionen noch enger gestrickt werden, so gibt es immer noch zu viel Umgehung über Drittstaaten wie Armenien, Georgien oder Kasachstan“, sagte er, zudem müsse die Sanktionsüberwachung gemeinschaftlich auf EU-Ebene stattfinden. „Die Bundesregierung agiert aber hier zu zurückhaltend, auch da offensichtlich deutsche Firmen bei der Sanktionsumgehung beteiligt sind“, sagte er.

Das sagte Baerbock bei einer Pressekonferenz mit ihrem kirgisischen Amtskollegen Dscheenbek Kulubajew offen. Man könne nicht einfach Regierungen dafür verantwortlich machen, wenn einzelne Unternehmen Sanktionen umgehen sollten. „Dann müssten wir uns im Zweifel auch listen“, sagte sie. Sie betonte bei dem Termin, wie wichtig es sei, dafür zu sorgen, dass Sanktionen nicht umgangen werden könnten.

Der Linken-Politiker Klaus Ernst forderte Baerbock auf, die Wirtschaftssanktionen in Gänze „zu überdenken und zurückzunehmen“, sie würden „mehr Schaden als nützen“, schrieb er bei der Plattform X, vormals Twitter. Ähnlich äußerte sich Sahra Wagenknecht, die Sanktionen müssten „aufgehoben werden, bevor sie uns ruinieren“.

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