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Die Gesichter der großen Koalition: Horst Seehofer (CSU), Angela Merkel (CDU), Sigmar Gabriel (SPD).

© dpa

Bilanz der Großen Koalition zur Sommerpause: Die SPD kann sich freuen

Die große Koalition verabschiedet sich in ihre erste Sommerpause. Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Wie schlägt sich die Regierung bisher?

Von Robert Birnbaum

Alexander Dobrindt hat eigentlich ein Gespür für Inszenierung, aber bei der Sache mit der Pkw-Maut ist der Wurm drin. Bis zur Sommerpause hat der Verkehrsminister sein Konzept zur Umsetzung des CSU-Lieblingsprojekts versprochen. Doch erst wollte CSU-Chef Horst Seehofer die Vorstellung kurzerhand nach München verlegen, um die Analyse des miesen Europawahlergebnisses aufzuhübschen; dann schwirrt es in der Bundeshauptstadt seit Tagen von Berichten und Gerüchten, dass Dobrindts Plan gar nicht funktioniere: Der Finanzminister runzele die Stirn, der EU-Kommissar auch.

Am Freitag muss der Regierungssprecher versichern, dass Angela Merkel kein Veto eingelegt habe. Der Sprecher des Verkehrsministers muss betonen, dass es beim Zeitplan bleibe – das Maut-Konzept werde präsentiert, presseöffentlich. Ganz ungewöhnlich sind solche Holperein nicht, wenn ein politisch hoch umstrittenes Vorhaben zur Kabinettsreife gelangt. Aber Dobrindts Schwierigkeiten passen nur zu gut in ein Bild, das sich nach einem halben Jahr großer Koalition langsam festzusetzt: Die SPD bekommt ihre Herzensprojekte glatt über die Rampe – die Union hat wenig zu feiern.

Tatsächlich haben die Sozialdemokraten die Leuchtturm-Versprechen ihres Wahlkampfs jetzt schon verwirklicht: Die Frührente mit 63 ist verabschiedet, der Doppelpass für Ausländer-Kinder ebenfalls, und dem größten SPD Projekt gab der Bundestag am vorletzten Sitzungstag seinen Segen – ein Mindestlohn von 8,50 Euro ist spätestens ab 2015 Gesetz. In der Positiv-Bilanz der Union tauchen bisher die Mütterrente auf, ein schärferes Asylrecht und der Umstand, dass Wolfgang Schäuble auf gutem Weg zur „Schwarzen Null“ im nächsten Bundeshaushalt ist – dem ersten Etat seit Jahrzehnten ohne neue Schulden.

Außerdem haben CDU und CSU eine Reihe Wenns und Abers in die SPD-Projekte eingeschleust. Der Wirtschaftsflügel hält sich den erfolgreichen Kampf für Ausnahmen vom Mindestlohn zugute und den Einsatz dafür, dass Betriebe altgediente Mitarbeiter übers Rentenalter hinaus leichter beschäftigen können.

In der Union grummelt es

Aber solche Nachbesserungen sind ein zweischneidiges Schwert: Mögen sie in der Sache den eigenen Anhängern und Wählern gefallen, verstärken sie doch zugleich den Eindruck, dass der Union nur das Meckern bleibt. Zumal dort hinter vorgehaltener Hand wirklich viel gemeckert wird. „Wir haben bei der Bundestagswahl 42 Prozent gekriegt“, schimpft ein CDU-Abgeordneter. „Sehen Sie irgendwo etwas davon?!“ In der Unionsspitze lösen solche Bemerkungen inzwischen genervte Besorgnis aus. Die meisten dort haben die erste große Koalition unter Angela Merkel miterlebt. Damals waren es die Sozialdemokraten, die über Merkels angebliche „Sonnendeck“-Politik schimpften und sich selbst als schweißbedeckte Malocher im Maschinenraum bemitleideten. Die Quittung am Wahlabend fiel bekanntlich übel aus. Der Gedanke, dass diesmal die Union eigene Erfolge erfolgreich klein redet, gefällt jemandem wie dem Unionsfraktionschef Volker Kauder gar nicht. Er hat seine Leute schon ermahnt. Geholfen hat es bisher wenig. Immerhin hält aber die Fraktionsdisziplin – fünf Nein-Sager aus den Hinterbänken der Union sind angesichts der Riesenmehrheit von Union und SPD nicht der Rede wert.

Die große Koalition bleibt ein Zweckverbund auf begrenzte Zeit

Beim kleineren Koalitionspartner hat das Abweichlertum eigentlich Tradition. Aber selbst die SPD-Linken, sonst zu jeder Selbstzerfleischung um des Prinzips Willen gern bereit, sind weitgehend verstummt. Die eigenen Projekte laufen glatt, die Irritationen um den Rücktritt des CSU-Ministers Hans-Peter Friedrich und den Ex-SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy sind ohne schwerwiegende Folgen geblieben. Ihre eigenen Minister sind mit Ideen in den Nachrichten präsent und nicht mit Zweifeln aus den eigenen Reihen, ob der oder die da eigentlich am richtigen Ort sind. Speziell der Außenminister entwickelt sich zum Liebling der Nation. Der Routinier Frank-Walter Steinmeier taucht an allen Krisenfronten dieser Welt in Vermittlungsmission auf. Und auch wenn etwa in der Ukraine-Krise die beharrliche Telefondiplomatie der Kanzlerin beim russischen Präsidenten Wladimir Putin der entscheidende deutsche Draht sein dürfte – neben der mächtigsten Frau Europas wirkt ihr weißhaariger Außenamtschef keineswegs wie zweite Reihe.

Die SPD ist mit ihrer Bilanz zufrieden

Am Tag der Europawahl konnte man denn auch einen sehr zufriedenen SPD-Chef Sigmar Gabriel im Willy-Brandt-Haus erleben. Gabriel taxierte seine Anhänger, die über acht Prozent Zugewinn jubelten, und gab ihnen dann bedachtsam Zucker. Er wusste natürlich, dass das Plus nur so gewaltig wirkte, weil die SPD fünf Jahre vorher auf dem absoluten Europa-Tiefpunkt gelandet war. Aber dass der Trend nach langen Absturz-Jahren endlich mal nach oben wies, bestärkte doch die taktische Grundaufstellung, in die er die Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl manövriert hatte: Ab in die große Koalition, dort gute Arbeit machen und Vertrauenspunkte in Wählerschichten jenseits der eigenen Kernklientel sammeln – aber gerne zugleich dort, wo es gefahrlos möglich scheint, der Über-Kanzlerin ein bisschen am Kostüm flicken.

Im Streit um die EU-Spitzenposten hat das noch nicht richtig funktioniert. Aber es wird weitere Gelegenheiten geben. Innerlich hat die SPD diese Haltung fast durchweg übernommen. Im Maschinenraum der Koalition, versichern alle von Kauder über die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt bis zum SPD-Gegenpart Thomas Oppermann, funktioniere die Zusammenarbeit. Aber richtig eng ist sie nicht. Anders als beim ersten Aufeinandertreffen der Volksparteien, das der Wähler erzwang, ist diesmal von neuen Freundschaften keine Rede. Die große Koalition bleibt im eigenen Bewusstsein ein Zweckverbund auf klar begrenzte Zeit.

SPD hofft aufs Scheinwerferlicht

Diese Zeit freilich, darauf verweisen sie bei der Union gerne, hat gerade erst angefangen. Beim größeren Koalitionspartner sind mittlerweile Fußball-Weisheiten beliebt: „Entschieden wird in der zweiten Halbzeit“, heißt so ein tröstlicher Spruch. Dahinter steht die Hoffnung, dass in der Schlussbilanz Unionsminister schon ihren gebührenden Platz finden werden – Hermann Gröhe mit einer Pflegereform, die gerade erst in Gang kommt, oder eben Dobrindt mit der Maut. Vielleicht zahlt sich irgendwann auch Merkels Coup aus, Ursula von der Leyen das Verteidigungsressort zu geben. Und mancher spekuliert offen darauf, dass die SPD-Kabinettskollegen nach früh getaner Arbeit aus dem Scheinwerferlicht rücken werden. Derlei Zukunftsbilder sind tröstlich, ruhen freilich auf allerlei optimistischen Annahmen. Die müssen nicht stimmen – auch Fußballspiele werden manchmal ja schon in der ersten Halbzeit verloren. Doch bis auf Weiteres macht dieser Gedanke in CDU und CSU nur wenige nervös. Dahinter steht eine Überzeugung, die sich, ohne dass man viel darüber redet, in der Union tief eingenistet hat. „Dann muss eben Angela Merkel noch einmal ran“, sagt ein CDU-Politiker. Bisher drängt sich kein Nachfolger auf, auch keine weithin akzeptierte Nachfolgerin. Merkel ist klar, dass ihre Partei sie in die Pflicht nehmen könnte. Und das um so eher, je erfolgreicher das Projekt des Sigmar Gabriel verläuft.

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