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Update

Die Lage in Japan: Blackbox Fukushima

Tokio verbreitet Zuversicht – aber die Lage der Unglücksatommeiler bleibt unklar. Nun wird erwogen, die Atomruine von Fukushima mit einem Betonsarkophag wie in Tschernobyl zu verschließen.

Die atomare Krise erlaube keinen Optimismus, hat Ministerpräsident Naoto Kan am Freitag in einer Fernsehansprache gesagt. Die Lage werde aber „in nicht weiter Ferne“ unter Kontrolle gebracht. Woher er diesen Optimismus nimmt, sagte Kan nicht. Denn auch am Tag acht der Atomkrise in Fukushima Dai-ichi gab es zunächst keine großen Fortschritte bei der Stabilisierung der drei havarierten Reaktoren und vor allem der gefährlich strahlenden Brennelementebecken der Blöcke 3 und 4. In den Notquartieren der Erdbebenopfer herrschen weiter dramatische Zustände. Kan versuchte, seinen Mitbürgern nach dem Erdbeben und Tsunami vom vergangenen Freitag Mut zuzusprechen. „Japan als Land wird die Katastrophe überwinden und sich erholen“, sagte er.

Die Internationale Atomenergiebehörde IAEO kritisierte die bisherige Informationspolitik Japans zum Fukushima-Drama. Ministerpräsident Naoto Kan sicherte IAEO-Chef Yukiya Amano bei einem Treffen in Tokio zu, die internationale Öffentlichkeit besser über die Entwicklungen zu informieren. In der Tageszusammenfassung der IAEO hieß es am Freitag: „Die Situation bleibt sehr ernst, aber es gab keine deutliche Verschlechterung seit gestern.“ So lesen sich in diesen Tagen die guten Nachrichten aus Fukushima. Aus dem beschädigten Reaktor 2 sowie dem Brennelementebecken des Blocks 3 entwich am Freitag weiter radioaktiver Dampf, sagte Regierungssprecher Yukio Edano. Die höchsten Radioaktivitätswerte abgesehen vom Anlagengelände selbst sind nach IAEO-Angaben etwa 30 Kilometer vom Atomkomplex entfernt gemessen worden. Das ist die Region, in der die Bewohner angewiesen wurden, ihre Häuser nicht zu verlassen sowie Fenster und Türen geschlossen zu halten. Dort gab es Werte von 80 bis 170 Mikrosievert pro Stunde, das entspricht in etwa einer noch verträglichen Jahresdosis.

Wie verzweifelt die Lage tatsächlich ist, ließ ein Sprecher der Betreiberfirma Tokyo Electric Power Company (Tepco) am Freitag erkennen. Es sei denkbar, die Anlagen mit Sand und Beton abzuschirmen, sagte er. Die Atomruine von Tschernobyl wurde nach der Katastrophe unter einem Beton-Sarkophag begraben. Ähnliche Überlegungen gibt es nun auch in Japan. Dies sei aber gegenwärtig noch keine realistische Option, erklärte die Atomsicherheitsbehörde.

Michael Sailer, Geschäftsführer des Öko-Instituts Freiburg und Mitglied der Reaktorsicherheitskommission (RSK), hat Zweifel, dass es Tepco tatsächlich gelingen könnte, die regulären Nebenkühlpumpen der havarierten Atomkraftwerke wieder in Gang zu setzen. Zwar vermeldete Tepco, dass neben dem Reaktor 1 eine Stromverteilstation errichtet worden sei, ein Anschluss der Reaktoren 1 und 2 sei für den Samstag und für die Reaktoren 3 und 4 für den Sonntag geplant. Doch Sailer weist darauf hin, dass es keine Garantie dafür gibt, dass die Nebenkühlpumpen dem Tsunami vom vergangenen Freitag standgehalten haben. Eberhard Grauf, ehemaliger Kraftwerksleiter in Neckarwestheim und ebenfalls Mitglied der RSK, hofft auf einen Erfolg dieses Versuchs. Denn wenn es gelänge, wieder einen kontinuierlichen Kühlkreislauf für die drei Reaktoren 1, 2 und 3 herzustellen, deren Kerne zumindest teilweise geschmolzen sind oder noch weiter schmelzen, dann steige die Chance, dass die Reaktordruckbehälter dieser Belastung standhalten und eine „großflächige Verstrahlung“ verhindert werden könne. Die Reaktordruckbehälter der Reaktoren 1 und 3 werden von innen und außen mit Meerwasser gekühlt. Sie können allerdings nicht vollständig geflutet werden, weil sonst das Risiko bestünde, dass wieder eine Kettenreaktion in Gang gesetzt wird. Deshalb wird in Kauf genommen, dass die Brennelemente teilweise trocken liegen.

Neben den 50 Mitarbeitern, die auch während der höchsten Strahlungswerte weiter versuchten, die Kontrolle über die Reaktoren und die Brennelementebecken zurückzugewinnen, sind inzwischen 130 weitere Soldaten, Feuerwehrleute und Polizisten im Einsatz. Grauf sagt: „Jetzt ist wenigstens das richtige Gerät zum Einsatz gekommen.“ Damit meint er vor allem die elf Wasserwerfer der japanischen Armee, von denen sechs seit Donnerstagabend im Einsatz sind. Damit ist es offenbar gelungen, zumindest ins Brennelemente-Becken 3 wieder mehr Kühlwasser zu bringen. Die Dampfwolke über dem Becken erhöht zwar die Strahlung, zeigt aber auch den Erfolg der Aktion. Von diesen Becken geht aber weiter die größte Gefahr aus.

Bei dem Erdbeben und dem Tsunami im Nordosten Japans sind mehr Menschen ums Leben gekommen als beim Beben in der japanischen Hafenstadt Kobe im Jahr 1995. Nach neuesten Angaben stieg die Zahl der Toten auf 6539, berichtete der japanische Fernsehsender NHK unter Berufung auf die Polizei. Es wird allerdings befürchtet, dass noch weit mehr Menschen der Katastrophe zum Opfer fielen. Bei dem Beben im Raum Kobe waren 6434 Menschen gestorben. Nach dem Großbeben vor etwa einer Woche mit der Stärke 9,0 werden weiter mehr als 9000 Menschen vermisst. Es gilt als praktisch ausgeschlossen, dass jetzt noch Opfer lebend aus den Trümmern geborgen werden.    Die Folgen von Erdbeben und Wasserwalze, die steigende Atomgefahr und Eiseskälte setzen nun auch den Überlebenden der Dreifachkatastrophe immer heftiger zu. NHK zufolge sind mindestens 25 Flüchtlinge schon gestorben. Sie seien meist alt und total entkräftet gewesen – womöglich wären sie ohne den Kälteeinbruch noch am Leben. (mit dpa)

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