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Die Ministerpräsidenten von Moldau, Ukraine und Georgien mit EU-Präsidentin Ursula von der Leyen im November in Brüssel.

© AFP

Brüssel ist ermüdet, die Region driftet ab: Die EU muss die Östliche Partnerschaft wiederbeleben

Ukraine, Moldau und Georgien brauchen vertiefte Integration und die Europäer müssen die Rechtstaatlichkeit stärker fördern. Ein Gastbeitrag.

Hugo von Essen und Andreas Umland sind Analysten des Stockholmer Zentrums für Osteuropastudien am Schwedischen Institut für Internationale Angelegenheiten

Die EU und ihre sechs östlichen Partner kommen an diesem Mittwoch in Brüssel zum sechsten Gipfeltreffen der „Östlichen Partnerschaft“ (ÖP) zusammen. Angesichts der zunehmenden Spannungen und Krisen in der Region kommt diesem Format eine entscheidende Rolle zu.

Doch in Brüssel hat sich Ermüdung breit gemacht und in der östlichen Region selbst sieht es düster aus. Daher sollte die EU ihre Zusammenarbeit mit den ÖP-Staaten grundlegend überdenken.

Sie muss besser zwischen langsamen und schnellen Reformern unterscheiden sowie die Integration des Assoziierungstrios Ukraine, Moldau und Georgien vertiefen, deren brennenden Sicherheitsfragen angehen und ihnen wirksamer bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen helfen. Darüber hinaus sollte sich Brüssel stärker als bislang für eine Demokratisierung in der gesamten Region engagieren.

Die belarussisch-polnische Grenz- und Migrationskrise oder Russlands militärische Drohgebärden rund um die Ukraine, erinnern an die schmerzliche Unvollständigkeit des europäischen Einigungsprojekts nach Ende des Kalten Krieges. Die Ukraine,Georgien, Moldau, Armenien, Aserbaidschan und Belarus sind nicht nur EU-Nachbarn, sondern auch Teile Europas. Daher war es richtig, dass die EU 2009 die „Östliche Partnerschaft“ (ÖP) als Sonderprogramm für diese sechs Länder aufgelegt hat.

Das Gesamtbild in der Region sieht düster aus

Seitdem hat die Partnerschaft für einige der sechs Länder spürbare Ergebnisse gebracht: Reformkräfte wurden mobilisiert, EU-Finanzhilfe und -Marktzugang haben die Auswirkungen von Wirtschaftskrisen und russischen Handelsembargos gemildert. Und die Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau haben die Handels- und Investitionsströme, politischen und kulturellen Beziehungen sowie die zwischenmenschlichen Kontakte verbessert.

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Dennoch sieht das Gesamtbild in der ÖP-Region düster aus. Das Wirtschaftswachstum war eher unregelmäßig, Korruption wurde zwar aufgedeckt, aber nicht beseitigt, und Reformen wurden teils nicht durchgeführt, nur unzureichend umgesetzt oder sogar rückgängig gemacht. In Brüssel, den EU-Mitgliedstaaten und Washington hat sich Ermüdung mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft breit gemacht. Das Bewusstsein für die strategische Bedeutung der Region ist zurückgegangen. Schlimmer noch, der Kreml versucht mit allen Mitteln, die Souveränität der sechs ÖP-Staaten in dieser oder jener Form zu unterwandern.

Trotz der enormen Herausforderungen existiert weiter die Vision von einem Europa „geeint, frei und in Frieden“, wie einst von George Bush Senior formuliert. Dieses strategische Projekt zielte darauf ab, ein vereinigtes und sicheres Europa zu schaffen, das auf demokratischen Prinzipien, Rechtsstaatlichkeit und der Achtung der Menschenrechte beruht. Heute muss diese Vision in Erinnerung gerufen und neu belebt werden.

Die Fortsetzung des Status quo führt zu Krisen und Zerfall

Die Alternative zum gesamteuropäischen Projekt ist nicht die Fortsetzung des Status quo. Die internen Probleme der sechs ÖP-Nationen und deren externe Bedrohungen, vor allem durch Russland, werden zu Rückschritten führen – wenn nicht gar zu Krisen und Zerfall. Moskaus Gegenvision ist eine eurasische Sicherheitsordnung, die auf der Dominanz von Großmächten sowie deren privilegierten Einflusssphären beruht und impliziert, dass einige Staaten weniger souverän und unabhängig sind als andere.

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Um die Vision eines friedlichen und geeinten Europas mit neuem Leben zu füllen, muss die EU ihre Östliche Partnerschaft aufwerten und weiterentwickeln. Um die gewaltigen Probleme der einzelnen Länder besser zu bewältigen, muss die EU ihre bilateralen Beziehungen in der östlichen Nachbarschaft weiter differenzieren und intensivieren. Brüssel sollte durch maßgeschneiderte Maßnahmen, gezielte Anreize und individuelle Aktionspläne besser auf die besonderen Umstände jedes einzelnen Landes reagieren.

Ukraine, Moldau, Georgien brauchen intensivere Beteiligung am Binnenmarkt

Für das Assoziierungstrio Ukraine, Moldau und Georgien würde stärkere Differenzierung eine vertiefte Integration in die EU in mehreren Bereichen bedeuten. Dies betrifft vor allem eine stärkere Unterstützung bei der Rechtsangleichung des Trios an den EU-Besitzstand, eine intensivere Beteiligung am Binnenmarkt der Union (insbesondere in den Bereichen Energie und Banken) und eine verbesserte Zusammenarbeit in Bereichen wie Verkehr, Digitalisierung und Sicherheit. Ebenfalls notwendig ist eine schnellere Einbeziehung in immer mehr interne EU-Programme und -Agenturen, eine engere allgemeine institutionelle Beziehung zwischen dem Trio und Brüssel sowie erweiterte bilaterale und multilaterale Konsultationsformate.

Der georgische Ex-Präsident Mikhail Saakashwili vor Gericht - rechtsstaatliche Standards wurden im Umgang mit ihm nicht immer eingehalten.
Der georgische Ex-Präsident Mikhail Saakashwili vor Gericht - rechtsstaatliche Standards wurden im Umgang mit ihm nicht immer eingehalten.

© IRAKLI GEDENIDZE / AFP

Nicht zuletzt muss die EU die nötige politische Stabilität für wirtschaftliche Entwicklung und Reformbemühungen in der ÖP-Region besser gewährleisten und die Sicherheitslage sowohl in West- als auch in Osteuropa verbessern. Um dies zu erreichen, sollte die EU ihre sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit dem Assoziierungstrio deutlich verstärken.

Das mangelnde Engagement der EU hat den Erfolg der Östlichen Partnerschaft behindert und andere Akteure ermutigt ihre Einflussbereiche auszuweiten. Wenn die EU ein strategisch eigenständiger geopolitischer Akteur werden will und Europa sicherer werden soll, muss Brüssel mehr Denken und Mittel in die Sicherheit ihrer östlichen Nachbarschaft investieren.

Von hoher Bedeutung für die künftige Sicherheit sowohl der ÖP als auch der EU ist eine vertiefte Zusammenarbeit beim Schutz vor Hybridangriffen. Eine neue Toolbox zur Abwehr hybrider Bedrohungen der EU kann gemeinsam mit dem Assoziierungstrio umgesetzt werden. Ziel muss eine verbesserte strategische Kommunikation, erhöhte Sichtbarkeit der EU auf Bürgerebene und verstärkte Unterstützung für unabhängige lokale Medien sein.

In ihrer zunehmend opportunistischen und transaktionalen Behandlung der Östlichen Partnerschaft verschließt die EU die Augen vor langsamen, manipulierten oder fehlenden Reformen. Damit wird die übergeordnete Agenda der EU untergraben, und Brüssel verliert an Glaubwürdigkeit. Daher sollte EU verstärkt auf den Aufbau von Institutionen, eine systematische und „intelligente“ Konditionalität sowie mehr Engagement für die Zivilgesellschaft setzen. Die EU darf ihr womöglich wichtigstes politisches Instrument nicht aufgeben – ihre normative Kraft.

Hugo von Essen, Andreas Umland

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