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Politik: Brüsseler Geflecht

Bund und Länder streiten – aber die künftige EU verlangt eine bessere Vertretung deutscher Interessen

Berlin - Es ist ein Mammutprogramm: 114 Maßnahmen hat sich die EU-Kommission unter José Manuel Barroso für dieses Jahr vorgenommen. In der Brüsseler Pipeline stecken zudem mehr als 150 Rechtsvorschläge – von der Eurovignette über ein neues Asyl- und Zuwanderungsrecht bis zur umstrittenen Dienstleistungsrichtlinie. Für Deutschland haben EU-Entscheidungen große Bedeutung – denn was in Brüssel beschlossen wird, muss in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. So geht das rot-grüne Antidiskriminierungsgesetz auf eine EU-Richtlinie zurück.

Für die EU-Mitgliedstaaten ist es deshalb längst selbstverständlich geworden, im Brüsseler Geflecht von Kommission, Ministerräten und Europaparlament rechtzeitig Einfluss zu nehmen. In Deutschland ist das allerdings komplizierter als anderswo, weil Bund wie Länder an der Europapolitik beteiligt sind. Das Miteinander – und sehr oft auch Gegeneinander – in Brüssel war daher auch ein Thema der Föderalismuskommission. Denn die deutsche EU-Politik hat Defizite. Eine Änderung des einschlägigen Grundgesetzartikels 23 (siehe Kasten) allerdings verweigerten die Länder. Nach dem Scheitern der Kommission im Dezember stellt sich nun aber erst recht die Frage: Ist Deutschland in Brüssel gut aufgestellt?

Klaus Hänsch, einer der erfahrensten deutschen Europapolitiker, hat da Zweifel. Der Expräsident des Europaparlaments malt sich schon aus, wie die vergrößerte EU mit der geplanten Verfassung funktionieren würde: „Fast die gesamte EU-Gesetzgebung wird künftig mit Mehrheit beschlossen. Um Mehrheiten zu erreichen, muss Deutschland bereits am Anfang und nicht erst am Ende eines Gesetzgebungsprozesses verhandlungsfähig sein.“ Allein das mache eine Reform des deutschen Föderalismus nötig. Hänschs klares Fazit der gängigen Praxis: „Der bisherige Bund-Länder-Mitwirkungsmix schwächt die Verhandlungs- und Entscheidungsfähigkeit Deutschlands im Gesetzgebungsprozess der EU.“ Mit dem vorläufigen Scheitern der Reformkommission sei auch der Versuch gescheitert, den deutschen Föderalismus an die Entwicklung in Europa anzupassen.

Vor allem die Bundesregierung hatte darauf gedrungen, dass etwas geschehen müsse. „Der deutsche Föderalismus muss europatauglicher werden“, forderte Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) immer wieder. Und das hieß aus Sicht des Bundes, den Artikel 23, der die Mitwirkungsrechte der Länder regelt, auszudünnen, wenn nicht ganz abzuschaffen. Schließlich sei die Außenvertretung Deutschlands Sache des Bundes. Die ständige Rückkopplung mit dem Bundesrat erschwere das aber.

So einfach sei das nicht, hielten die Länder dieser Ansicht entgegen. Europapolitik sei längst nicht mehr reine Außenpolitik, es gehe hier nicht mehr um klassische Diplomatie mit anderen Staaten. In Brüssel werde europäische Innenpolitik gemacht. Daher müssten die Länder über den Bundesrat beteiligt bleiben, ja sogar direkt in Brüssel mitmischen dürfen.

Zwischen diesen beiden Positionen war ein Kompromiss zur Änderung des Grundgesetzes nicht möglich. Doch beide Seiten hatten auch erkannt, dass ganz ohne eine Änderung des Verfahrens Deutschland insgesamt Nachteile haben wird in der künftigen EU. Statt den Artikel 23 zu ändern, sollte daher nach einer Lösung „unterhalb der Verfassung“ gesucht werden. Die Chefs der Föderalismuskommission, Franz Müntefering und Edmund Stoiber, peilten an, eine bessere Koordinierung von Bund und Ländern durch separate Gespräche zu erreichen. Die sollten im Februar beginnen.

In der Kommission gab es eine ganze Reihe von Vorschlägen für eine bessere Zusammenarbeit der staatlichen Ebenen. Auf Interesse der Reformer stieß nicht zuletzt ein Papier des Hannoveraner Staatsrechtlers Hans-Peter Schneider, der als Sachverständiger Mitglied der Kommission war und beide Seiten – Bund wie Länder – dafür verantwortlich macht, dass es nicht so gut klappt mit der deutschen Europapolitik. So hält Schneider es für nötig, dass in der Bundesregierung ein Europaminister ernannt wird, um die europapolitische Koordinierung zu verbessern. Die Länder sollten wiederum die Europakammer des Bundesrats aufwerten und das Gremium als ständigen Ansprechpartner der Bundesregierung ausbauen. Der Vorsitzende dieser Kammer sollte als Bevollmächtigter aller Länder in Brüssel auftreten und mit den Leitern der EU-Vertretungen der Länder den Europaminister des Bundes unterstützen.

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