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Verfassungsrichter sollen entscheiden, ob die EZB ihr Mandat einhält.

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Bundesverfassungsgericht: Ökonomen sehen Anleihekäufe der EZB kritisch

Der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn spricht in Karlsruhe von gefährlicher Retterei. Ein Professorenkollege betont die Risiken, erkennt aber auch, dass die umstrittene Maßnahme möglicherweise zulässig ist.

Hätten Wirtschaftsprofessoren die Rechtmäßigkeit der Euro-Rettung zu bewerten, so stünde ihr Urteil wohl fest. Am zweiten Tag der Verhandlung zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Euro-Rettungsschirm ESM vor dem Bundesverfassungsgericht formulierten die geladenen Sachverständigen harte Kritik. Die EZB hatte angekündigt, Staatsanleihen aus Krisenländern notfalls in unbegrenzter Höhe zu kaufen. Die Kläger sehen darin einen Fall verbotener Staatsfinanzierung, der das Mandat für Europas Notenbank überschreite, Preisstabilität zu gewährleisten. Die EZB verfüge über Geld der Steuerzahler, ohne dass der Bundestag darauf Einfluss nehmen könne.

Am schärfsten griff Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung den EZB-Kurs an. Dem Gericht hatte er eine Rechnung vorgelegt, derzufolge ein Haftungsrisiko von insgesamt 1363 Milliarden Euro drohe. Deutschland als größter EZB-Anteilseigner müsste dann mit einer Maximalbelastung von 369 Milliarden Euro rechnen. Sinn kalkuliert Zinsausfälle mit ein. Die EZB hatte dagegen dargelegt, die Haftung sei auf höchstens 542 Milliarden Euro begrenzt.

Der Euro: „Geleitschutz für das Sparkapital des Nordens auf dem Weg in den Süden“

Vor Gericht nutzte Sinn, der sich vom einstigen Befürworter der Gemeinschaftswährung zu ihrem Gegner entwickelt hat, die Gelegenheit für einen Rundumschlag. Der Euro sei der „Geleitschutz für das Sparkapital des Nordens auf dem Weg in den Süden“. Die Währung sei in den Mitgliedstaaten so interpretiert worden, dass man sich als Bank „mit Staatskapital vollsaugen und auf Eigenkapital verzichten könne“. „Die Retterei ist gefährlich“, warnte Sinn. Indem die EZB auf die Zinsen für Anleihen drücke, verschuldeten sich die Staaten nur noch mehr.

„Dabei ist die Vergemeinschaftung von Schulden Sprengstoff.“ Nun habe die Intervention der EZB die Schieflage „überkompensiert“, dies führe zu einer „Enteignungspolitik“ für die Sparer im Norden aufgrund unrealistisch niedriger Zinssätze.

Der Vorwurf: EZB mache verkappte Finanzpolitik

Zurückhaltender äußerte sich Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Er teilte aber die Kritik, die EZB mache verkappte Finanzpolitik, statt sich auf Geldpolitik zu beschränken. „Schwerpunkt des Ankaufprogramms ist die Wahrung der Möglichkeiten für die Staaten, sich über den Kapitalmarkt zu finanzieren“, sagte Fuest. Das sei zwar eine unabhängige Entscheidung der europäischen Notenbank, „aber die Wahrung der Preisstabilität ist hier nicht das Hauptproblem“. Fuest betonte, es sei „klar, dass zusätzliche Risiken übernommen werden“. Aus Sicht eines Bundestagsabgeordneten sei die Frage nicht zu beantworten, wie viel Geld dabei ins Risiko gestellt werde.

Der Wirtschaftswissenschaftler widersprach auch dem EZB-Vertreter Jörg Asmussen. Der hatte die Eingriffe der Notenbank tags zuvor damit begründet, dass deren Impulse in den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten nicht mehr angekommen seien und die Zinsen für Staatsanleihen aus Krisenländern irrationale Ausmaße angenommen hätten. Es gebe „keinen Beleg für Risikozuschläge aufgrund eines drohenden Zerfalls der Union“, sagte Fuest. Die EZB agiere stattdessen „in einer Grauzone“. Allerdings bot Fuest dem Gericht auch eine Sicht der Dinge an, die auf eine Zulässigkeit der Maßnahmen hinausläuft – wenn Ziel der EZB gewesen sei, erst einmal die Voraussetzungen zu schaffen, damit ihre Geldpolitik ankommen kann.

Auch der Euro-Rettungsschirm ESM war Thema in Karlsruhe. Hier machte das Gericht deutlich, dass der Bundestag an Entscheidungen zu den Bürgschaftsmilliarden noch immer nicht hinreichend beteiligt sei.

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