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Die schlechten Umfragewerte für ihre Partei setzen auch die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer unter Druck.

© picture alliance/dpa/Michael Kappeler

CDU im Sinkflug: Fehler und Patzer passen in ein größeres Muster

Der Verlust der Wählergunst belasten die CDU und ihre Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Jetzt einfach zu ,ergrünen’ wäre aber zu riskant. Eine Analyse.

Von Robert Birnbaum

Im Nachhinein sind viele klüger. Wenn man sich die Wahlergebnisse ansehe, sinnierte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer diese Woche beim Jahrestreffen des Münchner Ifo-Wirtschaftsinstituts, dann sei die Klimapolitik auf dem besten Weg, die Migrationspolitik als Spaltungsfrage abzulösen. „Bis auf Weiteres sind die Grünen für die Union jedenfalls Wettbewerber Nummer eins“, findet ihr einstiger Mitbewerber Friedrich Merz im „Handelsblatt“. Selbst die Kanzlerin, mit Selbstkritik sonst sparsam, räumt ein: „Wir waren nicht gut genug.“

Das sahen bei der Europawahl viele Wähler genauso und inzwischen sogar noch viele mehr. Als die erste Umfrage nach dem Wahlsonntag die Grünen knapp vor der Union platzierte, erschien das wie ein Ausreißer. Doch die großen Institute bestätigen den Trend: In „Politbarometer“ und ARD-„Deutschlandtrend“ liegen Volks- und Ökopartei etwa gleichauf bei 25 oder 26 Prozent.

Für die Grünen ist das Rekord. Als die Union einmal 2018 ähnlich weit unten landete, gab Angela Merkel den Parteivorsitz auf. Ihre Nachfolgerin steht nach einem halben Jahr im Amt noch viel bedenklicher da: Die Parteiwerte im Keller, die persönlichen Beliebtheitswerte regelrecht unterirdisch. Von dem kurzen Zwischenhoch, das der Vorsitz-Wettkampf der CDU bescherte, ist nichts übrig. Dafür kehrt, kaum verdeckt, der Wettkampf zurück. Während Merkel, Kramp-Karrenbauer und andere Stabilität beschwören, ruft Merz von der Seitenlinie: „Die Große Koalition hält nicht über den Jahreswechsel 2019/2020 hinaus.“

Mit der Prognose steht er nicht allein da, auch wenn mancher führende Unionspolitiker hofft, dass sich die katastrophalen Umfragen als paradoxer Stabilisator erweisen. Schließlich ist auch die SPD nach dem Wahltag weiter abgestürzt und rivalisiert jetzt mit der AfD um die Plätze drei und vier. Das sollte die Lust auf Neuwahlen dämpfen. Wenn man den Absturz nicht als dauerhaften Trend deutet, könnte sich Durchhalten und Nachbessern auszahlen.

Das Problem ist nur: So leicht sich im Wahlkampf und den Monaten davor Fehler und Patzer finden lassen, die zu den miesen Ergebnissen beigetragen haben, so sehr passen sie zugleich in ein größeres Muster. Und selbst wenn die aktuellen Umfragen sich als übertriebene Ausschläge erweisen sollten, bleibt ein beunruhigender Befund. Die Langzeit-Kurven der Demoskopen vermerken für die Partner der großen Koalition einen ebenso steten Trend nach unten wie für die Grünen einen nach oben.

Schaut man die Demoskopen-Zahlen detaillierter an, wird die Lage nicht nur für die SPD, sondern auch die CDU noch schwieriger. Hieß es vor nicht allzu langer Zeit noch, dass die Wählerstruktur der Grünen zu „ergrauen“ drohe, droht der Union nun ein „Ergrünen“ ganzer Generationen. Bei der Europawahl half der CDU nur eine fast absolute Mehrheit bei den über 70-Jährigen und ein 33-Prozent-Ergebnis in der Gruppe der 60er auf den ersten Platz.

Jetzt selber zu ergrünen, wäre für die CDU zu riskant

Bei den Jungen bis 34 Jahre lagen dagegen die Grünen vorn, in den folgenden Jahrgangskohorten holen sie auf. Noch dramatischer der Blick auf die Berufsstrukturen. Arbeiter und Rentner wählten noch CDU und CSU – bei Angestellten und sogar bei Selbständigen hat Grün über- und eingeholt. In beiden Entwicklungen steckt für die Union die gleiche Botschaft: Die Jüngeren mit den zukunftsfähigen Berufen sehen in der Volkspartei immer weniger ihr Zuhause; nur den Alten und den von einer Industriewelt 4.0 Bedrohten bieten sie noch Heimat. Und die treuen Alten werden weniger.

Zwischen zwei Bundestagswahlen verliert die CDU etwa eine Million Wähler, die in den vier Jahren starben. Die Nachfolgenden geben ihre Parteibindung nicht an der Rentenkasse ab. Gerade eben kommt jene Babyboomer-Generation ins Rentenalter, die in jungen Jahren den „Atomkraft – Nein Danke“-Button trug. Auch deshalb kam das Klima-Thema so explosionsartig zurück: Die „Fridays for Future“-Kids trafen bei Opa und Oma auf einen alten Resonanzboden.

Jetzt einfach selber zu ergrünen wäre für die CDU freilich auch riskant. Bei den Landtagswahlen im Herbst steht sie dem alten Hauptgegner gegenüber. Die AfD scheint bundesweit ihren Peak überschritten zu haben, seit die Parole „Merkel muss weg“ sinnlos wurde.

Aber in Brandenburg, Thüringen und vor allem in Sachsen sind die Rechtspopulisten weiter stark. Klimaschutz verbinden in den alten Braunkohle-, Stahl- und Chemierevieren viele mit dem Zusammenbruch der DDR-Industrie. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland weiß genau, weshalb er von „Klimahysterie“ spricht.

Die CDU steckt damit in der Klemme: Hier der Westen, in dem die Klima- die Flüchtlingsfrage fast verdrängt hat – dort der Osten, wo es umgekehrt ist. Genau diese Spaltungslinie machte Kramp-Karrenbauer in München Sorge. Die Saarländerin versucht es mit einem Weg, der in ihrer Heimat, einst selbst Kohleland, nicht schlecht funktionierte: Klimaschutz müsse sozial ausgewogen sein und dürfe die Betroffenen nicht belasten.

Das müssen die Betroffenen dann allerdings auch glauben. Die Sprachlosigkeit, die die CDU-Spitze beim ersten Auftauchen des Klima-Themas befiel, kann sich da leicht zum zweiten Mal rächen. Denn auch das zeigen die Umfragen: Das Zutrauen ist denkbar gering, dass ausgerechnet der CDU in der Klimapolitik eine Quadratur des Kreises gelingt.

Und die Zeit wird knapp – für ein glaubwürdiges Konzept wie für Kramp-Karrenbauer selbst. Dass die massiven Verluste der Union an die Grünen einzig dem Klimathema geschuldet sind, glaubt schließlich kein Mensch. Vieles deutet darauf hin, dass sich Wählerkreise abwenden, die Merkel mit ihrem liberalen Image an die Partei binden konnte.

Das Ost-West-Dilemma hat sein innerparteiliches Spiegelbild. Kramp- Karrenbauer mag Merz-Fans vorläufig eingebunden haben – den Preis zahlt sie mit dem eigenen Image. Aus „Mini-Merkel“ – die sie nie war – ist in der öffentlichen Wahrnehmung eine leicht angestaubte Konservative geworden. Das ist sie zwar auch nicht. Aber an Politikern, die frisch auf der Bundes-Bühne sind, bleiben solche frühen Bilder leicht kleben. Für den Platz im Kanzleramt kann sich das als ausgesprochen hinderlich erweisen.

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