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Medizinisches Personal betreut Patienten mit Symptomen des Coronavirus in einem provisorischen Krankenhaus in Wuhan.

© dpa

China, das Coronavirus und die Zensur: Das chinesische Krisenmanagement zeigt, dass die Kontrollwut über allem steht

Die Informationen über die Krankheit waren früh da, aber sie wurden nicht weitergegeben. Das Vorgehen offenbart, wie das System funktioniert. Ein Gastbeitrag.

Nis Grünberg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mercator Institute for China Studies (MERICS) und forscht zu Staatsführung und Ideologie sowie zur Integration von Staat und Partei unter Xi Jinping.

Der Tod des „Helden von Wuhan“ am 7. Februar hatte für eine Welle der Kritik am Krisenmanagement der chinesischen Führung gesorgt. Sie habe anfangs versucht, den Ausbruch des Coronavirus zu verschweigen, kritisierten viele Chinesen in den sozialen Medien. Der junge Dr. Li Wenliang gehörte zu der Gruppe von Ärzten, die in einem Online-Forum bereits Ende Dezember erste Krankheitsfälle diskutiert und vor dem Ausbruch einer SARS-ähnlichen Epidemie gewarnt hatte.

Die örtliche Polizei beschuldigte Li daraufhin, Gerüchte zu verbreiten und brachte ihn zum Schweigen. Li kehrte in seine Klinik zurück und behandelte infizierte Patienten, bis er schließlich selbst an den Folgen der Viruserkrankung starb. Kritiker des chinesischen Krisenmanagements betrachten Dr. Li als Opfer der staatlichen Zensur.

Doch es wäre falsch, von einem außergewöhnliche Vorgang des Vertuschens zu sprechen. Chinas anfänglicher Umgang mit dem Coronavirus steht vielmehr für Routineverhalten. Denn Zensur ist gelernt in einem System, das besessen ist von dem Wunsch nach Informationskontrolle.

Der Informationsfluss versandet in offiziellen Kanälen

Aufs Strengste lässt die chinesische Führung die Verbreitung jeglicher Informationen oder „Gerüchte“ überwachen, die eventuell die gesellschaftliche Stabilität bedrohen oder Kritik an der Regierung auslösen könnten. Längst ist klar, dass Informationen zum Virus schon früh weitergegeben wurden – nur nicht an die Öffentlichkeit. Chinas Zentrum für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) verfügt über ein Meldesystem, das von Ärzten verlangt, Fälle wie Coronavirus-Infektionen zu melden.

Aber eine Weitergabe außerhalb der offiziellen Kanäle ist nicht vorgesehen, und muss von Peking abgesegnet werden. In gewisser Hinsicht haben also sowohl das Krankheits-Meldesystem als auch die Zensur einwandfrei funktioniert: der neue Erreger wurde dokumentiert, Meldungen über eine neue SARS-artige Infektion aber wurden unterdrückt, bevor sie sich in der Gesellschaft verbreiten konnten.

Die Coronavirus-Epidemie zeigt, warum kein angemessenes und dringend gebotenes Krisenmanagement ausgelöst wurde. Der chinesischen Führung ist die Informationskontrolle wichtiger als der Informationsaustausch, auch zu dem Preis, dass ein aktives Vorgehen gegen die Ausbreitung des Virus verzögert wurde. Selbst ein Richter des Obersten chinesischen Gerichtshofs kritisierte die Unterdrückung von Informationen, die der Arzt Li und seine Kollegen geteilt hatten.

Die starre Hierarchie lähmt die Entscheidungsfindung

Er machte sogar den Vorschlag, „gelenkte“ Kritik in den Medien zu erlauben, um der verärgerten Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, Druck abzulassen. Die Spannung zwischen Informationskontrolle und Informationsaustausch kann das chinesischen System nicht auflösen. Chinas Einparteienstaat verabscheut Diskussionen und den freien Informationsfluss. Es hat deshalb das komplexeste System für Zensur und Steuerung der öffentlichen Meinung aller Zeiten entwickelt.

Zwar gibt es interne Kanäle für den Austausch sensibler Informationen, aber die Corona-Krise zeigt, dass diese Kanäle nur langsam reagieren. Die entstandene Informationsasymmetrie (Beamte auf lokaler Ebene unterdrücken Informationen) sowie die zentralisierte Entscheidungsfindung (Beamte warten in schwierigen Situationen auf Anweisungen von oben) verhindern ein schnelles und effizientes Reagieren, wo es dringend notwendig wäre.

China hat einiges aus der Sars-Krise von 2003 gelernt. So wurde ein Jahr später das besagte Meldesystem des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention eingeführt. Ärzte müssen es seitdem für die Erfassung neuer Infektionen nutzen. Treten an einem Ort vermehrt Krankheitsfälle auf, müssen die Lokalbehörden informiert werden und die Nationale Gesundheitskommission übernimmt die öffentliche Bekanntgabe des Ausbruchs.

Im Fall von Covid19 bedeutet es, dass sowohl die zentralen Behörden als auch Vertreter der Gesundheitsämter auf lokaler Ebene bereits im Dezember über den Ausbruch informiert waren. Wissenschaftler hatten unter Hochdruck bereits Anfang Januar das Virus identifiziert. Der Katalysator für die aktuelle Corona-Krise war somit kein Informationsdefizit, sondern das langsame politische Handeln.

Die Schuld wird den lokalen Behörden zugeschoben

Xi Jinping soll neueren Berichten zufolge bereits in einem Treffen des Politbüros am 7. Januar Beamte zum Handeln aufgefordert haben, 13 Tage bevor die Öffentlichkeit gewarnt wurde. Während die Ärzte in Wuhan Überstunden einlegten, um trotz begrenzter Mittel der steigenden Zahl von Patienten gerecht zu werden, ignorierte die politische Führung die Warnzeichen und beendete zunächst ihre Sitzungen.

Dann folge eine dramatische Abriegelung ganzer Städte. Doch zu diesem Zeitpunkt war das Virus bereits weit verbreitet, auch medizinisches Personal hatte sich bereits angesteckt. Die Entlassung der Parteivorsitzenden von Wuhan und der Provinz Hubei am 12. Februar unterstreicht Pekings Unzufriedenheit mit dem Handeln, demonstriert aber auch zugleich, dass der lokalen Ebene die Schuld zugeschoben werden soll für Fehler, die das System verursacht.

Die aktuelle Krise legt die Schwäche des chinesischen zentralisiert und hierarchisch organisierten autoritären Systems offen: von Krankenhausrichtlinien bis zur Abriegelung von Provinzen – wichtige Entscheidungen werden von Parteisekretären getroffen, die widersprüchliche politische Überlegungen abwägen müssen. Spezialisierte Behörden, wie das Zentrum für Krankheitskontrolle und -prävention, haben lediglich beratende Funktion, aber keine Weisungsbefugnis.

Der Arzt Li Wenliang wurde so in doppelter Hinsicht Opfer des Systems: Er steht nicht nur für das Risiko, das Ärzte, Schwestern und Pfleger im Kampf gegen das Coronavirus auf sich nehmen, sondern verdeutlicht auch die Schwäche eines Systems, das von Informationskontrolle und Stabilitätsüberlegungen besessen ist.

Pekings Kontrollwut ist ungebremst

Als sich die Nachricht von Lis Tod verbreitete, wurde sie schnell zu einem der Hauptthemen in den sozialen Medien. Erstaunt über die starke öffentliche Reaktion tat das System – wieder einmal – das, was es am besten kann. Zensoren löschten alle Berichte – nur um sie wenige Stunden später offiziell zu bestätigen. Lis Tod wurde zensiert, bis jemand entschied, dass die Öffentlichkeit davon erfahren sollte.

Chinas autoritäre Reflexe sind stark, und auch auf lauter werdende Forderungen nach Redefreiheit reagiert die Führung mit Zensur. Das System zum Umgang mit Krankheiten dürfte im Zuge der Corona-Krise reformiert werden. Xi Jinping hat bereits härtere Regeln für den Konsum von Wildtieren und zum Umgang mit medizinischen Notfällen angekündigt.

Die Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei arbeitet unterdessen an ihrem Narrativ zum Kampf gegen das Virus. Dr. Li kommt dabei eine Heldenrolle zu. Rund 300 Öffentlichkeitsarbeiter wurden nach Wuhan entsandt, um dort die öffentliche Meinung mit positiven Botschaften zu steuern. Die Machtzentrale hat die Informationshoheit zurückgewonnen. Während geringfügige Strukturreformen vermutlich folgen werden, dürfte sich an Pekings Kontrollwut nichts ändern.

Nis Grünberg

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