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Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

© dpa/ Fabian Sommer

Seehofer contra taz-Kolumnistin: Das eigene Haus zweifelte am Strafanzeigen-Plan des Innenministers

Für Ministeriumsbeamte war die Polizei-Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah von der „Presse- und Meinungsfreiheit gedeckt“. Da war Seehofer bereits vorgeprescht.

Die umstrittene polizeikritische Kolumne der „tageszeitung“ war nach Auffassung von Beamten im Bundesinnenministerium von Anfang an kein Fall für die Staatsanwaltschaft. Dies belegen interne Dokumente des Ministeriums, die auf Antrag des Tagesspiegels nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) jetzt erstmals freigegeben wurden.

In einer „grundrechtlichen Bewertung“ kommt das Verfassungsreferat des Ministeriums demnach zu dem Schluss, dass die Aussagen in der Kolumne „All cops are berufsunfähig“ der Journalistin Hengameh Yaghoobifarah als „Meinungsäußerungen“ zu werten und „von der Pressefreiheit und der Kunstfreiheit gedeckt“ gewesen seien.

„Aus hiesiger Sicht dürfte eine strafrechtliche Verurteilung unverhältnismäßig sein“. In ihrem Text hatte die Autorin mit Bezug auf Rechtsextremismus-Vorwürfe gegen Polizisten darüber sinniert, dass diese auf eine Mülldeponie gehörten, wenn die Polizei dereinst aufgelöst würde.

Die Einschätzung zur Strafbarkeit Yaghoobifarahs trägt das Datum vom 23. Juni und kam damit zu spät für Innenminister Horst Seehofer (CSU). Dieser hatte, wie berichtet, bereits einen Tag zuvor in der „Bild-Zeitung“ eine Strafanzeige angekündigt, ohne nähere juristische Prüfungen abzuwarten.

Zu diesem Zweck hatte Seehofer beim fachlich zuständigen Polizeireferat seines Ministeriums am 17. Juni einen Anzeigenentwurf angefordert, dem zufolge sich die Journalistin wegen Volksverhetzung strafbar gemacht haben soll. Zusätzlich wurde damals erwogen, die Chefredakteurinnen der „taz“ Barbara Junge und Katrin Gottschalk wegen Beihilfe anzuzeigen. Nach Intervention von Staatssekretär Hans-Georg Engelke hat man davon aber Abstand genommen.

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Doch auch das Polizeireferat teilte bereits mit Vorlage des Entwurfs am 18. Juni erste Zweifel mit: Es könne „nicht ausgeschlossen werden“, dass angesichts der Würdigung von Presse- und Meinungsfreiheit Staatsanwaltschaft und Gericht „zu einer anderen Einschätzung“ gelangten als das Ministerium.

Es bestehe „die Möglichkeit, dass der Artikel als Satire gewertet und als von der Kunstfreiheit geschützt angesehen werden könnte“. Zudem wurde Diskretion angemahnt. Es sollte – mit Ausnahme der Anzeige selbst – „keine Kommunikation“ zu dem Vorgang geben.

Eigentlich wollte Seehofer bei der Innenministerkonferenz loslegen

Für Horst Seehofer zählten solche Einwände offenbar wenig. Er plante den Unterlagen zufolge den großen öffentlichen Aufschlag bei der Innenministerkonferenz in Erfurt. In der Pressekonferenz zum Abschluss der Veranstaltung am Freitagmittag, 19. Juni, wollte er vor den Journalisten auftreten und sein Vorhaben verkünden. Unmittelbar danach sollte die Strafanzeige der Berliner Staatsanwaltschaft zugeleitet werden.

Seehofer forderte für den Auftritt von seinen Beamten in Berlin einen „guten, juristisch unanfechtbaren“ Sprechzettel an. Der wurde prompt geliefert. Darin wird Yaghoobifarah vorgeworfen, zum Hass aufzustacheln, wie es der Tatbestand der Volksverhetzung erfordert: Die Kolumne sei ein „Angriff auf alle Polizisten“. Die Autorin stelle die Ordnungshüter in einen „faschistischen, gewaltverherrlichenden Kontext“, sie unterstelle ihnen „nationalsozialistische sowie terroristische Verbindungen und Motivationen“.

Dennoch unterblieb die geplante Ankündigung in Erfurt. Die Gründe sind nicht bekannt. Der Chef ging einen anderen Weg, der offenbar auch für die Beamten im Ministerium überraschend kam: In der „Bild“-Zeitung am folgenden Montag erklärte Seehofer nun, er werde „morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels stellen“.

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Davon sah er wenig später nach Diskussionen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ab, wohl auch in Ansehung der für ihn neuen „grundrechtlichen Bewertung“ seines zuständigen Referats. Dies dürfte erklären, weshalb Seehofers Sprecher unmittelbar nach Erscheinen des „Bild“-Artikels trotz der fixen Ankündigung des Ministers immer wieder erklärten, über eine Anzeige sei noch nicht entschieden.

Eine Beleidigung war es nie - das wusste Seehofer

Gleichwohl ließ Seehofer ein paar Tage später eine Pressemitteilung nachschieben, in der er weiter den Eindruck erweckt, Yaghoobifarah habe sich nach seiner Überzeugung strafbar gemacht. Sie habe „Straftatbestände erfüllt“, heißt es darin. Objektiv falsch daran ist der Plural. Eine mögliche Beleidigung neben einer Volksverhetzung hatten die Juristen im Ministerium von Anfang an ausgeschlossen – wie Seehofer auch bekannt war.

Zwiespältig bleibt aber auch die Formulierung als solche. Rein juristisch lässt sie offen, ob Yaghoobifarah aus Sicht des Ministers eine Straftäterin sein soll. Denn auch wenn Straftatbestände erfüllt sind, können Taten gerechtfertigt und damit straflos sein – etwa durch Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit. Nur unterlässt Seehofer den Hinweis darauf.

Ursprünglich wollte das Ministerium die Akte nicht offenlegen

Yaghoobifarahs Anwalt sieht darin eine öffentliche Vorverurteilung. Und wie es aussieht, soll dies wohl auch das Ergebnis sein, die das gesamte Vorgehen des Ministers bezweckt hat, einschließlich Ankündigung über die „Bild“. Die Wahl des Mediums wurde in einer Pressekonferenz der Bundesregierung besonders kritisiert, weil die „Bild“ für ihre Berichterstattung regelmäßig Rügen vom Presserat erhält. 

Die Offenlegung der Akte geschieht unerwartet. Ursprünglich stand das Ministerium auf dem Standpunkt, Transparenz wäre ausgeschlossen, weil dadurch eine „unabhängige Entscheidungsfindung der Staatsanwaltschaft vereitelt“ werde, und verweigerte die Herausgabe nach dem IFG. Wie berichtet, lehnt die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ab, hat dies aber noch nicht offiziell mitgeteilt. Zur weiteren Aufklärung unter anderem der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums in dem Fall führt der Tagesspiegel ein Eilverfahren vor dem Berliner Verwaltungsgericht.   

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