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Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel während der Unterzeichnungszeremonie.

© Oliver Berg/dpa

Fake News: Das Elsass bleibt unser

Der neueste Fall in Sachen Fake News ist in Deutschland weitgehend unbemerkt geblieben. Nicht so in Frankreich, und noch weniger im Elsass. Eine Kolumne.

Dass die Verfasser von Fake News Paranoiker mit einer überbordenden Fantasie sind; dass sie die Wirklichkeit auf groteske Weise verformen und sich damit brüsten, die wildesten Verschwörungen aufzudecken… sei’s drum

Aber dass Zehntausende ihren aberwitzigen Gerüchten Glauben schenken, ist äußerst beunruhigend. Der neueste Fall in Sachen Fake News ist in Deutschland weitgehend unbemerkt geblieben. Nicht so in Frankreich, und noch weniger im Elsass.

Am 11. Januar veröffentlichte ein europakritischer EU-Abgeordneter ein Video auf Youtube und Facebook: Emmanuel Macron wolle Elsass-Lothringen an Deutschland verkaufen. Ein Abkommen über die Abtretung der Region werde unter höchster Geheimhaltung vorbereitet und am 22. Januar vom französischen Präsidenten und der deutschen Kanzlerin in Aachen unterzeichnet. Die falsche Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den sozialen Medien, vor allem auf rechtsextremen Seiten und bei den Gelbwesten. Die Aufregung wurde groß und größer, Petitionen wurden erstellt. Marine Le Pen aus dem rechten Lager nutzte die Gelegenheit und beschuldigte den Präsidenten in einem Fernsehinterview: "Emmanuel Macron verkauft unser Land und unterhöhlt damit Frankreichs Souveränität".

Man könnte natürlich einfach mit den Schultern zucken. Dass das Elsass seit 1945 französisch ist, ist eine Selbstverständlichkeit. Doch offenbar nicht für alle. Vor ein paar Jahren erwachte Straßburg in heller Aufregung: Eine Naziflagge prangte auf dem Münster. Panik. Sie sind zurück! Ein Moment des Herzklopfens, bis klar war, dass hier ein Film gedreht wurde. Man lachte über sich selbst. Doch dieser merkwürdige Augenblick der Verwirrung war vielleicht nicht ganz so harmlos, wie es scheint.

Wie hatten die friedfertigen Nachkriegskinder der Adenauer- und De-Gaulle-Zeit nur einen Moment an eine solche Möglichkeit glauben können? Und wie kann jemand heute allen Ernstes überzeugt sein, Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hätten sich am vergangenen Dienstag in Aachen getroffen, um den Verkauf des Elsass an Deutschland zu besiegeln?

Die falsche Nachricht hat offenbar tief im kollektiven Inneren der Franzosen schlummernde Ängste geweckt, zumindest bei einigen Franzosen. Élysée-Vertrag und Versöhnung hin oder her, es scheint, als wären diese Ängste nie ganz verschwunden. Sei es Marine le Pen, die bei jeder Gelegenheit das Schreckgespenst der deutschen Vorherrschaft beschwört, sei es im linken Lager Jean-Luc Mélenchon, der nicht müde wird, die deutsche Hegemonie in Europa anzuprangern und sich über die "deutsch- französische Legende" lustig zu machen: Die Beziehungen zu Deutschland bleiben kompliziert.

Vergangenen Dienstag hat der Berg der Wahnvorstellungen gekreißt, Merkel und Macron indessen haben eine winzige Maus geboren: ein schmuckloser, nicht gerade ehrgeizig zu nennender Vertrag. Statt Annexion Verbesserung des grenzüberschreitenden Nahverkehrs, Verstärkung der Zweisprachigkeit an den Schulen, Zusammenarbeit in der Jobvermittlung. Keine Sorge: Das Elsass bleibt französisch. Man spricht französisch in den Straßen von Straßburg (und immer weniger elsässisch), die jüngere Generation dazu immer häufiger englisch, immer seltener deutsch. Und vorgestern noch habe ich mich vergewissert: An den öffentlichen Gebäuden prangt überall die Trikolore.

Übersetzung aus dem Französischen : Odile Kennel.

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