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Die Geschwister-Impflinge Hugo (12 Jahre) und Urs (13 Jahre) blättern vor ihrer Impfung am Impfzentrum auf dem Messegelände in ihren Impfbüchern.

© dpa/Swen Pförtner

Update

Heftige Kontroverse um Corona-Impfung von Jugendlichen: Widersprüchliche Reaktionen aus Ärzteschaft – Spahn verteidigt Vorgehen

Der Hausärzteverband kritisiert die Entscheidung der Gesundheitsminister zu Impfungen ab zwölf Jahren. Stiko-Chef Thomas Mertens hält den Druck aus der Politik für „wenig hilfreich“.

Die Entscheidung der Gesundheitsminister von Bund und Ländern, Corona-Schutzimpfungen für Jugendliche voranzutreiben, sorgt für eine heftige Kontroverse. Die Hausärzte in Deutschland haben mit Unverständnis auf den Beschluss der Gesundheitsminister reagiert, allen Kindern ab zwölf Jahren ein Corona-Impfangebot zu machen.

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Warum eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission zu dieser Frage auf der Basis fundierter Studien nicht abgewartet werden könne, sei ihm „schleierhaft", sagte der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Das Ganze klingt ein wenig nach Wahlkampfgetöse.“

Weigeldt warf den Gesundheitsministern eine „Missachtung der Kompetenz“ der Stiko vor und warnte, dass der Beschluss zum Impfangebot zu Verunsicherung führen könne. Zudem liege das Pandemie-Risiko derzeit „mehr bei den nicht impfwilligen Erwachsenen als bei den Kindern und Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren“.

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In der „Wirtschaftswoche“ vom Dienstag bezeichnete Weigeldt die Vorstellung, „dass wir selbst nach einer Stiko-Empfehlung alle Jugendlichen durchimpfen“, als „genauso Science-Fiction wie die Vorstellung über eine Impfquote von 90 Prozent“.

Dies sei aber auch nicht notwendig. „Worunter die meisten Kinder leiden, ist sicherlich weniger Long-Covid als vielmehr Long-Lockdown“, sagte der Mediziner. Er plädierte deshalb für eine Debatte über eine Impfpflicht für Kita- und Lehrpersonal.

Montgomery sieht Ablenkungsmanöver der Politik

„Hier versucht man dicke Backen zu machen, sich aufzublasen gegenüber einer Kommission, die per Gesetz eingesetzt worden ist, um wissenschaftlich unabhängig zu prüfen“, sagte auch der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, bei RTL und ntv. Er sprach ebenfalls von Wahlkampfgetöse.

„Ich glaube die Politik versucht hier davon abzulenken, dass es ihr nicht gelingt, die Impfangebote an die 18- bis 59-jährigen heranzubringen“, fügte Montgomery hinzu. Die hier stockende Impfkampagne sei das eigentliche Problem.

Fischbach fordert Stiko zu zügigen Neubewertung auf

Dagegen sagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, der „Rheinischen Post“, er persönlich befürworte die Corona-Impfung bei Jugendlichen. „Das Risiko von Nebenwirkungen durch die Impfung ist extrem gering, das zeigen alle Daten aus anderen Ländern.“ Fischbach forderte die Stiko zu einer zügigen Neubewertung auf.

Er halte aber nichts davon, Kindern und Jugendlichen zuerst in den Impfzentren ein Impfangebot zu machen, sagte er. „Das sollten wir Kinder- und Jugendärzte machen. Wir kennen unsere Patientinnen und Patienten meist seit Jahren und können sie am besten nach ihren individuellen Bedürfnissen beraten.“

Elternvertreter befürchten wachsende Verunsicherung. „Viele Eltern stehen dem Impfangebot sehr skeptisch gegenüber, mindestens so lange die Ständige Impfkommission keine Empfehlungen dafür abgibt“, sagte Ines Weber, Vorstandsmitglied des Bundeselternrats, dem RND. Obwohl ausreichende Studien zur Verträglichkeit fehlten, fühlten sich Eltern unter Druck gesetzt, ihre Kinder impfen zu lassen, um ihnen den Schulbesuch zu ermöglichen.

Stiko-Chef kritisiert „Stellvertreterdebatte“ um Kinderimpfung

Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, hält den Druck aus der Politik auf sein Gremium für „wenig hilfreich“. Im Interview der „Süddeutschen Zeitung“ sagte er zu Forderungen, eine Impfempfehlung für Kinder ab 12 Jahren zu geben: „Ich bin besorgt, dass es sich um eine Stellvertreterdiskussion handelt, die von unserem eigentlichen Problem wegführt. Es wäre entscheidend, mit dem reichlich verfügbaren Impfstoff die 18- bis 59-Jährigen vollständig zu impfen.“

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Es sei „sehr klar“, so Mertens weiter, dass davon der Verlauf der „nächsten Welle“ abhänge und nur sehr marginal von der Impfung der Kinder. Viel wichtiger wäre es aus seiner Sicht, „den Maßnahmenkatalog der S3-Leitlinie, die von sehr vielen wissenschaftlichen Fachgesellschaften getragen ist, an den Schulen umzusetzen, um den Schulunterricht sicherzustellen.“

Der Stiko-Chef ergänzte, man müsse außerdem bedenken, dass etwa 9,1 Millionen Kinder unter zwölf Jahren nicht geimpft werden könnten, also alle Kinder in Kinderkrippen, Kindergärten, Grundschulen und den ersten Jahren der weiterführenden Schulen: „Umso wichtiger ist es, den Maßnahmenkatalog zur Sicherung der Schulen umzusetzen.“

[Lesen Sie auch: Sollte ich mein Kind impfen lassen? (T+) ]

Zur Entscheidung der Gesundheitsministerkonferenz, Kindern ab zwölf Jahren ein Impfangebot zu machen, erklärte Mertens, dies sei „doch keine grundsätzliche Änderung der derzeitigen Situation. Die Impfung der Kinder in dieser Altersgruppe ist auch jetzt möglich. Die Politik kann das Angebot im Sinne einer allgemeinen Vorsorgemaßnahme durchaus machen, die ja auch nicht evidenzbasiert sein muss.“

Mertens versicherte weiter, dass die Stiko „sich ihrer Verantwortung sehr bewusst ist und mit Hochdruck an einer aktualisierten, evidenzbasierten Empfehlung arbeitet, ohne dass ich das Ergebnis heute vorwegnehmen kann“. Er hoffe aber, „dass wir in den nächsten zehn Tagen eine aktualisierte Empfehlung fertigstellen können“.

Insgesamt empfehle er in dieser Zeit „mehr ruhige Aktivität, weniger allgemeine Aufgeregtheit und Hektik mit fraglichem Sinn und Nutzen und mehr Rationalität bei den Vorbereitungen, Entscheidungen und Umsetzungen von sinnvollen Maßnahmen“, so Mertens.

Spahn verteidigt erweitertes Corona-Impfangebot für Kinder

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die geplanten zusätzlichen Corona-Impfmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche gegen diese Kritik verteidigt. Es gehe um ein leichter verfügbares Angebot als bisher, weil genügend Impfstoff da sei, sich zu schützen, sagte der CDU-Politiker am Dienstag im rbb-Inforadio.

„Wer will, kann sich impfen lassen - keiner muss.“ Wenn Eltern und Kinder sagten, dass sie noch auf mehr Daten warten wollten, sei das auch okay und kein Problem. „Es geht ausdrücklich nicht darum, Druck zu machen, den machen wir auch nicht.“

Spahn wandte sich dagegen, in der Debatte einen Gegensatz zur Ständigen Impfkommission (Stiko) zu konstruieren. Der Beschluss von Bund und Ländern sei „durchaus im Einklang mit der Stiko“. Das Gremium empfiehlt Impfungen von Kindern bisher nicht allgemein, sondern nur bei höherem Risiko für schwerere Corona-Verläufe etwa wegen Erkrankungen wie Diabetes. Impfungen sind laut Stiko aber mit ärztlicher Beratung möglich. Die Impfstoffe von Biontech und Moderna sind für Kinder ab 12 Jahre in der EU zugelassen.

900.000 Kinder zwischen 12 und 17 mindestens einmal geimpft

Spahn betonte, dass bereits mehr als 900.000 Kinder zwischen 12 und 17 mindestens einmal geimpft worden seien, dies entspreche etwa 20 Prozent dieser Altersgruppe. Die Gesundheitsminister hatten am Montag beschlossen, Impfungen für 12- bis 17-Jährige in allen Ländern nun auch in Impfzentren anzubieten - so wie es in Arztpraxen schon möglich ist.

Spahn sagte, er könne sich nur wünschen, dass sich möglichst viele Familien dies nun für sich überlegten. Angesichts der ansteckenderen Delta-Virusvariante gelte generell: „Entweder man wird infiziert ohne Impfschutz, oder man hat den Impfschutz.“

Mit Blick auf das insgesamt langsamere Impftempo in Deutschland warb Spahn erneut für Gelegenheiten, dass sich Menschen einfach und im Vorbeigehen impfen lassen können. Er verwies zudem auf viele Hundert Millionen Corona-Impfungen, die es mittlerweile auf der Welt gebe. Es dürfte keinen Impfstoff geben, der öfter verimpft worden und damit auch in Nebenwirkungen so gut bekannt sei. Im Zweifel sei die Impfung die sicherere Entscheidung.

Auch mehrere Landesgesundheitsminister verteidigten am Dienstag den Beschluss und kündigten eine schnelle Ausweitung der Impfangebote für Jugendliche an. Niedersachsens Ressortchefin Daniela Behrens sagte im NDR, es sei „kein Affront gegen die Stiko, sondern es ist etwas, das wir den Eltern anbieten möchten, die ihre Kinder und Jugendlichen impfen lassen möchten“.

Die Ministerrunde hatte am Montag auch beschlossen, für bestimmte Risikogruppen ab September Corona-Auffrischungsimpfungen anzubieten. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte dazu dem RND, der Beschluss sei wichtig. Er hätte sich aber gewünscht, „dass nicht nur Risikogruppen eine dritte Impfdosis erhalten“. (AFP, KNA, dpa)

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