zum Hauptinhalt
Auf den Canstatter Wasen wurde bei den Protesten der Initiative "Querdenken" auch die Reichsflagge geschwenkt. 

© Christoph Schmidt/dpa

Demos gegen Einschränkungen: Politik und Behörden warnen vor rechtsextremer Unterwanderung der Corona-Proteste

Rechtsextremisten wittern die Chance für einen Umsturz, sagt der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes. Auch der Antisemitismusbeauftragte ist besorgt.

Die rechtsextremistische Szene wittert in der Corona-Krise nach Einschätzung von Verfassungsschützern Möglichkeiten für einen Umsturz. Aktivisten sähen die außergewöhnliche Lage als "Chance für den Zusammenbruch des globalisierten Liberalismus und der Demokratie", sagte der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, dem "Handelsblatt".

Insgesamt werde die Szene in Bezug auf das Thema Coronavirus derzeit deutlich aktiver, berichtete er. "Beschränkten sich die Aktivitäten bislang überwiegend in sozialen Netzwerken auf Kritik an der Bundesregierung oder staatlichen Institutionen, Schuldzuweisungen für die Corona-Pandemie an Ausländer, vorwiegend Asiaten, sowie die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Werte in unserem Staat, sind nunmehr deutlich konkretere Ansätze für eine völkisch-nationale Revolution erkennbar."

Mehr zum Coronavirus:

Dies bedeute, dass insbesondere rechtsextremistische Parteien wie die NPD, Die Rechte und Der dritte Weg versuchten, sich unter dem Vorwand der Proteste gegen die Corona-Beschränkungen einen breiteren Anschluss an die Gesellschaft zu verschaffen. "Einige spielen sich auch erfolgreich als Kümmerer in der Nachbarschaftshilfe auf oder starten Dankes-Aktionen für Krisenpersonal, um so an Kontakte zu gelangen und das Gefühl der Wertschätzung für sich zu nutzen", sagte Kramer. "Es werden aber auch vereinzelt gezielte Attentate und Anschläge zur weiteren Schwächung des Systems diskutiert." 

[Die Coronavirus-Krise ist auch für die Politik eine historische Herausforderung. Jeden Morgen informieren wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, in unserer Morgenlage über die politischen Entscheidungen, Nachrichten und Hintergründe. Zur kostenlosen Anmeldung geht es hier.]

Bisher gelinge es aber nur, einen begrenzten Teilnehmerkreis dafür zu mobilisieren. Auch die AfD ist laut Kramer mit Aufrufen zu Spaziergängen und ähnlichen Versammlungen dabei, das Corona-Thema für sich zu nutzen. Laut Kramer legt der Inlandsgeheimdienst einen besonderen Fokus auf die bisher sichtbaren Versuche von Extremisten, die legitimen Bürgerproteste zu unterwandern und maßgeblich zu instrumentalisieren. 

"Unser Beobachtungsauftrag konzentriert sich dabei ausschließlich auf die Extremisten", betonte der Thüringer Behördenchef. "Ich teile die Sorge ausdrücklich, dass die Gefahr besteht, dass wir eine analoge Entwicklung und damit auch einhergehende Radikalisierung, wie seinerzeit in der sogenannten Flüchtlingskrise erleben könnten."

"Sammelbecken für Verschwörungsmythiker und Holocaust-Leugner"

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warnte in diesem Zusammenhang vor dem Abdriften der Proteste gegen die Anti-Corona-Maßnahmen in die rechte Szene. Die aktuellen Proteste seien "ganz offenbar ein Sammelbecken für Verschwörungsmythiker, Holocaust-Leugner und sonstige Antisemiten", sagte Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Diese angstgetriebene Aggression ist brandgefährlich. Wie schnell aus abstrusen Gedanken tödliche Terroranschläge werden können, haben die Anschläge von Halle und Hanau gezeigt", sagte Klein. In der realen Welt und online erführen Anspielungen auf angeblich geheime Pläne von jüdischen Geschäftsleuten oder des Mossad erhebliche Verbreitung.

Strobl: Leute aus extremistischem Bereich instrumentalisieren Proteste

Auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) warnte vor der Instrumentalisierung der Corona-Demos durch Extremisten. Bei den Protesten gegen die Corona-Beschränkungen seien zwar auch viele „normale Leute“, sagte Strobl am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Man könne nicht sagen, dass alle, die dort demonstrieren, Extremisten oder Antisemiten seien. Aber: „Es sind schon auch Leute aus dem extremistischen politischen Bereich dort, die versuchen, ihr eigenes Süppchen zu kochen und die versuchen, diese Veranstaltung für ihre extremistischen Zwecke zu instrumentalisieren.“

[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter "Fragen des Tages". Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]

Am Samstag waren in zahlreichen deutschen Städten Tausende Menschen gegen Beschränkungen in der Corona-Krise auf die Straße gegangen. Es gab auch Gegendemonstrationen. In Stuttgart, der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg, fand die größte Demonstration statt. Bei den Protesten versammelten sich Strobl zufolge unter anderem Linksextremisten, Rechtsextremisten, Verschwörungstheoretiker und Antisemiten. "Es ist im Grunde genommen nahezu alles dabei, das muss man wissen, wenn man auf eine solche Demonstration geht", sagte Strobl.

Justizministerin: Leute sind von Extremisten abgeschreckt

Die radikalen Ansichten dieser Corona-Demonstranten haben viele Menschen von den Protesten abgeschreckt, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD). "Viele Menschen, die zu Recht auf ihre schwierige Lebenssituation hinweisen, weil ihre Kinder nicht zur Schule oder in den Kindergarten gehen können, überlegen sich mittlerweile schon sehr gut, ob sie bei diesen Demonstrationen mit dabei sein wollen, die von Verschwörungstheoretikern und teilweise von Extremisten organisiert werden», sagte Lambrecht am Montag.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Die Demonstrationen am vergangenen Wochenende seien von "anderer Qualität" gewesen. Die Extremisten unter den Demonstranten nutzten Lambrecht zufolge das Demonstrationsrecht, "um Lügen und Verschwörungstheorien zu transportieren, um Unsicherheit zu schüren". Das müsse man genau beobachten und gegensteuern, sagte sie. (dpa/epd)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false