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Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus bei ihrer Rücktrittserklärung im November 2023.

© dpa/Christoph Reichwein

Den Scherbenhaufen aufkehren: Die EKD diskutiert über die Folgen des Rücktritts ihrer Ratsvorsitzenden

Am Dienstag endete die Synode der Evangelischen Kirche Deutschland – ohne Annette Kurschus. Doch ihre Personalie wird die EKD noch eine Weile beschäftigen.

„Ehrlich, das finde ich beschämend“, sagt Kirsten Fehrs und ballt dabei die Hand zur Faust.

Die kommissarische Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sitzt in ihrem Büro und guckt in die Kamera ihres Computers. Es ist Dienstagabend und die Mitte November vom Streik der Lokomotivführer unterbrochene Synode der EKD geht als Videokonferenz zu Ende.

Seit der Tagungsunterbrechung in Ulm ist viel passiert: Die seit 2019 im Amt befindliche Ratsvorsitzende Annette Kurschus trat nach Kritik an ihrem Umgang mit Missbrauchsfällen in ihrer Heimatstadt Siegen von allen Ämtern zurück. Fehrs wurde bis zur nächsten Synodentagung im November 2024 zur kommissarischen Ratsvorsitzenden. Und in der Öffentlichkeit wurde über die Frage diskutiert, ob der Rücktritt von Kurschus eventuell zu verhindern gewesen wäre.

EKD will Kurschus’ Rücktritt „kritisch aufarbeiten“

In der EKD bemüht man sich deswegen zunächst, den Scherbenhaufen aufzukehren: Während der digitalen Tagung kündigt die Vorsitzende des Kirchenparlaments, Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich, eine kritische Aufarbeitung des Vorgangs in den synodalen Arbeitsgruppen an: „Wir werden einen Weg finden müssen, mit solchen Vorwürfen angemessen umzugehen.“

Heinrich äußerte Respekt vor dem Entschluss von Kurschus, von allen Ämtern zurückzutreten. „Ich bedauere es, wenn bei manchen Personen der Eindruck entstanden ist, die Synode, der Rat und ich selbst haben sich nicht hinreichend solidarisch gezeigt“, fügte sie hinzu. Vor Journalisten räumte sie am Mittwoch ein, dass auch die Rolle, die sie als Synodenpräses rund um den Kurschus-Rücktritt spielte, aufgearbeitet werden müsse.

Druck auf die Vertreter der Betroffenen

Fehrs betonte, dass es bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs „eine klare Ausrichtung auf Betroffene und darum, dass wir als Kirche Gewalt und Grenzverletzungen verhindern“ geben müsse. Doch – und an dieser Stelle ballte die Hamburger Bischöfin dann ihre Faust – sie empfinde es als „bedrückend“, dass es nach dem Rücktritt von Kurschus Druck aus dem kirchlichen Raum auf Betroffenenvertreter gegeben habe. Der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum der EKD, Detlev Zander, hatte als einer der Ersten den Rücktritt von Kurschus gefordert.

Ähnlich äußerte sich die seit vielen Jahren zur Synode gehörende Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen): „Wir müssen als Institution, als Kirche und als Christenmenschen die Möglichkeit schaffen, dass die Betroffenen bei uns den Ort finden, an dem sie sein können und wo ihnen geglaubt wird.“

Leitende Geistliche solidarisierten sich mit Kurschus

Doch es gibt auch andere Stimmen. Vor allem leitende Geistliche solidarisierten sich mit Kurschus. Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt benötige das genaue, selbstkritische Hinsehen, sagt Badens Landesbischöfin Heike Springhart. „Und das wird nicht darüber gelöst, dass Einzelne von uns zum Rücktritt genötigt werden.“

Und Hannovers Landesbischof Ralf Meister hatte schon vor der digitalen Tagung der Synode gewarnt, dass die Kirche immer „gnadenloser“ zu werden drohe. Kurschus sei von allen Verantwortlichen im Stich gelassen worden.

Das Thema sexueller Missbrauch indes wird die Evangelische Kirche in den nächsten Wochen noch weiter beschäftigen. Am 13. Dezember wird die Bevollmächtigte der EKD im politischen Berlin, Prälatin Anne Gidion, zusammen mit der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, eine Erklärung zur Missbrauchsaufarbeitung unterzeichnen.

Und am 25. Januar erwartet die Kirche die „ForuM“-Studie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche. Sie werde „umfassend wie nie zuvor, die Dimensionen sexualisierter Gewalt“ aufzeigen, sagte Fehrs. Die Ergebnisse wolle man entschieden und verantwortungsvoll aufnehmen und bearbeiten. „Aber das können wir nur, wenn uns der Wille eint, uns dieser Verantwortung zu stellen.“

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