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Der Rabbiner der Synagoge von Poway, Yisroel Goldstein (rechts), mit verbundenen Händen.

© Sandy Huffaker/AFP

Krieg gegen Juden, Christen, Muslime: Der mörderische Wahn gegen die Spiritualität

Synagogen, Kirchen, Moscheen: Zunehmend werden Gotteshäuser angegriffen. Juden, Christen, Muslime werden zu einer Gemeinschaft potenzieller Opfer. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Die 20-Uhr-Tagesschau am vergangenen Sonntag begann mit der Wahl in Spanien, dann folgte ein ausführlicher Bericht vom Bundesparteitag der FDP. Auf Platz fünf rangierte, nach 6 Minuten und 23 Sekunden, die vergleichsweise kurze Meldung über das Attentat auf eine Synagoge in Kalifornien. Eine Frau sei ermordet worden, hieß es, drei weitere Menschen seien verletzt, der rechtsextreme Täter sei gefasst, Präsident Donald Trump habe die Tat verurteilt. Das war’s. Nach weiteren acht Minuten, inklusive der Sport-Nachrichten, fing der „Tatort“ an. 

Wird der Terror zur Routine? Sind Anschläge auf Gläubige, die zu ihrem Gott beten, nicht mehr schlagzeilentauglich? Vielleicht ist es richtig, den Medien-Hype bei solchen Attentaten etwas zu dämpfen, um die Aufmerksamkeitshoffnung des Attentäters zu durchkreuzen. Dennoch klafft da eine Lücke – zwischen dem Horror des Ereignisses und dessen Darstellung in nüchternen Aussagesätzen. 

Dem Rabbiner der Synagoge in Poway, das rund 40 Kilometer nördlich von San Diego liegt, hatte der 19-jährige Antisemit in beide Hände geschossen. Trotzdem lief Yisroel Goldstein zu einer Gruppe von mehreren kleinen Kindern, die verängstigt sehen mussten, wie eine 60 Jahre alte Frau starb. Mit seinen blutigen Fingern griff der Rabbiner die Kinder und brachte sie nach draußen. Weil offenbar das Sturmgewehr des Attentäters nicht richtig funktionierte, gab es keine weiteren Toten.

In Mitteldeutschland wurden 116 Gotteshäuser attackiert

Synagogen, Kirchen, Moscheen: Zunehmend werden Menschen wegen ihres Glaubens angegriffen. Juden, Christen, Muslime: Sie eint die traurige Gemeinschaft, potenzielle Opfer des grassierenden pathologischen Hasses zu sein. Im Juni 2015 traf es in der Stadt Charleston schwarze Christen, die an einer Bibelstunde teilnahmen. 2017 wurden in Quebec Muslime in einer Moschee niedergeschossen. Im Oktober vergangenen Jahres starben elf Menschen in der Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh. Es folgten die Massenmorde von Christchurch und Sri Lanka. 

Allein in den USA ist die Zahl der „Hass“-Verbrechen im Jahr 2017 um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. In Mitteldeutschland – Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – wurden zwischen 2014 und 2016 insgesamt 116 Gotteshäuser attackiert. Zwei Drittel der Anschläge richteten sich gegen Kirchen, ein Drittel gegen Moscheen und Synagogen. In Berlin gab es in den vergangenen drei Jahren 62 solcher Anschläge.

An die Neue Synagoge wurden Hakenkreuze gemalt, an die Kreuzberger Mevlana-Moschee wurde ein stinkendes Paket mit einer Schweinekopfhälfte und einem aufgeschlagenen Koran geschickt, der Glockenturm der Gedächtniskirche wurde mit rechten Parolen behängt. Wer in der Stadt mit Kippa oder Kopftuch unterwegs ist, muss Angst haben, angepöbelt, beleidigt oder geschlagen zu werden.

Der Hass der Täter ist meist übergreifend

Es wäre verheerend, angesichts dieser Zahlen in einen spalterischen Diskurs über Opferhierarchien zu treten. Ist Antisemitismus schlimmer als Islamfeindschaft? Sind Christen die am stärksten verfolgte Religionsgemeinschaft der Welt? Trifft der Terror überwiegend Muslime? Wer solche Fragen stellt, beansprucht für sich und Seinesgleichen oft eine Exklusivität, die das einigende Moment des Terrors nicht wahrhaben will.

Zwar werden Juden als Juden, Christen als Christen und Muslime als Muslime angegriffen, aber der Hass der Täter ist meist übergreifend. Ihr mörderischer Wahn richtet sich auch gegen Frommheit an sich, gegen Spiritualität und Heilige Schriften. Dagegenstellen kann sich nur eine große Ökumene aus eben Juden, Christen und Muslimen. 

Papst Franziskus hat das früh erkannt. Der Dialog mit dem Islam war von Anfang an ein zentrales Element seines Pontifikats. Aus seiner engen Beziehung zum Großscheich der Kairoer Al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyeb, entstand das vor zwei Monaten gemeinsam von ihnen unterzeichnete Dokument zur „Geschwisterlichkeit unter den Menschen für den Weltfrieden und das Zusammenleben“.

Darin heißt es, dass alle Religionen inhärent und unterschiedslos friedlich und tolerant seien, sie würden niemals zum Krieg aufwiegeln und „keine Gefühle des Hasses, der Feindseligkeit, des Extremismus wecken“ und nicht zur Gewalt oder zum Blutvergießen auffordern.

Glaube, Liebe, Hoffnung

Wer will, mag solche Worte naiv und weltfremd nennen. Sie scheinen im Widerspruch zum täglich erleidbaren Schrecken zu stehen. Aber von ihrem Charakter her ist das Schreiben sowohl statuarisch als auch appellativ. Die Autoren beschreiben eine Wirklichkeit, von der sie wissen, dass sie zum Teil künftig ist, in einem Morgen liegt, das sich erst erahnen lässt. 

Glaube, Liebe, Hoffnung – das sind, weiß Gott, keine exklusiv christlichen Tugenden. Sich in dunklen Zeiten an sie zu erinnern, tut Not. Im wahrsten Sinne des Wortes.

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