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Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen, und Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Partei.

© Kay Nietfeld/dpa

Umstrittener Vorschlag von Baerbock und Habeck: Ein Veto-Ministerium für die Grünen? Der Realitäts-Check

Die Grünen wollen ein Einspruchsrecht für ein künftiges Klimaschutzressort im Kabinett. Es wäre gar nicht so ungewöhnlich. Und neu ist die Idee auch nicht.

Ein Veto-Ministerium für die Grünen? Annalena Baerbock und Robert Habeck haben das am Dienstag gefordert, als sie ein Klimaschutz-Sofortprogramm ihrer Partei vorstellten. Mit dem soll Schwung in den Wahlkampf der Grünen kommen.

Dass die Grünen in einer künftigen Bundesregierung gern eine Art Superministerium für Klima, Energie und Umwelt schaffen würden, gilt als ausgemachte Sache. Sie wollen es ja wissen auf diesem Feld. Aber eines, das dann anderen Ressorts mit Veto dazwischengrätschen darf, um Gesetzgebung zu verhindern, die dem Pariser Klimaabkommen widerspricht?

Neben Zustimmung war schnell Empörung zu hören. Vier Kurzkommentare aus dem großen Chor: Horror, Augenwischerei, Mogelpackung, Volksverdummung. Letztere Einschätzung stammt vom einstigen Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der nun sagt, er habe ständig Veto eingelegt, ohne dass es ein formales Vetorecht gegeben habe.

Der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), dessen Partei dieses Ressort wohl gern wieder führen würde, nannte den Grünen-Vorschlag „die Denke von Aufhalten und Verhindern“. Kein Wunder, CSU-Verkehrspolitik wäre möglicherweise ein Opfer grüner Veto-Grätschen.

Verfassungsrechtlich bedenklich?

Auch Christian Lindner meldete sich. Was die Grünen da forderten, sei ein „Klimakanzleramt“, twitterte der FDP-Chef. Anmaßung also. „Jenseits der verfassungsrechtlichen Bedenken“ zeige dies politisch, dass Baerbock und Habeck das Rennen um Platz eins verloren gäben. Dass ausgerechnet Lindner das Grundgesetz einfällt, wenn es um ein mögliches Kabinettsveto geht, ist allerdings merkwürdig. Liebäugelt der FDP-Chef doch erkennbar mit der Übernahme des Finanzministeriums. Das war schon 2017 in den Jamaika-Sondierungen so (als es übrigens auch schon um ein mögliches Vetorecht in der Umweltpolitik ging). Und auch 2009 wollte die FDP das Finanzressorts gern für sich, aber Angela Merkel gab es an Wolfgang Schäuble. Und damit auch das Vetorecht.

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Denn ein solches hat der Bundesfinanzminister. Die FDP wollte es vor vielen Jahren sogar einmal erweitern, über den Artikel 112 des Grundgesetzes hinaus, in dem steht, dass überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen bedürfen. Der darf also ein Veto einlegen, ja er muss es sogar, wenn solche Überausgaben eines Ressorts weder unvorhergesehen noch „unabweisbar“ sind. Das Vetorecht des Ministers dient – parallel zur Etatkontrolle durch den Bundestag – der Haushaltsdisziplin.

Justiz, Inneres, Frauen - alle mit Vetorecht

Warum also kein Vetorecht eines Klimaschutzministeriums zur Wahrung der Öko-Disziplin? Die Forderung ist im Übrigen gar nicht so neu und so radikal, wie man glauben könnte. Der frühere Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) erzählte einmal, er habe das schon 1988 gefordert, leider umsonst. Auch Ex-Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) war dafür, dem Ressort eine ähnliche Vetorechts-Möglichkeit zu geben wie dem Finanzministerium und das in die Geschäftsordnung der Bundesregierung zu schreiben.

Die regelt das Mit- und Gegeneinander der Minister. Den Finanzministern ist der Paragraph 26 gewidmet. Demnach dürfen sie Widerspruch einlegen, wenn ein Beschluss des Kabinetts „in einer Frage von finanzieller Bedeutung“ gegen oder ohne ihre Stimme gefällt wurde. Danach muss in einer weiteren Sitzung in deren Anwesenheit darüber abgestimmt werden, es ist also ein aufschiebendes Veto. Ist die Mehrheit des Kabinetts inklusive Kanzler oder Kanzlerin allerdings anderer Meinung, können die Finanzminister überstimmt werden.

[Lesen Sie auch: So funktioniert Berliner Machtarchitektur (T+)]

Ein Vetorecht haben auch die Minister für Inneres und Justiz, wenn sie glauben, ein Gesetzentwurf oder eine Maßnahme der Regierung sei mit geltendem Recht nicht vereinbar. Eine Ahnung davon hat man unlängst bekommen, als Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) im Zusammenhang mit der „Bundesnotbremse“ zum Stoppen der dritten Corona-Welle vor der Kabinettsbefassung daran erinnerte, dass Grundrechte nicht zu sehr eingeschränkt werden dürften, vor allem im Fall von Geimpften. Nicht umsonst gelten Justiz und Inneres als die „Verfassungsressorts“, die auf Einhaltung des Grundgesetzes besonders zu achten haben.

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Auch die Minister, die für Frauenpolitik zuständig sind, können intervenieren – das wurde von Rot-Grün 2002 eingeführt. Aktuell ist es die Familienministerin, die in „frauenpolitischen Angelegenheiten von besonderer Tragweite“ die Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung verlangen kann – aus inhaltlichen Gründen oder weil das Ministerium nicht genügend beteiligt wurde.

Auf ein Vetorecht, dass diese Möglichkeiten umfasst, zielt offenbar der Grünen-Vorschlag. Eine Ministerin oder ein Minister für Klimaschutz könnte dann einschreiten, wenn ein Konflikt mit dem Pariser Abkommen droht. Aber eben nur dann, und es muss natürlich gut begründet sein.

Immerhin ist ein internationaler Vertrag geltendes Recht, in dem Falle durchaus mit ähnlicher Bedeutung wie ein Verfassungsparagraph. In der Praxis werden Konflikte dieser Art im üblichen Abstimmungsprozess zwischen den Ressorts geklärt, denn kaum einmal kommt es zu offenen Abstimmungen oder gar Streitigkeiten im Kabinett. Aber ein Vetorecht hat seine Vorteile, wenn innerhalb der Regierung koordiniert wird. Die Drohung, es zu nutzen, kann da Wirkung haben.

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