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Ein Wolf beobachtet Kolkraben in einem Gehege im Wildpark Schorfheide.

© dpa/Patrick Pleul

Artenrettung: Der Wolf ist dem Menschen ein Wolf

Einst fast ausgerottete Tiere wie Wolf und Wisent breiten sich in Deutschland wieder aus. Und sie machen alte Probleme. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Die Wölfe sind zurück, und Wisente verbreiten sich auch wieder. Zwei Säugetierarten, die in Deutschland als Wildtiere bereits ausgerottet waren. Wölfe seit 150, Wisente seit 185 Jahren. Sie haben unter strengem Artenschutz quasi eine zweite Existenzgelegenheit bekommen – und die nutzen sie.

Das freut auf theoretischer Ebene, führt aber auf praktischer durchaus zur Wiederbelebung ihrer letztendlich für sie existenzvernichtend ausgegangenen Konflikte und Begegnungen mit dem Menschen.

Nach jüngsten Zahlen sind aus den 60 Wolfsrudeln aus dem Erfassungszeitraum 2016/2017 inzwischen 73 geworden. Wie viele Tiere das sind, ist nicht ganz klar. Ein Rudel besteht aus drei bis zehn Tieren. Sie alle müssen fressen, was dazu führt, dass sich eine breiter werdende Blutspur durch die Bestände von Weideviehhaltern zieht. Bis 2017 hat das Land Niedersachsen 670 „Nutztierrisse“ durch Wölfe gezählt, in Sachsen-Anhalt ist man bei 211 und Brandenburg zählt bisher 479 Schadensfälle, darunter drei Fohlen und zwei Alpakas.

Die 19 pflanzenfressenden Wisente, die im Rothaargebirge zwischen Nordrhein-Westfalen und Hessen nunmehr als herrenlose Tiere umherziehen, beschädigen dort junge Rotbuchen, die Privatbesitz sind, die jemandem gehören. Wer dafür welche Verantwortung übernehmen muss, ob es reicht, wenn der Wisenterhaltungsverein, der die Ursprungstiere der heutigen Herde 2013 ausgewildert hat, Entschädigungen zahlt oder ob er die Tiere dort wegschaffen muss, ist eine Frage, deren Klärung der Bundesgerichtshof am vergangenen Freitag in den Januar verschoben hat. In der dazu verbreiteten Erklärung erwähnen die Richter allerdings, dass die Lösung des Konflikts so ausfallen müsse, dass „die Bereitschaft zur Durchführung solcher grundsätzlich wünschenswerten Auswilderungsprojekte nicht geschmälert werde“.

Arterhaltung und Artenschutz sind grundsätzlich wünschenswert

Grundsätzlich wünschenswert. Das ist der Konsens. Arterhaltung und Artenschutz haben einen hohen Stellenwert bekommen. Parallel zu den Statistiken zur Wolfsverbreitung und zu langsam aufwachsenden Wisentpopulationen sind das Bienen- und Insektensterben im dramatischen Ton vorgetragenes Nachrichtenthema geworden. Es gibt einerseits eine vermutlich noch weiter wachsende Sensibilität der Bevölkerung für die komplexen Zusammenhänge der Natur – aber andererseits auch den ungebrochenen Trend zur Entfremdung: zur Urbanisierung. 77 Prozent der Menschen in Deutschland leben in Städten oder Ballungsgebieten, nur 15 Prozent in Dörfern mit weniger als 5000 Einwohnern. Beeinflusst das den Blick auf Tiere, Wildtiere zumal?

Ja, wenn es nach der österreichischen Wissenschaftlerin Monika Reiterer geht. Sie stellt fest, dass nahezu alle, von Aristoteles an, die sich je zu tierethischen Fragen äußerten, nicht auf dem Land gewohnt hätten, sondern in Städten. Und auf heute gedreht: Je mehr Menschen im Dienstleistungssektor arbeiteten und dadurch den Zugang zu den „als Härten erscheinenden Notwendigkeiten verlieren“, die im Primärsektor aus Land- und Forstwirtschaft, Jagd und Fischerei vorkommen, „desto extremer werden die im (sub-)urbanen Dunstkreis agierenden Tierschutz- und Tierbefreierbewegungen“, schreibt sie 2013 in einem Beitrag zur „Jagd- & Wildforschung“. Doch hat nicht auch im Primärsektor selbst eine Entfremdung stattgefunden? Hat sich nicht längst der Eindruck verfestigt, dass in Land- und Forstwirtschaft die Ansicht vorherrscht, ihre Interessen seien im Wortsinn unangreifbar, die hätten keine Feinde mehr zu dulden? Man geht mithilfe von Breitbandherbiziden in Bausch und Bogen gegen Pflanzenschädlingsgetier vor und fordert gegen Schaden am Vieh- oder Baumbestand den Abschuss von Wölfen und Wisenten. Da wird vielleicht schon gewohnheitsmäßig weniger nach Ausgleich gesucht als nach Mitteln zur Vernichtung.

Ausgewilderte Wisente leben in Deutschland in Nordrhein-Westfalen und Hessen.

© Marius Becker/dpa

Wenn sich aber das hierzulande wieder durchsetzen sollte, was wäre dann mit Ansprüchen an den Artenschutz anderswo – beispielsweise in Afrika? Landwirte in Namibia haben es mit Geparden zu tun, die je nach Unterart als „gefährdet“ bis „stark gefährdet“ gelten. Sollen die Viehhalter sie zum Zweck der Nutztierrissvermeidung töten dürfen? Und was ist mit den Elefanten, die im immer dichter besiedelten Kenia in die Dörfer kommen und dort Menschenleben bedrohen? Abschießen, weil das erst recht nicht zu dulden ist? In beiden Ländern wird mit viel Fantasie an Lösungen gearbeitet, die ohne Abschießen auskommen, was vermutlich hierzulande vielen Menschen – darunter vielleicht auch Förstern und Bauern? – selbstverständlich vorkommen dürfte. Weil aus der Ferne betrachtet klar ist, dass der Mensch dabei ist, den Arten den Garaus zu machen. Das soll nicht sein! Aber kann man das für Afrikas Länder und Fauna fordern und für hier nicht?

Und so kann die Entfremdung der Städter vom wilden Treiben der Natur letztlich doch das sein, was seltenen Arten das Überleben rettet. Denn in der direkten Auseinandersetzung ist das Wildtier zu oft des Menschen Konkurrent.

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