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Gekommen, um zu bleiben. Flüchtlinge müssen vernünftige Lebens- und Integrationsvoraussetzungen bekommen.

© dpa

Deutsches Asylrecht: Ohne Regulierung keine menschliche Flüchtlingspolitik

Flüchtlingspolitik setzt eine demokratische Mehrheit in der Bevölkerung voraus. Wer diese Mehrheit überfordert, wird die Willkommenskultur verändern. Ein Gastbeitrag

Die Europäische Union hat mit der Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 Maßstäbe für die Aufnahme, die Anerkennung und die Hilfen für Flüchtlinge gesetzt. Dazu gehören die Wahrung des Familienverbands nach Art.23, der Zugang zur Beschäftigung nach Art.26, der Zugang zur Bildung nach Art.27, Anspruch auf notwendige Sozialhilfeleistungen nach Art.29, die Gewährung medizinischer Versorgung nach Art.30, der Zugang zu Wohnraum nach Art.32 und der Zugang zu Integrationsmaßnahmen nach Art.34. Wenn man sich die Gesamtzahl der Ansprüche ansieht, wird erkennbar, dass alle diese Ansprüche neben den originär bestehenden Ansprüchen der Bürger eines Landes nur befriedigt werden können, wenn die Ansprüche auf die nach der europäischen Richtlinie berechtigten Flüchtlinge beschränkt werden.

In Afghanistan gibt es in Teilbereichen des Landes militärische Auseinandersetzungen mit verschiedenen Talibangruppen und Anschläge dieser Gruppen. In Pakistan gibt es Anschläge gegen religiöse Minderheiten. Im Irak gibt es ebenfalls militärische Auseinandersetzungen mit dem IS und Anschläge. Das alles kann dazu führen, dass für einzelne Personen oder Gruppen ein Schutz erforderlich ist. Es führt nicht dazu, dass jeder Afghane, jeder Pakistani, jeder Iraker den Flüchtlingsstatus beanspruchen kann. Jeder Fall muss einzeln geprüft und entschieden werden. Dies gilt auch für die meisten anderen Länder, aus denen derzeit Flüchtlinge nach Europa kommen.

Die Europäische Union hat hierzu ein Verfahren entwickelt, dass die Prüfung der Flüchtlingseigenschaft in demjenigen Land der Europäischen Union erfolgt, in dem der Flüchtling zuerst EU-Boden betritt. In der Vergangenheit hat die EU die in Frage kommenden Länder, insbesondere Griechenland und Italien mit der Frage allein gelassen. Das Fehlen jeder Hilfe der EU für Griechenland hat die Balkanroute, auf der jetzt Zigtausende nach Ungarn, Kroatien, Österreich, Deutschland kommen, zwangsweise hervorgerufen. Dieser Zustrom von Menschen war unabhängig von der Entscheidung der Bundesrepublik, den Zuzug zuzulassen. Die Entscheidung der Bundesrepublik hat aber einen zusätzlichen Anreiz geschaffen, die Heimat oder die Erstaufnahmeländer wie die Türkei zu verlassen.

Aus sicheren Drittstaaten sollten nur noch Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien aufgenommen werden

Diesen Anreiz wird man nur mit restriktiver Handhabung und der Begrenzung auf Flüchtlinge im Sinne der europäischen Richtlinie  wieder eindämmen können. Natürlich wird dann sofort der Vorwurf der Inhumanität erhoben werden. Für mich bedeutet Menschlichkeit, dass ich den Flüchtlingen im Sinne der europäischen Richtlinie vernünftige Lebens- und Integrationsvoraussetzungen bereitstellen kann. Das kann ich nicht, wenn ich praktisch wahllos Menschen aufnehme. Ich verkenne nicht, dass alle diese Menschen nachvollziehbare Gründe haben, ihre Heimat zu verlassen und dass ich vielleicht an ihrer Stelle ähnlich handeln würde. Dass ändert aber nichts daran, dass sie - anders als die Flüchtlinge nach der europäischen Richtlinie - keinen Anspruch auf Aufnahme haben.

Was ist zu tun?

Die Bundesrepublik sollte sich entsprechend ihrer hauptsächlichen humanitären Argumentation darauf begrenzen, aus sicheren Drittstaaten nur noch Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien aufzunehmen.  Alle anderen Flüchtlinge aus anderen Staaten müssen entsprechend EU-Recht in den Erstaufnahmeländern registriert und ihre Berechtigung überprüft werden. Natürlich werden auch davon etliche, insbesondere aus Afghanistan und dem Irak, Flüchtlinge im Sinne der europäischen Richtlinie sein. Man wird die Erstaufnahmeländer nicht wieder mit den anerkannten Flüchtlingen allein lassen können, sondern insbesondere Griechenland und Italien entlasten müssen. Der Beschluss der EU-Innenminister vom 22.9.2015 ist ein Schritt in die Richtung.

Das Anerkennungsverfahren kann schon nach geltendem Recht innerhalb von Tagen für die Flüchtlinge aus Syrien abgeschlossen werden. Wenn das Bundesamt einen Ausländer als asylberechtigt anerkennen will, kann es nach geltendem Asylverfahrensrecht sogar auf die Anhörung verzichten. Damit werden Kapazitäten für diejenigen frei, deren Berechtigung genauer überprüft werden muss.

Und es werden Kapazitäten für diejenigen frei, die offensichtlich nicht berechtigt sind. Eine Sofortanhörung, eine Sofortentscheidung und die Möglichkeit, unverzüglich ein Gericht anzurufen, genügen Rechtsstaatsprinzipien, insbesondere den Ansprüchen auf rechtliches Gehör und Zugang zu Gericht. Auch hier wird von Menschenrechtsgruppen der Vorwurf der Inhumanität erhoben werden. Ich verstehe alle diese und habe sogar Sympathie für sie. Aber sie bewegen sich mit Ihrer Forderungen auf freien Zuzug für alle - darauf läuft es hinaus - außerhalb unserer europäischen und deutschen Flüchtlingsrechtsordnung. Und auch das muss wiederholt gesagt werden: Flüchtlingspolitik setzt eine demokratische Mehrheit in der Bevölkerung voraus. Wer diese Mehrheit überfordert, wird die zur Zeit zu beobachtende Willkommenskultur verändern. Auch die Menschlichkeit bedarf der Vernunft.

- Ehrhart Körting war von 1997 bis 1999 Justizsenator und von 2001 bis 2011 Innensenator des Landes Berlin.

Ehrhart Körting

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