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Bei Steuern und Abgaben ist eine Belastungsgrenze erreicht.

© Hans-Jürgen Wiedl/dpa

Belastung von Gering-und Normalverdienern: Deutschland braucht eine Steuer-und Abgabereform

Das Steuer- und Abgabensystem belastet untere und mittlere Einkommen zu stark. Das muss sich nach der Bundestagswahl ändern. Eine Reform ist dringend geboten. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Albert Funk

Der Wahlkampf naht, Steuern und Abgaben werden eine zentrale Rolle spielen. Wie vor jeder Wahl. Denn ob es maßvoll ist, was der Staat einschließlich der Sozialversicherungen den Bürgern abknöpft, darüber lässt sich trefflich streiten. Die Parteien wecken stets hohe Erwartungen, die sich dann in der Wahlperiode in Koalitionsstreitigkeiten, Bund-Länder-Zwist, Lobbygestrüpp und Verwaltungsroutine verlieren. Was bisher zu hören ist, geht nicht über die üblichen Positionierungen hinaus. Keine Partei bietet den wirklich großen Wurf an. Ein bisschen mehr Mut wäre aber gut, weil Deutschland eine echte Reform des Steuer- und Abgabensystems braucht. Es ist aus dem Lot geraten, noch nicht dramatisch, aber doch so stark, dass sich Untätigkeit verbietet.
Die Republik hat seit der erstaunlichen Entscheidung der großen Koalition von 2005, die Mehrwertsteuer mal saftig von 16 auf 19 Prozent zu erhöhen, steuerpolitisch eine verlorene Dekade erlebt. Angela Merkels erste Regierung mit der SPD stellte zwar mit der Abgeltungsteuer noch die Kapitaleinkommen besser, spürte aber zum Ende hin schon die Auswirkungen der globalen Finanzkrise. Die überschattete dann die schwarz-gelbe Koalition und hinderte sie, eine Steuerreform anzugehen. Die FDP hatte damals in einer Mischung aus Leichtsinn und ideologischem Trotz zu viel versprochen, ihr Aus 2013 war die Folge, was allen Parteien eine Lehre gewesen ist. Seither neutralisierten sich die Wahlkampfankündigungen (Union: keine Steuererhöhungen, SPD: keine Steuersenkungen) praktisch gegenseitig.

Beträchtliche Unwucht

Eine Steuer- und Abgabenreform ist jetzt aber geboten, weil im System eine nicht unbeträchtliche Unwucht entstanden ist – zulasten der Mitte, zugunsten von Besserverdienern. Das zeigt die neueste Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts. Die stärkste Belastung mit 48 Prozent - durch Einkommensteuer, Sozialversicherung, Mehrwertsteuer und andere Abgaben - herrscht demnach bei Haushaltseinkommen zwischen 40.000 und 80.000 Euro. Darüber fällt die Belastung leicht. Darunter aber steigt sie übermäßig stark. Schon im Bereich zwischen 20000 und 30000 Euro wird eine Belastung von 45 Prozent erreicht. Deutschland, das zeigen die Übersichten der OECD seit Jahren, gehört zu den Ländern mit einer relativ hohen steuerlichen Belastung der Gering- und Normalverdiener.

Fast jeder, der seine Nerven schonen will und es sich leisten kann, geht zum Steuerberater. Das ist falsch! Die Steuererklärung muss so vereinfacht werden - und zwar für Alle - dass wir diesen Beruf nicht mehr brauchen! 

schreibt NutzerIn jonnyrotten

Natürlich gibt es eine Vielfalt von Entlastungen, angefangen beim Kindergeld bis hin zu den Steuersparmodellen, die Vermögenden offenstehen. Aber Tatsache ist, dass die Belastung unten zu massiv einsetzt, in der Mitte viel zu früh in eine hohe Belastung führt – und nach oben hin nicht mehr progressiv wirkt, also nicht nach Leistungsfähigkeit zugreift. Zwar ist die Einkommensteuer so angelegt: Wer mehr verdient, zahlt relativ mehr. Aber das gesamte System ist es nicht. Und diese Unwucht zugunsten der Gutverdiener und Vermögenden muss beseitigt werden.

Bausteine einer Reform

Nimmt man die steuerpolitische Debatte, tragen im Grunde alle Parteien etwas für die nötige Reform bei. Ganz unten über eine Entlastung bei den Sozialversicherungsbeiträgen. In der Mitte über eine geringere Steuerbelastung samt einer automatischen Anpassung des Steuertarifs an die Inflation (um das Problem der kalten Progression ganz zu beseitigen). Das Ende der Abgeltungssteuer gehört dazu, denn Kapitaleinkommen (ab einer bestimmten Höhe, um die Vermögensbildung in der Mitte nicht zu gefährden) sollten so hoch besteuert sein wie Arbeitseinkommen. Die Einbindung von Selbstständigen und Beamten in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung ist keine schlechte Idee. Eine vernünftige Erbschaftsteuer kann auch nicht schaden. Und die obere Million leidet nicht Not, wenn sie ein paar Prozentpunkte mehr aufgedrückt bekommt. Bei den Steuersubventionen lässt sich auch etwas machen. Kurzum: Lassen wir die Parteien ruhig Wahlkampf gegeneinander machen. Die Erwartung muss aber sein, dass nach der Wahl gemeinsam etwas geschieht, egal wer regiert (der Bundesrat ist ohnehin mit von der Partie). Ob schwarze Kanzlerin oder roter Kanzler – die nächste Wahlperiode muss eine größere Steuer- und Abgabenreform bringen.

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