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Streit um Ärztehonorare: Diagnose: Völlig verfahren

Der Streit um die Ärztehonorare eskaliert, die Gespräche wurden am Montag abgebrochen. Warum können sich Kassen und Ärzte nicht einigen?

Die Verhandlungen zwischen den Ärztevertretern und den Krankenkassen über die künftigen Honorare sind geplatzt. Ob es nun zu Protestaktionen kommt, soll in einer Urabstimmung entschieden werden.

Warum liegen die Verhandlungspartner so weit auseinander?

Die Mediziner wollten ihre Honorare um 3,5 Milliarden Euro aufgestockt haben, die Kassen wollten sie ihnen um 2,2 Milliarden kürzen. Damit lagen die Verhandlungspartner zu Beginn um stolze 5,7 Milliarden auseinander. Das sei diesmal schon „besonders viel“, meinen Experten. Und es zeige auch, dass die Sache von vornherein nicht auf eine schnelle Einigung, sondern auf Konfrontation angelegt war. Aus der Sicht mancher hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) auch den Fehler begangen, ihre Honorarwünsche zu früh auszuposaunen. Um auf einen einigermaßen moderaten Abschluss zu kommen, hätten die Kassen dann sogar mit drastischen Honorarkürzungen pokern müssen. Außerdem hat KBV-Chef Andreas Köhler das Problem, bei seinen Ärzten Riesenerwartungen geweckt zu haben. Das beschlossene Plus von 0,9 Prozent (270 Millionen Euro) nimmt sich im Vergleich zu den geforderten elf Prozent in ihren Augen doch sehr mickrig aus.

Wie berechtigt sind die Forderungen der Ärzte?

Das kommt ganz auf die Betrachtungsweise an. „Die elf Prozent sind sicherlich eine Extremforderung der Ärzte, die vor allem tarifpolitisch zu erklären ist“, sagt Rainer Riedel, der das Institut für Medizinökonomie an der Rheinischen Fachhochschule Köln leitet. „Die Honorarerhöhung sollte aber auch mindestens den Anstieg der Praxiskosten decken.“ Das sei beim bisher vorgeschlagenen Kompromiss von 0,9 Prozent nicht der Fall, sondern beginne bei einem Personal- und Sachkostenausgleich von etwa 1,5 Prozent. „Die Kassen sparen sonst auf dem Rücken der niedergelassenen Ärzte und damit auch auf dem der Patienten“, sagt Riedel. Wenn es eine gute Versorgung mit Haus- und Fachärzten geben solle, dürfe die Tätigkeit in der Praxis nicht noch unattraktiver gemacht werden. „Auch wenn Hausärzte sicher nicht schlecht verdienen, verdienen sie meist deutlich weniger als ein Oberarzt im Krankenhaus“, sagt Riedel. Dazu komme das unternehmerische Risiko einer eigenen Praxis. Wie viel ein niedergelassener Arzt verdiene, hänge unter anderem auch davon ab, wie hoch der Anteil der Privatpatienten sei.

Video: Ärzte drohen mit Praxis-Streiks

Wie wird die Höhe der Arzthonorare festgelegt?

Das Vergütungssystem für die niedergelassenen Mediziner ist so kompliziert, dass es viele Ärzte selber nicht bis in seine Verästelungen hinein verstehen. Generell gilt: Es gibt ein jährliches Budget, das zwischen Kassenverbänden und Ärztevertretern ausgehandelt wird. Wenn sie sich nicht einigen, wird ein Schlichtergremium angerufen – der erweiterte Bewertungsausschuss. Das ist im Grunde der Regelfall. In seiner bisher fünfjährigen Amtszeit hatte der derzeitige Vorsitzende, der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem, beispielsweise bereits 26 Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig ist genau festgelegt, wieviel jede Arztgruppe aus dem zugestandenen Honorartopf erhält. Wie viel wiederum jede einzelne ärztliche Leistung wert ist, regelt im Detail der sogenannte Einheitliche Bewertungsmaßstab. Er misst jeder einzelnen Leistung – vom Beratungsgespräch bis zum EKG – eine bestimmte Punktzahl zu. Entsprechend der erreichten Punkte erhalten die Ärzte am Ende von der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ihr Honorar. Die bundesweite Basis für die Leistungsvergütung ist der sogenannte Orientierungspunktwert. Über ihn hatte das Schlichtungsgremium am Donnerstag zu befinden, es beschloss eine Erhöhung um 0,9 Prozent. Auf Landesebene können Kassen und KVen dann weiter verhandeln, was den Ärzten nochmal deutlich mehr Geld bringen kann. Dabei geht es dann etwa um die Höhe der Zuschläge für unterversorgte Gebiete. Auch wenn die Bevölkerung in bestimmten Regionen älter ist und häufiger erkrankt, steigen die Ärztehonorare.

Wie verhält sich die Politik zu dem Streit?

Sie hält sich weitgehend zurück. Denn die Verhandlung der Honorare ist Teil der Selbstverwaltung von Kassen und Ärzten, da hat die Politik im Prinzip kein Mitspracherecht. Trotzdem positionieren sich die Parteien. Jens Spahn beispielsweise hat Verständnis für die Ärzte. „Ich verstehe den Unmut der Ärzte, denn die Stimmungsmache der Krankenkassen vor den Verhandlungen war unangemessen“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion und bezieht sich damit auf Studien, die die Krankenkassen im Vorfeld der Honorarverhandlungen in Auftrag gegeben hatten und die die Kassen dazu veranlassten, Honorarkürzungen vorzuschlagen. Selbst SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bezeichnete dieses Verhalten als „dumm“. Man könne nicht Überschüsse anhäufen „und dann Honorarkürzungen von den Ärzten verlangen“, sagte Lauterbach.

Kann es zu Streiks kommen?

Ab Dienstag ist eine Urabstimmung geplant, die bis Ende nächster Woche läuft. Doch bereits ab Montag soll es Aktionen geben, die die Krankenkassen direkt treffen sollen. Streiken im klassischen Sinne dürfen niedergelassene Mediziner nicht. Zwar haben sie als selbständige Unternehmer im Prinzip das Recht, ihre Praxen zu öffnen und zu schließen, wie es ihnen beliebt. Mit ihrer Kassenzulassung müssen sie aber auch eine Präsenzpflicht erfüllen. Zumindest muss die Versorgung der Patienten irgendwie gesichert sein, etwa durch andere Ärzte oder Notdienste.

Zunächst wollen sich Vertreter der Kassenärzte und der Krankenkassen zu einem Spitzengespräch treffen, um die „atmosphärischen Störungen“ zu beseitigen. Davon macht die KBV abhängig, ob sie wieder an den Verhandlungstisch zurückkehrt, was am 15. September ansteht.

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