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Registrierung von Flüchtlingen in einer Erstaufnahmestelle. Behörden und Freiwillige arbeiten in Hand in Hand. Trotzdem klappt in vielen deutschen Städten die Versorgung der Flüchtlinge nur unzureichend.

© epd

Ehrenamt in Berlin: Die gemeinsame Sache

Der Flüchtlingsstrom stellt Deutschland und Berlin vor eine besondere Herausforderung. Eine Kultur des Anpackens entwickelt sich. Doch die Behörden sind damit nicht aus der Verantwortung entlassen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Mit der Not wächst die Hilfe. Das ist – bei allen Bildern aus Deutschland mit langen Schlangen vor Ausländerbehörden, bedrängender Enge in Zelten und Containern oder dürftigen sanitären Einrichtungen – ein ermutigendes Zeichen. Dieser Tage ist überall in Deutschland zu beobachten, wie sich ehrenamtliche Helfer um die Menschen in Not kümmern und ihnen Zuwendung zukommen lassen. Ihr Mitgefühl ist es, neben Unterkunft und Verpflegung, was bei diesen dem Mord und der Verfolgung entkommenen Menschen ein wenig Hoffnung keimen lässt.

Willkommenskultur ist das neue Sommermärchen in dieser schweren Zeit. Doch es ist nicht nur ein Wort, sondern gelebte Selbstverständlichkeit für viele Menschen. Und es werden immer mehr.

Es sind jene Menschen, die etwa die Auenkirche in Wilmersdorf bis auf den letzten Platz füllten, als es um Hilfe für die Flüchtlinge ging, die jetzt notdürftig im früheren Rathaus Wilmersdorf untergebracht werden. Sie wollen helfen; in Wilmersdorf und in vielen anderen Bezirken.

Fehler in den Behörden

Diese Ehrenamtlichen schmücken die Stadt; auf sie darf Berlin stolz sein. Die Menschen sehen jeden Tag mehr, dass die Verwaltung ohne bürgerschaftliches Engagement die Aufgabe nicht bewältigen kann. Dazu brauchte es nicht erst die beschämende Situation vor der Berliner Erstaufnahmestelle, als die davor in der Hitze alleingelassenen Flüchtlinge von Ehrenamtlern versorgt werden mussten.

Ja, es wurden viele Fehler gemacht von Berlins Behörden. Die Verwaltung hat zu spät reagiert und zu langsam; und viel zu lange hat es gedauert, bis die SPD-CDU-Koalition dies als Aufgabe des gesamten Senats akzeptierte und ein Asylkonzept vorlegte. Aber wahr ist auch, dass die in diesem Jahr ungeheuer angestiegene Zahl von Flüchtlingen kaum jemand vorausgesehen hat.

Berlin entwickelt eine Kultur des Anpackens

Mitten in dieser humanitären Krise ist zu beobachten, wie sich Berlin verändert hat. Hier wächst was – eine Kultur des Anpackens, des Mithelfens und des Einsatzes für die eigene Stadt. Was kann sich eine Gesellschaft mehr wünschen? Eine Stadt ist so lebenswert und lebendig, wie ihre Bürger sich dafür engagieren und einbringen.

Das verstehen immer mehr Menschen; jene, die schon ein Leben lang in Berlin wohnen, ebenso wie jene, die erst vor Kurzem hierher gezogen sind. Vielfach sind es gerade die Neuberliner, die sich mit besonderem Engagement an ihrem neuen Lebensmittelpunkt engagieren – weil sie sich hier mit ihrer Familie wohlfühlen wollen und weil sie es teilweise aus anderen Ländern gewohnt sind, dass nicht für alle Probleme der Staat zuständig ist und auch nicht sein kann, sondern vieles vom Engagement der Bürger abhängt.

Hilfbereitschaft darf nicht falsch verstanden werden

Dieses Selbstverständnis gab es hier über viele Jahrzehnte nicht, weder im Ostteil der Stadt, wo die SED-Diktatur jedes Engagement als verkappte Systemkritik argwöhnisch beäugte, noch im Westteil, das bis nach dem Mauerfall voll versorgt am Subventionstropf der Bundesrepublik hing.

Die Hilfsbereitschaft darf von den Behörden nicht missverstanden werden. Aus ihrer Verantwortung sind sie nicht entlassen. Das wäre ein Missbrauch der Ehrenamtlichen. Aber ohne verantwortungsbewusste Stadtbürger ist die jetzige Herausforderung nicht zu bewältigen.

Erweiterung des Mottos

Der Tagesspiegel hat in den vergangenen vier Jahren diese Kümmerer, die sich oft genug ohne öffentliche Anerkennung unermüdlich einbringen, mit den „Aktionstagen für ein schönes Berlin“ gewürdigt und damit zum Umdenken beigetragen. Berlin tut es gut, wenn Menschen sich für saubere Parks einsetzen, Bäume pflanzen, Stolpersteine putzen oder Nazischmierereien beseitigen.

Daneben stehen Initiativen, die sich um Flüchtlinge und Asylbewerber kümmern, in besonderer Weise für ein tolerantes Berlin. Das wollen wir würdigen. Der Tagesspiegel erweitert deshalb sein Motto für den Aktionstag: „Saubere Sache – Gemeinsame Sache“. Damit in Berlin das Miteinander weiter wächst. Es ist schließlich unsere Stadt und unsere Sache.

Die Themenseite zu Flüchtlingen finden Sie hier.

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