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Alle beisammen: Das Plenum der G20 in Hamburg.

© Guido Bergmann/imago/ZUMA Press

Wohin treibt die Globalisierung?: Die große Herausforderung für die G 20 kommt erst noch

Digitalisierung und Automatisierung treiben die Globalisierung in eine neue Phase. Eine Studie zeigt die möglichen Folgen - auch für die Politik.

Die Treffen der Staats- und Regierungschefs der „Gruppe der Zwanzig“, der großen Industrienationen und Schwellenländer, gibt es seit 2008. Zum Lager der Industriestaaten gehören die USA, die EU als Ganzes sowie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien, dazu Japan, Australien und Kanada. Die Schwellenländer sind Argentinien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea und die Türkei. Wobei die klare Trennung langsam verschwimmt. Die G20 vereinen zwei Drittel der Weltbevölkerung und mehr als 80 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung.
Zu jährlichen Gipfeltreffen ging die 1999 gegründete G20 über, um die Folgen der globalen Finanzkrise in den Griff zu bekommen – seither ist das Format zu einer informellem Weltregierungsrunde geworden, deren Ziel es ist, die Globalisierung zu gestalten. Also jenen Prozess der Auflösung regionaler und nationaler Märkte, der schon im 19. Jahrhundert begonnen hat, aber erst mit dem Ende der Teilung der Welt im Kalten Krieg richtig an Dynamik gewann – auch weil die modernen Informations- und Kommunikationstechnologien diese Entwicklung zum globalen Markt vorantreiben. Doch wohin treibt die Globalisierung jetzt, was muss da gestaltet werden?

Soziale Folgen abfedern

Eine neue Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) macht deutlich, dass es nicht nur darum gehen wird, diesen wirtschaftlichen Prozess zu gestalten – sondern dessen soziale Folgen abzufedern. Bisher hatte die Globalisierung für beide Seiten – Industrie- wie Schwellenländer – eher positive Wirkungen: der industrialisierte Westen bekam neue Märkte, die Bevölkerung der Schwellenländer wurde insgesamt wohlhabender (vor allem die neue entstandene Mittelschicht). Die Armut nahm global seit 1990 deutlich ab. „Unter Umständen rollt nun mittelfristig aber eine neue Phase der Globalisierung heran“, sagt LBBW-Ökonom Guido Zimmermann. Und zwar eine, die von der Entwicklung hin zu mehr Automatisierung und Digitalisierung, zu Tele-Arbeit und Telerobotik, getrieben wird, welche die klassische Verbindung von Arbeit und Arbeitsplatz weiter aufhebt. Das trifft wohl die Arbeitnehmer hier wie dort. Automatisierung (etwa durch 3D-Druck) ist ein großes Arbeitsplatzrisiko für Schwellenländer, weil sie Handarbeit ersetzt (in Vietnam etwa sind laut Internationaler Arbeitsorganisation 70 Prozent der Arbeitspalätze potenziell davonbetroffen). Gleichzeitig gibt es ein Arbeitsplatzrisiko auch in den Industriestaaten, weil Arbeitnehmer in Schwellenländern (nur eben deutlich weniger als jetzt bei der Auslagerung von Produktion) Arbeitskräfte in automatisierten Produktionsstätten trotz der Entfernung ersetzen könnten. „Geographische Distanz ist aufgrund des Internets immer weniger von Bedeutung“, sagt Zimmermann. „Denn spekulativ sollte es ja eigentlich möglich sein, dass ein hinreichend qualifizierter Arbeiter in Indien einen Roboter in der Fertigung eines deutschen Unternehmens am deutschen Standort steuert.“

Einzelne Staaten verlieren an Einfluss

Die neue Phase der Globalisierung wird laut Zimmermann den lenkenden Einfluss der Einzelstaaten weiter verringern. „Der Außenhandel findet nicht mehr zwischen Nationen statt, sondern ist quasi ein Handel von Gütern und Dienstleistungen zwischen vernetzten, global agierenden Technologiekonzernen.“ Diese nutzen die jeweiligen Vorteile der einzelnen Länder. Woraus der Stuttgarter Ökonom folgert: Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe sind in Deutschland unwiederbringlich verloren. Abschottung durch Zölle und andere Handelshemmnisse, also die Trump-Lösung, hält Zimmermann für überholt – sie würden in der neuen Phase der Globalisierung keine Wirkung mehr entfalten. Wichtiger sei dagegen, attraktiv zu bleiben unter den neuen Bedingungen – vor allem durch die Garantie von Eigentumsrechten (wegen der gewachsenen Bedeutung von Ideen und Patenten) und durch gut ausgebildete Arbeitskräfte. Diese müssten aber auch darauf vorbereitet werden, beruflich und räumlich flexibler zu sein. Zudem müsse die Vernetzung der internationalen Produktionsstandorte von Unternehmen durch eine adäquate Infrastruktur sichergestellt werden. Für die Zukunft des Freihandels – ein Kernanliegen der G20 – ist nach der LBBW-Studie aber auch die „Kompensation der Globalisierungsverlierer“ entscheidend. Ob ein bedingungsloses Grundeinkommen hier hilfreich sein kann, ist umstritten. Laut Zimmermann muss in jedem Fall eingefordert werden, „dass die global operierenden Konzerne ihrer Steuerpflicht nachkommen“. Und ein Fazit der Studie lautet: „Globalisierung muss durch eine faire Verteilung der Wohlfahrtsgewinne des Freihandels begleitet werden“, etwa durch die Beteiligung der Arbeitnehmerschaft an den Kapitalgewinnen der Volkswirtschaft. Zusammengenommen heißt das wohl: Die eigentliche Herausforderung der G 20 kommt erst noch.

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