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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

© dpa/John Mcdougall/Pool/dpa

Die Kanzlerin wird zunehmend isoliert: Merkels No-Covid-Strategie ist beerdigt

Immer mehr Politiker wenden sich von Merkels bisher strikter Lockdown-Politik ab. Ihr Kurswechsel kommt nun möglicherweise zu spät. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wenn das keine bittere und beschämende Erkenntnis ist. Die Zahl der Toten in Alten- und Pflegeheimen sinkt durch Impfungen drastisch – was hätte erreicht werden können, wenn in der Corona-Pandemie mehr und früher geimpft worden wäre? Erheblich weniger Tote!

Die 28 Johanniter-Heime in NRW und Rheinland-Pfalz zum Beispiel haben unter ihren 2400 Bewohnern so gut wie keine Corona-Toten mehr. Dass es nicht bundesweit so positiv gekommen ist, kann man auch einen Gau nennen.

Einer, der früh auf diese Verantwortung hingewiesen hat, war übrigens Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Wer ist darauf eingegangen?

Jetzt kommt alles Bedauern sehr spät. Jeder, aber wirklich jeder sieht, dass es Großbritannien bei den Impfungen besser hinbekommen hat. Ohne die EU. Das vergisst keiner so schnell, das wirkt nach. Und hat damit etwas Historisches.

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Die EU muss sich dringend neu bewähren. Voran Deutschland als Orientierungsmacht in Europa. Zumal Deutschland bei Beschaffung und Verteilung des Impfstoffes mal wieder überreguliert ist. Genau wie bei den Schnelltests, die jetzt allerorten als Teil des gesamtgesellschaftlichen Heilungsprozesses angesehen werden.

Umso unverständlicher erscheint auf den ersten Blick, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat auflaufen lassen und damit die Einführung von Schnelltests verzögert hat. In einer Weise, dass Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer stellvertretend für viele Politiker in Verantwortung kürzlich die Geduld verlassen hat.

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Verklagt mich doch, lautete Palmers provokante Botschaft an Merkel und ihre Gefolgsleute, er warte nicht auf die „Genehmigung fürs Nasepopeln“. In Europa seien die Tests zugelassen.

Auf den zweiten Blick erklärt sich Merkels Handeln so: Eigentlich will die Kanzlerin nicht öffnen, rückt deshalb nur zögernd von ihrer 35 ab, mit der sie die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten zur Verlängerung des Lockdowns zwingen wollte. Aber die wenden sich von Merkels bisher striktem Lockdown-Kurs ab. Sie wird isoliert. Merkel droht das Momentum zu verlieren.

Volker Bouffier, Hessens Ministerpräsident und eine Art Moderator im Sinne der CDU, sagt schon: Wir können so nicht weitermachen. Inzidenzwerte entscheiden nicht allein. Öffnungen müssen her. Wörtlich: Die Leute haben die Schnauze voll. Bis Mai, das geht nicht.

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Ähnlich äußert sich Malu Dreyer von der SPD, die Rheinland-pfälzische Regierungschefin. Und selbst Lothar Wieler vom RKI sagt: Wir können Corona nicht auslöschen. Heißt: Die No-Covid-Strategie ist beerdigt.

Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten wollen für Lockerungen auch andere Faktoren als die Inzidenz einbeziehen: die Ansteckungsquote bei den Älteren, den R-Wert, die Belegung von Intensivbetten.

Markus Söder, der in Bayern und darüber hinaus den Ton angeben will, wird wohl spätestens nächste Woche ähnlich argumentieren und handeln. Zumal Deutschlands oberster Krankenhauschef gerade auch gesagt hat, es gebe aktuell keine Gefahr einer Überlastung mehr und weniger schwere Verläufe.

Auch in Europa ist der Kurswechsel offenkundig

Merkels Kurswechsel weg von No Covid kommt da möglicherweise zu spät: Beim EU-Gipfel sagte sie, es müsse geprüft werden, „ob wir uns durch ein vermehrtes Testen auch mit diesen Selbsttests einen Puffer erarbeiten können, sodass wir in der Inzidenz etwas höher gehen können als 35“.

Dabei ist auch in Europa der Kurswechsel offenkundig. Und erstaunlich: nicht Deutschland, nicht Frankreich – der gut dreißigjährige Österreicher Sebastian Kurz geht wieder voran. Kurz war der erste in Europa, der zugemacht hat, heute sagt er, wir halten es nicht mehr. Wir müssen es anders machen, die Leute halten sich nicht mehr dran.

Ja, und währenddessen buchen die Briten Urlaub, fahren die Österreicher Ski. Die Deutschen dagegen dürfen noch nicht mal in eine Ferienwohnung in den Harz fahren und müssen beim Joggen Maske tragen.

Kein Wunder, dass die Mehrheit Lockerungen will. Denn, wie sagt Malu Dreyer im Tagesspiegel: „Die Menschen sind total gestresst. Es ist nicht gut für die Akzeptanz von Regeln, wenn eine Mehrheit sie für völlig praxisfern und unsinnig hält.“ Was dagegen praxisnah und segensreich ist? Alle wissen es, in allen Regierungen: Impfen. Impfen. Impfen. Dafür ist es nie zu spät.

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