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Gottesdienst zu Corona-Zeiten im Berliner Dom.

© Christophe Gateau/dpa

Sollen im Lockdown Gottesdienste gefeiert werden?: Die Kirchen müssen Nein sagen – auch an Heiligabend

Jeder Gottesdienst, der stattfindet, erhöht das Infektionsrisiko. Die Kirchen sollten gerade jetzt vorbildlich vorangehen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Sie dürfen. Gottesdienste sind weiter erlaubt, die Auflagen streng: Maskenpflicht, Mindestabstand, kein Gesang, vorherige Anmeldungen. Öfter, kürzer und eher draußen als drinnen können bis zu 150 Gläubige an Heiligabend die Geburt Jesu feiern.

Im Zentrum stehen Wort, Gebet und Besinnung. Welche Bedeutung das für Christen hat, lässt sich kaum überbewerten. Viele dürstet es nach Kraft und Stärkung, gerade in dieser Zeit.

Von der Politik fühlen sie sich unterstützt. Das Recht auf Religionsfreiheit wurde erneut verteidigt, trotz steigender Infektionszahlen, knapper Intensivbetten – und trotz des harten Lockdowns.

Sie dürfen, aber sollen sie? Ist das Erlaubte auch das Gebotene? Nein. Alle politisch und medizinisch Verantwortlichen im Land verbreiten eine klare Botschaft: Sämtliche Kontakte müssen auf ein absolut notwendiges Minimum reduziert werden, jede Begegnung, die nicht stattfindet, ist gut

Daraus folgt das Gebot, alles zu unterlassen, was das Infektionsrisiko erhöht. Deshalb schließen Schulen, Kitas und der Einzelhandel. Deshalb werden Ausgehbeschränkungen und Böllerverbote verfügt. Deshalb dürfen Menschen keine Konzerte besuchen, nicht ins Museum oder Theater gehen.

Jeder Gottesdienst indes, der gefeiert wird, erhöht das Infektionsrisiko. Kein Hygienekonzept kann etwas anderes garantieren. Vor allem die Dynamik vor und nach Gottesdienst-Besuchen lässt sich nicht kontrollieren. Die Konsequenz aus dieser bitteren Erkenntnis muss lauten: Gottesdienste mit physischer Präsenz von Gläubigen werden abgesagt.

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Ihrem eigenen Anspruch nach haben Religionsgemeinschaften eine Vorbildfunktion. In einer pandemischen Notlage, ausgelöst durch ein hochgradig infektiöses Virus, dürfen Christen folglich nicht den Eindruck erwecken, privilegiert zu sein. Alle Bevölkerungsgruppen bringen in einem harten Lockdown große Opfer. Die Bereitschaft dazu und ein Höchstmaß an Solidarität können helfen, die Infektionszahlen zu senken.

Wollen Kirchen sich wirklich auf eine Debatte darüber einlassen, welche Opfer zu groß sind? Weihnachten ohne Kirchgang sei für viele Gläubige kaum vorstellbar, geben die Oberen zu bedenken. Aber „kaum vorstellbar“ ist im harten Lockdown fast alles. Es wirkt grotesk, wenn ausgerechnet jene, die oft am lautesten Opferbereitschaft einfordern, partout nicht auf Weihnachts-Gottesdienste verzichten wollen.

Die Last der Entscheidung bürdet man den Gemeinden auf

Gefordert wäre jetzt ein unmissverständliches Signal von Evangelischer Kirche und Katholischer Bischofskonferenz. „Eure Rede aber sei ja, ja, nein, nein. Was darüber ist, das ist von Übel.“ Stattdessen bürden die christlichen Leitungsgremien die Last der Entscheidung allein den Gemeinden auf.

Das führt zu Dissens, Streit und Frontenbildung. Die Risikobereiten werfen den Vorsichtigen vor, Auftrag und Bekenntnis nicht ernst genug zu nehmen. Die Vorsichtigen zeihen die Risikobereiten, nur die eigenen, „heiligen“ Interessen im Blick zu haben. Und als wären solche Debatten nicht schon enervierend genug, kommt zunehmend Konkurrenz zwischen den Gemeinden auf, nach dem Motto: Wer bietet mit beim weihnachtlichen Gottesdienst-Angebot?

Hätte Jesus gewollt, dass sich zu seinem Geburtstag viele Menschen versammeln und das Risiko eingehen, sich und andere mit einem gefährlichen Virus anzustecken? Die Frage zu stellen, heißt bereits, die Antwort zu kennen.

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