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Drogenrazzia im Görlitzer Park.

© dpa

Kriminalität im Görlitzer Park: Die organisierte Passivität der Politik in Berlin

Die Gewalt, der Drogenhandel und die Verwahrlosung im Görlitzer Park zeigen, wie lange es dauern kann, bis in Berlin die Politik loslegt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Schon erstaunlich, was es braucht, damit Berliner Politiker mal mit dem Politikmachen loslegen. In den vergangen Monaten schien der Betrieb ja auf strukturelle Selbstlahmlegung hinauszulaufen. Ein paar Beispiele aus beliebigen Themengebieten. Angefangen mit der Sicherheit, die geht alle an. Wer im Görlitzer Park das Pech hat, dass sein Gesicht irgendwelchen Jugendgruppen nicht passt, muss mit Prügel rechnen; desgleichen, wer nach Beute aussieht. Der Drogenhandel dort lief unter „stetig wachsende Nachfrage“ in der Stadt mit dem „weltweit höchsten Vergnügungsfaktor“, wie es über Berlin in einer neuen Studie heißt. Innensenator Frank Henkel hat auf die Totalverwahrlosung der Anlage mit der Entsendung von immer mehr Polizisten reagiert. Verändert hat sich nichts.

Jetzt spricht Henkels politische Intimfeindin, Monika Hermann, die grüne Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ über den Drogenhandel: „Wir haben es dort eindeutig mit organisierter Kriminalität zu tun, die weit über den Görli hinausgeht. Der gesamte Wrangelkiez ist betroffen, die Händler stehen bis rein nach Friedrichshain.“ Man liest es – und wundert sich. Zwischen Henkel und Herrmann läuft offenbar eine Art Machtspielchen der Art: „Du wirst schon sehen, was du davon hast.“

Ein zweites Beispiel für gegenseitige Lahmlegung. Herrmann will, dass ihr Coffeeshop-Modell für den Görlitzer Park an Sympathien gewinnt. Wer den Stoff fürs Wegdriften nach Chillistan legal und in handelsüblichen Mengen beim Händler seines Vertrauens kaufen kann, braucht keinen Dealer – und schon ist Schluss mit der organisierten Kriminalität. Henkel will darauf hinaus, dass Herrmann erkennt, wohin ihre „Bei uns laufen die Dinge nach eigenen-Gesetzen“-Haltung führt: in die Unregierbarkeit, in gefährliche Zustände wie rund um den Görlitzer Park, zu einem Drogenhandel weit über die gesetzlich erlaubten „geringen Mengen“ hinaus.

Der Görli ist nicht mehr nur der Görli

Noch mehr Selbstlahmlegung: Der große Rest der politischen Klasse hat dem Spielchen zugesehen. Der verrottende Park, die immer heftiger gentrifizierte Umgebung – eine Sache für den Stadtentwicklungssenator? Bitte nicht – das sind Bezirksangelegenheiten. Herrmanns Vorstoß in der Drogenlegalisierungspolitik – eine Sache für den Gesundheitssenator? Der ließ auf Nachfrage vor Monaten immerhin versichern, dass Herrmanns Versuch nicht genehmigungsfähig sei. Mehr Aufwand war nicht. Dabei weisen diverse Drogenberichte darauf hin, dass Kiffer in Berlin deutlich häufiger zu finden sind als im Bundesdurchschnitt – eine weitere Hauptstadtfunktion deutet sich an. Aber mit Gesundheitspolitik hat das nicht wirklich etwas zu tun.

Oder ist es die naive Überinterpretation von Politik, anzunehmen, dass es Aufgaben gibt, bei denen man als Politiker zugreifen kann, soll und muss? Gewiss, Impulse von ganz oben sind nicht zu erwarten, schon lange nicht mehr. Klaus Wowereit lässt sich abfeiern, etwas anderes interessiert ihn nicht. Aber vielleicht ist es auch gut so. Man muss gar nicht erst an festgefahrene Jobmaschinen im Südosten denken, um in Anbetracht all der „Chefsachen“, zu denen Wowereit irgendetwas irgendwann gemacht hat, vom demografischen Wandel bis zum Klimaschutz, zu erkennen: Bloß gut, wenn er sich nicht auch noch in die Entwicklung Kreuzbergs einmischt.

Henkel ist im Debattengewitter über die Kreuzberger Zustände zu der Erkenntnis gelangt, dass immer mehr Polizei nicht mehr ausreicht. Er will jetzt eine „behördenübergreifende Taskforce“, an der vom Bezirksamt über die Polizei bis zur Staatsanwaltschaft sämtliche theoretischen Ordnungsmächte beteiligt sein sollen. Man darf gespannt sein, was daraus wird. Der Görli ist nicht mehr nur der Görli. Der Park ist von der Grünanlage zum städtischen Un-Raum geworden, zu einem Ort, an dem eine Ordnung nur noch momentweise gilt, dann nämlich, wenn sie mit Polizeigewalt wiedererweckt und durchgesetzt wird. Der Park ist zu einem Ort ohne Konsens geworden. So etwas wie eine Verbindlichkeit von Umgangsformen wäre dort erst mal wiederherzustellen.

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