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Finanzminister Olaf Scholz wurde wegen seiner Politik der "schwarzen Null" innerparteilich kritisch beäugt.

© Michele Tantussi/Reuters

100 Tage im Amt: Die SPD im Schatten von Union und Flüchtlingsstreit

Auch nach 100 Tagen in der Regierung haben die Sozialdemokraten noch kein Mittel gefunden, eigene Ziele besser ins Licht zu stellen. Oft bleiben sie ungehört.

Von Hans Monath

Die Attacke von Thorsten Schäfer-Gümbel auf Innenminister Horst Seehofer (CSU) sorgte nicht für Schlagzeilen, lenkte aber den Blick auf ein Grundproblem der Sozialdemokraten. Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende versuchte diese Woche, trotz aller Aufmerksamkeit für den Flüchtlingsstreit der Union die Themen seiner eigenen Partei stark zu machen. „Ich würde mir so viel Engagement beispielsweise in der Wohnungspolitik, in der Bildungspolitik, aber auch in der Sicherheitspolitik wünschen“, kritisierte der SPD-Spitzenkandidat für die hessische Landtagswahl im ZDF-Morgenmagazin. Das Problem sei, „dass Horst Seehofer, der beispielsweise für den Wohnungsbau zuständig ist, sich genau um dieses Thema nicht kümmert“.

Am Freitag sind auch die SPD-Minister 100 Tage im Amt

Der Fernsehauftritt Schäfer-Gümbels blieb nicht unbemerkt. Mehrere Nachrichtenagenturen verschickten anschließend Meldungen, wonach der SPD-Politiker bei dieser Gelegenheit der CSU in der Flüchtlingspolitik Europafeindlichkeit vorgeworfen hatte. Doch nirgendwo fand sich sein Hinweis auf jene gesellschaftlichen Probleme, die nach der Überzeugung der Sozialdemokraten die Bürger wirklich umtreiben und um die sich die Partei zu kümmern verspricht.

An diesem Freitag werden die SPD-Minister 100 Tage im Amt sein. Viele Sozialdemokraten werden überlegen, wie weit ihre Partei in diesen gut drei Monaten gekommen ist. Die mangelnde Sichtbarkeit der SPD-Versprechen gegenüber der Dominanz der Unionsthemen dürfte auf der Minusseite verbucht werden. Denn eine Strategie, das emotionale Flüchtlingsthema durch ähnlich wirksame Debatten über eigene Ziele zurückzudrängen, hat die SPD noch nicht gefunden.

Viele haben Angst vor dem Untergang

Zwar wird die Öffentlichkeit zum 100-Tage-Datum auch eine erste Bilanz der Arbeit der Unions-Ressortchefs ziehen. Doch eines steht fest: Die Selbstbefragung der SPD wird viel schärfer ausfallen als die von CDU und CSU. Denn während das Regieren für die Unionsparteien schon immer ein Wert an sich war, gelang es der SPD-Führung nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen nur mit größter Anstrengung, die Partei noch einmal in die große Koalition zu treiben.

Viele votierten im Mitgliederentscheid nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst vor einem Untergang der Partei bei Neuwahlen für die Neuauflage des Bündnisses mit der Union. Ein Drittel verweigerte sich und stimmte mit Nein. Viele dieser Skeptiker, so warnen Bundestagsabgeordnete, haben sich seither innerlich abgewendet und beteiligen sich gar nicht mehr an den Debatten in der Partei.

"Erneuerung auf allen Ebenen" - ein großes Versprechen

Um die eigenen Anhänger zu überzeugen, hatte das neue Führungsduo aus Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz große Ziele ausgegeben: Die Malaise der SPD in früheren großen Koalitionen werde sich nicht wiederholen. Da sie selbst nicht der Regierung angehöre, argumentierte Nahles, liege das strategische Zentrum außerhalb des Kabinetts, so lasse sich das Profil der Partei scharf herausarbeiten.

Für die gedemütigte, verunsicherte Partei heißt das Versprechen seit dem Wahldesaster „Erneuerung“ auf allen Ebenen – ein Begriff, der womöglich zu große Erwartungen weckt. Dass die SPD den Mut fand, sich von einem Expertenteam schonungslos die eigenen Defizite im Wahlkampf auflisten zu lassen, sorgte zumindest in den Führungsgremien eher für Erleichterung nach dem Motto: Endlich hat es jemand ausgesprochen; nur wer sich ehrlich macht, weiß um seine Aufgabe.

Als wollte er die Politik Schäubles nahtlos fortsetzen

Zur Bilanz der ersten 100 Tage dürfte auch der Umstand zählen, dass die wichtigsten Minister der SPD es in der Anfangszeit der neuen Regierung den eigenen Abgeordneten oder Anhängern nicht leicht gemacht haben. Vizekanzler Scholz präsentierte sich als strikter Verteidiger der „Schwarzen Null“ und nährte damit den Verdacht mancher Genossen, er wolle nahtlos die Politik seines Vorgängers Wolfgang Schäuble (CDU) fortsetzen. Später räumte er vor der Fraktion Kommunikationsfehler ein. Seinen jüngsten Vorschlag zur Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung nahm seine Partei dann mit Erleichterung auf – als erkennbar sozialdemokratischen Beitrag zur Rettung der EU.

Heiko Maas, der als Außenminister ein Dauerabonnement auf Medienpräsenz hat, wird wegen seines harten Russland-Kurses von konservativen Medien gelobt. Seine Partei dagegen reagierte verstört auf die unvorbereitete Wende, die viele als Bruch mit dem Erbe von Willy Brandts Ostpolitik empfinden. In Zeiten der Verunsicherung gilt jede Parteitradition als besonders verteidigenswert. Die Handlungsfreiheit, die der Parteivorstand Maas faktisch gewährte, muss deshalb noch nicht das Ende der Russland-Debatte in der SPD bedeuten.

Im Flüchtlingsstreit auf Seiten der Kanzlerin

Der Start der vier übrigen Ministerinnen und Minister, nämlich Hubertus Heil (Arbeit), Franziska Giffey (Familie), Katarina Barley (Justiz) und Svenja Schulze (Umwelt) gilt in der Bundestagsfraktion als geglückt. Allerdings ging im Getöse der Flüchtlingsdebatte fast unter, dass das Kabinett vergangene Woche das Gesetz zur „Brückenteilzeit“ verabschiedete – ein SPD-Ziel, das Heil gegen Widerstand der Wirtschaft durchgesetzt hatte.

„Die SPD hat in den ersten 100 Tagen hart gearbeitet und wichtige Projekte wie die Brückenteilzeit und bessere Kita-Qualität vorangetrieben“, heißt denn auch die Bilanz von Generalsekretär Lars Klingbeil. Der verteidigt im Flüchtlingsstreit nun die CDU-Chefin: Seehofer habe 100 Tage „im Wesentlichen damit verbracht, die Bundeskanzlerin zu attackieren und Europa zu spalten“. Klingbeils Forderung, die aber mit keiner Gegendrohung unterlegt ist, lautet: Die CSU müsse endlich „zur Vernunft“ kommen.

Die Parteispitze scheut das Risiko Neuwahlen

Vertreter des linken SPD-Flügels gehen da schon weiter – und nähern sich dem Gedanken an eine Aufkündigung der Regierung an. „Langsam reicht es“, erklärte der Chef der Parlamentarischen Linken (PL), Matthias Miersch. Die Sprecherin der Basisgruppe DL 21, Hilde Mattheis, drohte mit dem Ausstieg aus der Koalition: „Wenn die CSU uns Stück für Stück von Europa abschotten will, müssen wir sagen: Ohne uns!“

Dass die Parteispitze dem folgt, ist allerdings unwahrscheinlich. Angesichts der nun offen zu Tage liegenden Unfähigkeit zum Wahlkampf und Umfragewerten um die 17 Prozent muss sie jedes Risiko von Neuwahlen scheuen.

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