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Fritz Vahrenholt, Querdenker in der Klimadebatte.

© Volker Debus/Deutsche Wildtier Stiftung, Quelle Wikipedia

Fritz Vahrenholt, doch ein Mann der Kohleindustrie?: Die Wandlung vom RWE-Manager zum Tierschützer

Er war Umweltsenator, Manager bei Shell und RWE. Heute leitet Fritz Vahrenholt eine Stiftung, die für Artenschutz kämpft – und muss sich gegen einen Verdacht wehren.

Wenn Fritz Vahrenholt über den Feldhamster redet, kommt er ins Schwärmen. Der Mann hat einen weiten Weg hinter sich. Umweltsenator in Hamburg, Energiemanager bei RWE, Klimawandel-Skeptiker, heute Alleinvorstand der Deutschen Wildtierstiftung. „Der Feldhamster wurde immer von den Grünen benutzt, um gegen Industrieprojekte zu protestieren, wie das Kohlekraftwerk in Neurath“, sagt er. „Und was ist dann in ihrer Regierungszeit mit der SPD passiert? Der Feldhamster ist praktisch ausgestorben in Nordrhein-Westfalen.“

Vahrenholt will den Hamster wieder dort ansiedeln – dazu brauche es 150 Hektar Getreidefläche, um 200 Tiere auszusetzen. Die Ironie der Geschichte wäre, wenn das am Ende auf einer Rekultivierungsfläche geschehen würde, die RWE als Kompensation für den Braunkohletagebau bereitgestellt hat. Für Vahrenholts Kritiker ist der Hamster nur eine Art trojanisches Lobby-Pferd. Das SPD-Mitglied war ein Wegbegleiter von Jürgen Trittin und Gerhard Schröder, Pionier in vielem – und einer, der mit seiner Stiftung gegen die Unterstellung kämpfen muss, ein Büttel der alten Energiewirtschaft zu sein, um Teile der Energiewende und einen zu raschen Kohleausstieg zu bekämpfen.

Vahrenholt, der an diesem Mittwoch seinen 70. Geburtstag feiert, weist diesen Vorwurf scharf zurück. Er ist überzeugt von seiner Sache wie eh und je. Geboren 1949 in Gelsenkirchen-Buer, machte der promovierte Chemiker als Hamburger Umweltsenator (1991-97) bundesweit Schlagzeilen, er genehmigte mehrere Müllverbrennungsanlagen, die damals noch als Dioxinschleudern verschrien waren – das brachte ihm den Spitznamen „Feuer-Fritze“ ein, unter anderem von Trittin. Vahrenholt setzte auf neue Filtertechniken – später setzte sich auch bundesweit die Verbrennung durch, da es immer größere Probleme mit Deponien gab, wo Giftstoffe durchsickerten.

Pionier für Windkraftanlagen

Und er wurde zum Pionier für Windkraftanlagen, genehmigte die erste Anlage in Hamburg, 1996 an der A1. Die erste Einspeisevergütung betrug damals 1,50 D-Mark je Kilowattstunde. Heute beträgt die Grundvergütung 4,38 Cent für Windkraft an Land, was den enormen Erfolg dieser Energiegewinnung unterstreicht: immer bessere Technologien machen den Windstrom immer günstiger. Nach dem Shell-PR-Debakel um die Ölplattform Brent Spar in der Nordsee wurde Vahrenholt dort Manager, baute auch für Shell als grünes Feigenblatt die Windkraft- und Solarzellenproduktion aus, bevor er zum Windkraftanlagen-Hersteller RePower wechselte. Dort trieb er die Entwicklung von off-shore Windkraftanlagen voran. 2008 wurde er Chef der neuen Ökoenergie-Sparte von RWE, den Namen Innogy dachte er sich selbst aus: Innovation und Energy. Es war die Zeit als RWE-Chef Jürgen Großmann wie ein Löwe um längere Atomlaufzeiten kämpfte – erst mit Erfolg, bevor ein Tsunami das Atomkraftwerk in Fukushima erreichte. Und Angela Merkel alles wieder rückgängig machte.

Vahrenholt veröffentlichte 2012 ein Buch, das breit diskutiert – und scharf kritisiert wurde: „Die kalte Sonne“ – er misst dem Sonnenzyklus eine besondere Bedeutung zu und erwartet dadurch eine weit weniger dramatische Erderwärmung, da auch Schwankungen der Sonnenaktivität und ozeanische Meereszyklen zum Klimawandel beitragen würden. Klimaexperten zerpflückten das Werk, auch der Weltklimarat misst der Sonne einen sehr geringen Einfluss auf den aktuellen Klimawandel bei. Fortan musste er mit dem Etikett „Klimawandel-Leugner“ leben, wobei er einen Effekt durch den vom Menschen verursachten Kohlendioxid-Ausstoß nicht negiert. Er glaubt aber, dass es mehr Zeit gibt, um den Ausstoß drastisch zurückzufahren. „Raus müssen wir, bis Ende des Jahrhunderts.“

Großmann sagte damals über Vahrenholts Buch: „Ich hab‘ das Buch in einer Nacht durchgelesen.“ Es diente dem RWE-Chef mit seinen riesigen Braunkohlekraftwerken als Beweis für seinen Kampf gegen zu harte Klimaschutzauflagen – der nächste Kampf nach dem Kernenergie-Debakel. Gegen die boomende Solarenergie zog man mit dem Argument zu Felde „Solarenergie in Deutschland ist so sinnvoll wie Ananas züchten in Alaska“. Hier habe er sich geirrt, räumt Vahrenholt ein. Er hätte nie gedacht, dass heute in einigen Ländern Südeuropas für 5 Euro-Cent Erzeugungskosten je Kilowattstunde Solarenergie zu produzieren sei.

Auch in Deutschland gingen die Kosten runter, auf aktuell 10,95 Cent Einspeisevergütung. Heute sind zum Teil Erzeugungskosten wie bei der Braunkohle möglich – wobei noch Speicherkosten für überschüssigen Strom dazukommen, bei der Kohleverstromung die Kosten durch Umwelt- und Klimaschäden.

Die Zeiten haben sich geändert. Heute spricht die Fridays-for-Future-Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer sogar auf der RWE-Hauptversammlung – der Konzern setzt verstärkt auf Offshore-Windkraft im Meer. Das einstige Innogy-Nebengeschäft wird zunehmend zum Kerngeschäft. Und Vahrenholt kämpft heute für Feldhamster und Wildbienen. Seit 2012 ist er der Alleinvorstand der Deutschen Wildtier-Stiftung, gegründet von dem Unternehmer Haymo Rethwisch, einem passionierten Jäger, der sich für eine Zukunft mit Wildtieren einsetzt. Alle würden sich immer um die Honigbienen sorgen, das Problem liege aber beim Erhalt der Wildbiene, sagt Vahrenholt. Eine halbe Million habe die Stiftung in ein Projekt im Großraum Hamburg investiert („Hamburg brummt“), 175 Arten sein identifiziert worden – ohne den Erhalt bestimmter Pflanzen seien die Arten bedroht, da sie meist nur eine Futterpflanze anfliegen – die Glockenblumenscheren-Biene braucht die Glockenblume und die Natternkopf-Mauerbiene braucht den violetten Natternkopf.

Dramatischer Spot

Das Thema gewinnt rasant an Bedeutung, der Weltbiodiversitätsrat kam gerade erst zu dem Schluss, dass von den geschätzten acht Millionen Tier- und Pflanzenarten bis zu einer Million vom Aussterben bedroht sind.

Aber Vahrenholt kämpft auch gegen zu viel Windenergie an Land, die anders als die Offshore-Parks im Meer weniger von Großunternehmen, sondern oft von kleineren Unternehmen und Bürger-Genossenschaften betrieben werden. Insbesondere gegen Windkraft im Wald macht sich Vahrenholt stark. Die übrigens auch für Jäger ein Problem ist, wenn dadurch Wildtiere vertrieben werden. Die Stiftung betont, dass jährlich rund 12 000 Greifvögel und rund 250 000 Fledermäuse durch Windräder in Deutschland getötet werden – basierend unter anderem auf Forschungen des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung.

Vor der hessischen Landtagswahl schaltete die Stiftung im vergangenen September einen dramatischen Spot. Zu Boden fliegende Federn von geschredderten Vögeln, gerodete Bäume, riesige Windkraftanlagen, die die umliegenden Wälder überragen. Ein zerstörtes Idyll. Dann folgt ein intakter Wald mit Hirschen, Sonnenlicht fällt ein, auf die Bäume wird die Forderung projiziert: „Keine Windkraft in unseren Wäldern.“ Und weiter: „Die Landesregierung in Hessen hat den Wald zur Zerstörung freigegeben, schon heute stehen hier 400 Windkraftanlagen.“ Am Ende blieb die schwarz-grüne Koalition in Hessen an der Macht und der Grünen-Politiker Tarek Al-Wazir Wirtschafts- und Energieminister.

Ebenso kämpft die Stiftung gegen die weitere Vermaisung der Landschaft. Immer mehr Maisflächen für Biogasanlagen bedrohen die Artenvielfalt. Aber zugleich hat man weniger Probleme mit der Solarenergie. „Solange die Solaranlagen auf Dächern montiert sind, geht auch keine zusätzliche Fläche verloren“, betont die Stiftung. Sie steht ein wenig im Schatten der in den Augen vieler Bürger „guten“ Organisationen wie BUND, WWF und Nabu. Dabei ist die Wildtierstiftung mit rund 150 Millionen Vermögen besonders finanzstark, Vahrenholt hat das Geld anlegen lassen, auch in Aktien und landwirtschaftliche Fläche, mit der Rendite und Spenden werden die Ausgaben bestritten, in diesem Jahr sollen es 7,8 Millionen Euro werden.

Zu den Projekten zählen das Schaffen von Wildnis auf rund 3500 Hektar Fläche im Rahmen des Nationalen Naturerbes, der Schutz vom Aussterben bedrohter Arten wie der Feldhamster, Wildbienen (Fokus auf die Metropolen Hamburg, Berlin und München) und der Trauerseeschwalbe (Mecklenburg-Vorpommern) sowie die Unterstützung für ein Auswilderungsprojekt beim Luchs in Rheinland-Pfalz. Ein Augenmerk liegt zudem auf dem Schutz des bedrohten Rotmilan, der immer wieder in Rotoren landet.

Vahrenholt kontert Kritik an seinem wechselnden Einsatz – erst für Müllverbrennungsanlagen, dann für mehr Windkraft, später gegen zu viel Windkraft und nun für den Wildtierschutz – selbstbewusst. „Viel Feind, viel Ehr, ich war meinen Kritikern und meiner Zeit voraus, fünf Jahre später haben alle die gleiche Melodie gesungen.“

Unterstützung für Naturfilmfestival gestrichen - es war zu kritisch

Es fällt auf, dass die Stiftung nicht für den Erhalt des Hambacher Forstes kämpft, Symbol der Klimaaktivisten, die das Ausweiten des RWE-Braunkohletagebaus stoppen wollen. „Die heute noch stehenden 160 bis 200 Hektar Wald sind vor allem Symbol für den Widerstand gegen die Braunkohle geworden“, betont die Stiftung. „Nach unseren Informationen sind im Rheinischen Braunkohlenrevier mehr Flächen zu Wald rekultiviert worden, als in Anspruch genommen wurden.“ Man habe sich auch an Naturbildungsmaßnahmen mit der Haselmaus auf einem rekultivierten Waldgebiet im Auftrag von RWE Power beteiligt. Ein großer Teil der abgebauten Fläche für die Braunkohle werde zu Ackerland rekultiviert, andere Flächen zu Wald oder Gewässern. „Im Gegensatz zu den Waldverlusten durch den Bau von Windenergieanlagen im Wald müssen Waldverluste durch den Braunkohleabbau kompensiert werden.“ Und um Vorurteile, ein U-Boot von RWE zu sein, auszuräumen, wird betont, man habe nur einmal eine Spende von RWE Power, bekommen: 1000 Euro im Jahr 2017.

Seit fünf Jahren hat die Stiftung auch das Naturfilmfestival auf dem Darß finanziert, hier kam es im vergangenen Jahr zu einem Disput zwischen dem Geschäftsführer Kommunikation der Stiftung, Michael Miersch, und dem Filmemacher Johan von Mirbach, der dort seinen Film „Die geheimen Machenschaften der Ölindustrie“ vorstellte. Dieser deckt auf, wie schon frühzeitig Erkenntnisse zum Klimawandel unter den Teppich gekehrt wurden und im Zuge des „Greenwashing“ für ökonomische Interessen die Natur als Lebensgrundlage nachhaltig zerstört worden ist. Vahrenholt wird in dem Film als Klimawandelleugner dargestellt.

Miersch warf dem Filmemacher einseitige Stimmungsmache vor. Am Ende stand die Jury vor der Frage: Dem Geldgeber gefallen oder Unabhängigkeit demonstrieren. Der Film gewann in der Kategorie „Mensch und Natur“. Die Stiftung stellt die Förderung des Festivals Ende des Jahres ein. Zur Begründung heißt es, man habe sich „von dieser Kooperation eine wesentliche Erhöhung unseres Bekanntheitsgrades und eine stärkere Medienresonanz erhofft“.

Leugner der Klimakrise?

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer, sieht die Arbeit Vahrenholts kritisch. „Die Wildtierstiftung taucht immer dann auf, wenn es gegen die Windenergie oder die Erneuerbaren Energien geht.“ Alleinvorstand Fritz Vahrenholt sei bisher weniger als Naturschützer, sondern als Atomkraftbefürworter und Leugner der Klimakrise aufgefallen. „Man hat stark den Eindruck, hier geht es weniger um den Schutz von Wildtieren, sondern darum, diese gegen Erneuerbare Energien zu instrumentalisieren.“

Vahrenholt findet solche Vorwürfe infam. Er ist ein streitbarer Kopf, Querdenker, eloquent. Bei seinem Amtsantritt betonte der frühere Erste Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi (SPD): „Fritz Vahrenholt war und ist immer beides: Eng mit der Natur und ihrer Bewahrung verbunden, aber auch Praktiker.“ Vahrenholt selbst hält die Kohlemesse ohnehin für gelesen – der Ausstieg soll bis 2038 kommen. „Die wollen entschädigt werden und fertig ist die Laube.“ Aktuell sorgt er sich um den Erhalt einer ganz besonderen politischen Art, seiner Sozialdemokraten. Die Sozialismus-Thesen des Juso-Chefs Kevin Kühnert hält er für schwer parteischädigend mit Blick auf Unternehmen und Mitte-orientierte Wähler, zumal solches Gedankengut mit dem Ruf nach Kollektivierung und Begrenzung des Immobilienbesitzes offenbar so weit in der Partei vorgedrungen sei, dass Parteichefin Andrea Nahles nicht mehr die Kraft habe, „dies überzeugend als Randströmung abzugrenzen“. Wenn 1,7 Millionen neue Einwohner im Land seien, müsse man auch mehr Wohnungen bauen, sonst gingen die Mieten durch die Decke. Er könne sich manchmal nur wundern: Die Bürger würden in Berlin immer lauter die Enteignung von Wohnungsbesitzern fordern. „Aber statt das riesige Tempelhofer Feld mit Wohnungen zu bebauen, wollen sie da lieber Drachen steigen lassen und grillen.“

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