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Ahmet Davutoglu in Berlin: Ein Hoch auf die "neue Türkei"

Bei einer Rede vor Landsleuten in Berlin zeichnet der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu das Bild eines Landes, das fest an der Seite der Auslandstürken steht.

Laute Musik schallt aus den Lautsprechern, überall werden Türkei-Flaggen geschwenkt, gelegentlich auch die deutsche und die türkische Fahne als Zweier-Kombination. Als der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu gegen 20 Uhr im Berliner Tempodrom auf die Bühne tritt, schwillt der Jubel im Zeltbau noch einmal um ein paar Dezibel an. Die Rede vor seinen Landsleuten bildet am Montagabend für Davutoglu den Abschluss eines Tages, an dem er auf allen Kanälen für sein Land geworben hat. Am Mittag stellte er nach einem Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt die Bedeutung seines Landes im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ heraus, und am Nachmittag bemühte er sich vor der Körber-Stiftung, die Rolle der Türkei als Stabilitätsanker in einer unruhigen Region hervorzuheben. Aber jetzt, am Abend vor den potenziellen Wählern seiner Regierungspartei AKP, ist eine andere Tonlage angesagt. Mehrfach gebraucht Davutoglu, der zur Teilnahme an der Parlamentswahl im kommenden Juni auffordert, in seiner umjubelten Rede den Begriff der „neuen Türkei“. Der Begriff soll ein selbstbewusstes Land kennzeichnen, das sich nicht mehr zu verstecken braucht. Die Türkei, die seit eineinhalb Jahren erstmals seit einem halben Jahrhundert keine Schulden mehr beim Internationalen Währungsfonds (IWF) hat, vergebe inzwischen selber Kredite, unterstreicht Davutoglu die neue Rolle des Landes.

Geschenke zur Geburt von Kindern

Es ist ein Land, auf das sich die Auslandstürken bei Bedarf verlassen können sollen. Als kleine Überraschung hat Davutoglu seinen Zuhörern die Nachricht mitgebracht, dass türkische Mütter bei der Geburt ihrer Kinder künftig auch im Ausland ein Geschenk des Staates erwarten können – und zwar im Gegenwert von umgerechnet rund 110 Euro beim ersten Kind und rund 220 Euro beim dritten Kind. Am Ende der Rede ruft Davutoglu dann dazu auf, an der an diesem Dienstag vom Zentralrat der Muslime und der Türkischen Gemeinde organisierten Kundgebung gegen Islamismus vor dem Brandenburger Tor teilzunehmen. Mit Blick auf seine Zuhörer spricht er von den „besten Vertretern des Islam, der Religion des Friedens“. Und er gibt den Zuhörern, von denen sich viele gleichermaßen sowohl Deutschland als auch der Türkei zugehörig fühlen den Rat, gleichzeitig die eigenen Kultur zu bewahren und sich noch mehr in die Politik und Wirtschaft Deutschlands zu integrieren.

Merkel lobt Rolle Ankaras im Syrien-Konflikt

Zuvor hatte Davutoglu nach seiner Begegnung mit Merkel davon gesprochen, dass die Bevölkerungen Deutschlands und der Türkei angesichts der rund drei Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland und der zahlreichen Deutschen, die sich an Orten wie Antalya dauerhaft niedergelassen haben, inzwischen miteinander „verwoben“ seien. Aber gleichzeitig kam Davutoglu bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merkel auch auf Angriffe auf Moscheen in Deutschland und islamfeindliche Übergriffe zu sprechen. In solchen Fällen sei eine klare Verurteilung durch die Bundesregierung sehr wichtig.
Sowohl Davutoglu als auch Merkel dürfte klar gewesen sein, dass bei ihrem gemeinsamen Auftritt angesichts der aufgeheizten Debatte um die Dresdener Anti-Islam-Bewegung „Pegida“ und die Anschläge von Paris jedes ihrer Worte auf die Goldwaage gelegt werden würde. Also bezeichneten die beiden die rund drei Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln fast wortgleich als Brücke zwischen beiden Ländern. Auch hoben die beiden Regierungschefs die gute Zusammenarbeit ihrer beiden Länder im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die guten Wirtschaftsbeziehungen hervor. Davutoglu bezifferte das gemeinsame Handelsvolumen der beiden Länder auf 38 Milliarden US-Dollar. Er hoffe, dass das Volumen demnächst auf 50 Milliarden US-Dollar gesteigert werden könne, sagte der Gast aus Ankara.
Merkel wiederum lobte die Anstrengungen der Türkei bei der Aufnahme von Flüchtlingen, die aus Syrien vor den Dschihadisten des „Islamischen Staates“ fliehen. Dies sei „ein ganz wesentlicher humanitärer Beitrag“, durch den eine weitere Verschlechterung der Lage im Nachbarland der Türkei vermieden werde, erklärte die Kanzlerin. „Die Türkei ist im Kampf gegen den Terrorismus ein Verbündeter“, sagte Merkel.

Davutoglu zeigt sich enttäuscht über mangelnde Solidarität

Dennoch steht offenkundig nicht alles in den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei zum Besten. Davutoglu zeigte sich enttäuscht darüber, dass die Türkei nach dem Anschlag in der vergangenen Woche in Istanbul anders als im Fall des Massakers in der Redaktion des Pariser Satiremagazins „Charlie Hebdo“ und der Morde in einem jüdischen Supermarkt keine internationale Solidarität erfahren habe. Bei dem Anschlag in Istanbul hatte eine Selbstmordattentäterin an der Wache der Touristenpolizei einen Polizisten mit in den Tod gerissen.

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