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Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf dem Parteitag, der sie Anfang Dezember 2019 zur Doppelspitze wählte.

© REUTERS

Ein Jahr neue SPD-Chefs: Aufbruch ins Irgendwo

Seit zwölf Monaten führen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans die SPD. Was haben sie verändert, was haben sie erreicht? Eine Bilanz. 

Von Hans Monath

Am 6. Dezember 2019 wählten die Delegierten des SPD-Parteitags in Berlin Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zur ersten Doppelspitze der Partei. Die bis dahin wenig auffällige Hinterbänklerin aus dem Bundestag und der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister hatten sich acht Tage zuvor im Mitgliederentscheid gegen das Duo Klara Geywitz und Olaf Scholz durchgesetzt.

Das kam einer Misstrauenserklärung der Parteibasis gegen das eigene Spitzenpersonal gleich. Zwar verlangte der Parteitag kein Ende der großen Koalition, doch die Zukunft des Regierungsbündnisses schien Anfang Dezember 2019 offen.

Was haben die neuen Vorsitzenden der Partei gebracht?

Beide sehen es als ihre größte Leistung an, die SPD wieder zusammengeführt zu haben. „Wir stehen am Vorabend dieses Super-Wahljahres als Partei so einig da wie lange nicht“, sagt Esken. Mit Walter-Borjans und habe sie „bewusst einen neuen Kommunikationsstil eingeführt“, suche überall in der Partei das Gespräch, nun auch verstärkt digital. Auch zur Arbeit am Programm für die Bundestagswahl 2021 wurde die Basis eingeladen.

Tatsächlich herrscht in der notorisch zerstrittenen Partei nach einem Jahr zumindest äußerlich eine erstaunliche Harmonie. Das war nicht absehbar, denn unabgestimmte Forderungen der Neuen zum demokratischen Sozialismus, nach einem Tempolimit oder einer neuen Steuer auf Bodenspekulationen hatten anfangs für hämische Kommentare gesorgt.

Dass sich der Unmut gelegt hat, liegt auch daran, dass sich die Vorsitzenden geändert haben. Als Kandidaten für den Parteivorsitz hatten sie die große Koalition infrage gestellt. Kurz nach ihrer Wahl aber wurde deutlich: Sie tragen die Regierungarbeit mit. „Wir haben die Groko verändert“, sagt Esken. Und führt in ihrer Leistungsbilanz auch an, dass die SPD erreicht habe, dass der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zurücktreten musste, nachdem er mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt worden war.

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Eine starke Autorität haben beide dadurch aber nicht gewonnen, die Parteizentrale ist kein strategisches Zentrum. Auch ist nicht zu erkennen, dass der von Andrea Nahles angefangene Prozess der systematischen programmatischen Erneuerung der SPD weiterläuft. Die eigenen Akzente der Vorsitzenden bleiben nur eigene Akzente. Walter-Borjans beackert das Feld der Finanzpolitik, Esken kümmert sich um Rassismus in der Polizei, Digitalisierung und Flüchtlinge.

Offene Kritik an der Führung ist kaum zu vernehmen oder wird allenfalls unter dem Schutz der Anonymität geübt. „Es geht keine Inspiration von dem aus, was die Parteispitze tut“, sagt ein bestens vernetzter Sozialdemokrat: „Die Schwäche der Vorsitzenden geht so weit, dass sich keiner an ihnen reiben will.“

Wo steht die SPD nach einem Jahr?

Nach innen haben Esken und Walter-Borjans die Partei befriedet, nach außen keine Botschaften gesendet, die neue Anhänger überzeugen. Sie würden die SPD wieder auf 30 Prozent bringen, hatten sie in der Anfangseuphorie verkündet. Tatsächlich verharrt die SPD bei Umfragewerten von rund 15 Prozent, abgeschlagen hinter den Grünen.

Auch das Vertrauen der Bürger in die Fähigkeit der Sozialdemokraten ist weiter desaströs: Kaum zehn Prozent der Befragten sprechen der SPD Wirtschaftskompetenz zu (Union 59 Prozent), mehr Bürger halten laut einer neuen Umfrage die Grünen für fähig, die Probleme der Zukunft zu lösen als die Partei Eskens und Walter-Borjans’.

Sie waren im vergangenen Jahr die Verlierer: Olaf Scholz und Klara Geywitz. Heute arbeitet der Vizekanzler sehr gut mit den neuen Parteichefs zusammen, wie er betont.

© imago images/Emmanuele Contini

Wie kooperieren die Parteichefs mit Olaf Scholz?

Sehr gut, wenn man den Beteiligten glauben will. Und tatsächlich sind bislang auch keine heftigen Auseinandersetzungen bekannt geworden, die sich hinter den Kulissen abspielen. Dafür muss der Kanzlerkandidat allerdings Themen unkommentiert lassen, die er völlig anders sieht als die Parteispitze, etwa die nukleare Teilhabe Deutschlands.

Streit ist nicht zu erkennen – und trotzdem senden die Parteichefs und der Vizekanzler unterschiedliche Signale. Wie viele Regierungsmitglieder betont Scholz, wie gut die Zusammenarbeit in der großen Koalition beim Corona-Krisenmanagement laufe. Walter-Borjans verkündet unterdessen, die Gemeinsamkeiten mit der Union seien aufgebraucht.

Wer hat vom Wechsel profitiert?

Die Stellung der Jungsozialisten in der SPD ist so stark wie wohl noch nie. Die Jusos, vor allem die aus Nordrhein-Westfalen, hatten Esken und Walter-Borjans zur Kandidatur gedrängt und sie dann zum Sieg getragen. Dabei spielte Juso-Chef Kevin Kühnert, der dieses Amt nun abgibt, eine entscheidende Rolle.

Er stieg beim Parteitag vor einem Jahr zum Parteivize auf. Auch inhaltlich wollen die Jusos nun mitbestimmen, in vielen Bundestagswahlkreisen konnten sie schon eigene Kandidaten durchsetzen. Eine andere Frage ist, ob der Machtzuwachs der Jusos bei der Bundestagswahl helfen wird. Denn die SPD ist bei jungen Wählern schwach. Sogar Parteilinke warnen inzwischen: Zu viel Einfluss sollte der Parteinachwuchs nicht gewinnen.

Welche Chancen sieht die SPD für sich im Wahljahr 2021?

Es werde eine neue Dynamik in Gang gesetzt, wenn erst deutlich wird, dass Angela Merkel bei der Bundestagswahl nicht mehr antritt, sagen die Sozialdemokraten. Dann werde Olaf Scholz seine Stärken als erfahrener Politiker mit guten persönlichen Werten in den Umfragen auch ausspielen können.

Allerdings gehen auch hier die Botschaften auseinander: Die Parteichefs glauben an ein „progressives Bündnis“, das wohl nur mit der Linkspartei realisierbar wäre. Scholz sieht gute Chancen, wenn er sich gleichsam als bester Merkel-Ersatz empfiehlt getreu nach deren Satz: „Sie kennen mich.“ Ob sie beide Botschaften zu einem Konzept zusammenführen kann, muss die SPD noch beweisen.

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