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Mit Pappkarton und Kugelschreiber geht es nur im Notfall - organisierte Demokratieförderung kostet Geld. (Archivfoto)

© DPA

Eine Antwort an Familienministerin Giffey: „Ich fordere einen Rettungsschirm für unsere Demokratie!“

Die extreme Rechte verliert alle Hemmungen. Das von Giffey vorgeschlagene Demokratieförderungsgesetzt ist nicht falsch - aber hilft nicht akut. Ein Gastbeitrag.

Selmin Çalışkan ist Direktorin für institutionelle Beziehungen im Berliner Büro der Open Society Foundations.  Davor war sie Generaldirektorin der deutschen Sektion von Amnesty International. In ihrem Beitrag antwortet sie auf einen Gastkommentar von Franziska Giffey im Tagesspiegel, in dem die Bundesfamilienministerin ein Demokratieförderungsgesetz fordert.

„Da braut sich etwas zusammen“, heißt es oft – zuletzt wiederholt nach den Ereignissen in Halle. Aber wir müssen erkennen: Da braut sich nichts zusammen - wir stehen bereits mitten im Gewitter. Man muss von einem Gewitter sprechen, wenn politischer Mord wieder möglich wird. Möglich, in einem Land, das sich „Nie wieder“ schwor und in dem nun am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur Synagogen angegriffen werden – und Kommunalpolitiker sterben, weil sie Geflüchteten helfen.

Möglich in einem Land, in dem eine Untergrundgruppe wie "Nordkreuz", schon mal Leichensäcke und Ätzkalk für vorbereitete politische Morde bestellt. Menschenhass macht sich breit. Dabei scheint es oft irrelevant, gegen wen er sich richtet, solange die Person nicht in das kleinkarierte Weltbild passt.

Viele Initiativen bangen um ihre Existenz

Im Internet kursieren Listen mit angeblichen Gegnern. Listen, auf denen ich auch meinen Namen lesen muss. Es sind Namen und Intuitionen all derer, die sich tagtäglich gegen Rechtextremismus engagieren, und unsere Zivilgesellschaft so lebhaft, stark und divers machen.

In Zeiten, in denen die extreme Rechte alle Hemmungen verliert, ist es ein gutes Zeichen, dass die zuständige Bundesministerin Franziska Giffey in dieser Zeitung ein Demokratiefördergesetz vorschlägt, welches Initiativen und Organisationen langfristige Mittel zusichert. Es ist zu begrüßen, dass zivilgesellschaftliche Akteure damit längerfristig planen können und dadurch in die Lage versetzt werden, ihren wichtigen Beitrag für unsere Demokratie ohne finanzielles Risiko durchzuführen.

Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass viele Organisationen aufgrund der jüngsten Umstrukturierung des Programms „Demokratie Leben“, das durch das Familienministerium verwaltet wird, längst um ihre Existenz bangen. Es sind Projekte gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Feindlichkeit gegen die queere Community. Sie sind es, die die Handarbeit für unsere Demokratie machen und zupacken, wo es nötig ist. Sie sind im Zweifel diejenigen, die sich dem Sturm rechtsextremer Gewalt ausgesetzt sehen. 

Wir haben keine Zeit mehr!

Die Hilfe wird akut benötigt. Ich möchte sagen Nothilfe. Deshalb fordere ich einen Rettungsschirm für unsere Demokratie. Wenn 90 Prozent der vielversprechenden und zum Teil langjährig geförderten Projekte heute keine Förderung bekommen, nützt auch eine Verstetigung von „Demokratie Leben“ geschweige denn ein Demokratieförderungsgesetz in ferner Zukunft nichts. Ein Umstand, der all jene entmutigt, von denen gerade jetzt so viel Mut verlangt wird.

Dieser Nothilfefonds muss mindestens mit 50 Mio. Euro ausgestattet sein. Gerade kleinen Initiativen muss es möglich gemacht werden, in einer Übergangszeit von ein bis zwei Jahren unbürokratisch bestehende und gut funktionierende Projekte vorzusetzten und Strukturen aufrechtzuerhalten.

Ein solcher Fonds muss wie bei der Katastrophenhilfe als Übergang verstanden werden, zu einer klaren Gesamtstrategie. Sowohl bei der Entwicklung des Nothilfefonds als auch der Gesamtstrategie muss die Zivilgesellschaft noch stärker eingebunden werden. Auch sollten wir schauen, ob und wie Vertreter*innen der Sicherheitsbehörden stärker in den Austausch mit diesen Initiativen kommen.

Unsere Foundation hat in Ungarn erlebt, was passieren kann

Prävention und Repression gegen Rechtsextreme müssen auch praktisch zusammengedacht werden. Ein solch partizipativer Prozess, der seinen Namen verdient, kann als Vorbild für die Entwicklung eines Demokratieförderungsgesetzes dienen. Am Ende ist es die Zivilgesellschaft vor Ort, von deren Erfahrung ein solches Gesetz lebt.

Als Open Society Foundations wissen wir durch unsere osteuropäische Identität und unsere Erfahrungen in Ungarn sehr genau, was es bedeutet, wenn sich der Wind dreht und das Engagement für eine vielfältige und offene Gesellschaft mit physischen Bedrohungen einhergeht. Lassen wir es in Deutschland nicht so weit kommen!

Wo immer das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Aufbau der Strukturen zum Schutz der Demokratie Unterstützung benötigt, kann es sich auf die Open Society Foundations als Kämpferin für eine offene Gesellschaft verlassen. Lassen Sie uns alle gemeinsam handeln – unsere Demokratie braucht uns jetzt! 

Selmin Çalışkan

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