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Ekrem Imamoglu, Bürgermeisterkandidat für Istanbul.

© Burhan Ozbilici/AP/dpa

Erzwungene Wahlwiederholung in Istanbul: Oppositionskandidat Imamoglu liegt in Umfragen vorn

Präsident Erdogan hält sich zum ersten Mal seit 20 Jahren im Wahlkampf deutlich zurück. Möglicherweise, weil er eine erneute AKP-Niederlage nicht ausschließt.

Vor der Wahl-Wiederholung in Istanbul sollen die beiden Spitzenkandidaten an diesem Wochenende in einer Fernsehdebatte live aufeinander treffen – es ist das erste politische TV-Duell in der Türkei seit Jahrzehnten und wird mit Spannung erwartet. Binali Yildirim, der Kandidat der Regierungspartei AKP, muss im Wahlkampf diesmal alleine gegen den Oppositionskandidaten Ekrem Imamoglu antreten, der ihn bei der Wahl am 31. März knapp besiegt hatte. Denn anders als im März hat sich Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor der Wiederholung am 23. Juni ganz aus dem Wahlkampf zurückgezogen und schwingt erstmals seit zwei Jahrzehnten nicht das große Wort bei den Wahlkampfkundgebungen – möglicherweise ein Zeichen, dass er mit einer zweiten Niederlage seiner Partei rechnet und sich davon distanzieren will.

Laut Umfragen liegt Imamoglu, der Kandidat eines Oppositionsbündnisses unter Führung der säkulären CHP, auch diesmal vor seinem Gegner. Eine Befragung des Instituts Areda unter mehr als 9000 Wählern ergab einen Vorsprung von mehr als drei Prozentpunkten für Imamoglu. Yildirim hat unter anderem mit Korruptionsvorwürfen gegen die AKP zu kämpfen. Zudem sorgt die erzwungene Wahlwiederholung auch in den Reihen der AKP für Unmut. Auf Druck der AKP ordnete die Wahlkommission darauf eine Wiederholung des Urnengangs am 23. Juni an.

Mit seinen 16 Millionen Einwohnern und zehn Millionen Wählern ist Istanbul die mit Abstand größte Stadt der Türkei. Ein Machtverlust am Bosporus wäre für die AKP daher ein schwerer Schlag. Yildirim verspricht den Wählern mehr Arbeitsplätze, billigeren Strom und mehr Grünflächen. Allerdings muss er sich vorhalten lassen, dass die AKP und ihre Vorgängerparteien während ihrer 25-jährigen Herrschaft in der Stadt in eine Betonwüste verwandelt hat.

Auch Imamoglu wirbt bei den Istanbulern mit sozialen Wohltaten wie Unterstützung für arme Familien und Arbeitslose. Finanzieren will er das mit einem Stopp der Millionenzahlungen, die bisher von der AKP-Stadtregierung an regierungsnahe Einrichtungen und Stiftungen fließen. Oppositionswähler werden am Wahltag aber vor allem durch die Aussicht motiviert sein, Erdogan in dessen Heimatstadt Istanbul eine Niederlage beizubringen.

Im Fernsehduell dürfte der schlagfertige 48-jährige Imamoglu gegenüber dem 63-jährigen Yildirim im Vorteil sein. Nicht alle im Regierungslager sind deshalb begeistert von dem Aufeinandertreffen vor den Live-Kameras. So soll Erdogan verlangt haben, das Fernsehduell aufzuzeichnen, um es notfalls bearbeiten zu können. Erdogans Partner, MHP-Chef Devlet Bahceli, warf dem Moderator bei dem Duell, dem Fernsehjournalisten Ismail Kücükkaya, schon jetzt Parteinahme für Imamoglu vor.

Die Kritik an der Wahlwiederholung trifft die AKP

Imamoglus Popularität macht die Regierung nervös. Mit einer 15-köpfigen Sonderkommission nimmt das Innenministerium laut Medienberichten die frühere Amtsführung Imamoglus als Bürgermeister des Istanbuler Stadtbezirks Beylikdüzü unter die Lupe, um nach etwaigen Unregelmäßigkeiten zu suchen. AKP-Politiker unterstellen Imamoglu zudem, er sei griechischer Herkunft. Auf diese Weise soll der Politiker als Agent des feindlichen Auslands hingestellt werden.

Trotzdem fehlt dem AKP-Wahlkampf der rechte Schwung. Yildirim genießt zwar die Unterstützung des Staatsapparates und der meisten Medien. Auch die rechtsgerichtete Partei MHP steht hinter ihm. Doch die weit verbreitete Kritik an der Wahlwiederholung wirkt als Bremse für die AKP. Selbst Yildirims Ehefrau Semiha nannte die Neuwahl eine „Qual“. Die Stimmung sei günstig für den Oppositionskandidaten, erklärte das Demoskopie-Institut Piar.

Zudem fehlt der AKP ihr wichtigstes Zugpferd. Präsident Erdogan, der Übervater der Partei, will entgegen ursprünglicher Planungen am Wahlkampf in Istanbul nicht teilnehmen, wie mehrere regierungsnahe Medien meldeten. Die AKP wolle den Eindruck vermeiden, dass es um ein Rennen zwischen Imamoglu und Erdogan gehe, lautet demnach die offizielle Begründung.

Manche Beobachter glauben jedoch, dass der wahre Grund woanders liegt: Erdogan wolle sich heraushalten, um sich für den Fall einer neuen Niederlage abzusichern, schrieb der Journalist Soner Yalcin in der Oppositionszeitung „Sözcü“. Dann wäre Yildirim der Sündenbock.

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