zum Hauptinhalt

Politik: „Es war ein Gemetzel“

Im Prozess um einen Einsatz zum G-8-Gipfel in Genua packt ein Polizist aus

„Als ich ankam, sah es nach einem Kampf aus. In Wirklichkeit war es eine blindwütige Prügelei, die nur von einer Seite ausging. (…) Es war ein Gemetzel.“ So beschreibt Michelangelo Fournier, was in jener Julinacht 2001 in Genua passiert ist. Fournier war beim Einsatz gegen protestierende G-8-Gegner dabei. Er war Vizechef eines mobilen Spezialkommandos der italienischen Polizei. Es war der 21. Juli. Drei Tage lang hatte der G-8-Gipfel die ligurische Hafenstadt in den Ausnahmezustand versetzt. Am Freitag, dem 20. Juli, erschoss ein Wehrdienstleistender der Carabinieri den Demonstranten Carlo Giuliani. Nun aber waren die Politiker abgereist, die Demonstranten vom „Genoa Social Forum“ hatten sich zurückgezogen. 93 von ihnen, darunter vierzig Deutsche und Österreicher, wollten ein letztes Mal in der Diaz-Schule übernachten. Kurz nach Mitternacht aber drangen etwa 300 Polizisten in die Unterkunft ein. Was sie dort anrichteten, ist durch Videos und Zeugenaussagen in dem seit Herbst 2005 laufenden Prozess eindeutig belegt. Michelangelo Fournier allerdings ist der erste Polizeifunktionär, der es zugibt.

„Ich habe überall Blut gesehen und Spritzer, die aussahen wie Gehirnmasse. Auf dem Boden lag eine junge Frau mit zerschlagenem Schädel, die aussah, als würde sie gleich sterben. Über dem Gesicht einer anderen Verletzten stand ein dicker Polizist in Zivil, der sie bedrohte, an seine Genitalien fasste und mit entsprechenden Beckenbewegungen eine Kopulation andeutete.“ Und wer von der Diaz-Schule nicht gleich ins Krankenhaus kam, der wurde „zu weiteren Untersuchungen“ in die Polizeikaserne Bolzaneto abtransportiert, wo er stundenlang nackt, mit gespreizten Beinen, erhobenen Armen und Gesicht zur Wand stehen musste, wo ihn Polizisten demütigten, beleidigten und wo ihm selbst Trinkwasser versagt blieb.

Anfangs hieß es, die „Durchsuchung und Beschlagnahme“ der Diaz-Schule sei notwendig gewesen, weil sich von dort aus ein Steinhagel auf vorüberziehende Polizisten ergossen habe. Ein Beamter präsentierte eine aufgeschlitzte Einsatzweste und erklärte, ein Demonstrant habe ihn mit dem Messer attackiert. Bei einer internationalen Pressekonferenz zeigten die Polizeiführer zum Beweis für die Gefährlichkeit der Demonstranten zwei Molotow-Cocktails, die in der Diaz-Schule gefunden worden waren, dazu Pickel und Eisenrohre – Schlagwerkzeuge also. Aber die angeblichen Beweise waren gefälscht, das stellte sich schon nach wenigen Wochen heraus.

Seit Sommer 2005 nun müssen sich 29 mittlere und höhere Polizeifunktionäre für den Diaz-Einsatz vor Gericht verantworten, weitere 47 sind wegen der „Erniedrigung“ von Gefangenen in der Bolzaneto-Kaserne angeklagt. Gegen die Prügler selbst ist kein Verfahren zustande gekommen: Untersuchungsrichter und Staatsanwälte sahen sich außerstande, die in einheitliche Kampfanzüge und Helme gekleideten Beamten zu identifizieren. Doch die beiden Prozesse könnten demnächst ein unrühmliches Ende nehmen: Von den verschiedenen Straftaten, die den Polizeifunktionären zur Last gelegt werden, verjähren die ersten bereits in drei Wochen. Verantwortlich dafür ist die Regierung von Silvio Berlusconi, die Verjährungsfristen drastisch kürzte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false