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Jean-Claude Juncker (56) ist seit 1995 Premierminister Luxemburgs. Seit über sechs Jahren ist er Chef der Euro-Gruppe, in der die Finanzminister der Euro-Zone vertreten sind.

© R/D

Juncker zur Griechenland-Krise: „Es wird eine Beteiligung privater Gläubiger geben“

Der Chef der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker über das neue Rettungspaket für Griechenland, die Möglichkeit einer harten Umschuldung und die Sorgen der Deutschen.

Herr Premierminister, zum zweiten Mal muss Europa Griechenland mit einem milliardenschweren Hilfspaket retten. Wird Griechenland das Geld jemals zurückzahlen können?

Dies wird ein extrem schwieriger Prozess für die Griechen werden. Aber ich muss feststellen, dass die Griechen ganz erhebliche Bemühungen bei der Konsolidierung des Haushalts erbracht haben. Sie haben sich jetzt bereit erklärt, bis Ende des Jahres noch einmal Maßnahmen in Höhe von drei Prozent des griechischen Bruttosozialproduktes zur Haushaltskonsolidierung vorzunehmen. Auf Deutschland übertragen, würde das bedeuten, dass in sechs Monaten dieses Jahres 125 Milliarden Euro eingespart werden. Das werden die Griechen tun. Die Griechen sind einverstanden, ein sehr ambitioniertes Privatisierungsprogramm auf den Weg zu bringen. Hinzu kommen eine Menge Strukturreformen, damit sich das Wachstumspotenzial Griechenlands auf Dauer nach oben bewegt. Deshalb denke ich, dass die Perspektiven Griechenlands nicht so abgrundtief dunkel sind, wie sie oft beschrieben werden. Aber ich möchte überhaupt nicht den Eindruck aufkommen lassen, dass dieser Prozess einfach für Griechenland sei. Er wird für die Griechen sehr schwierig werden.

Vertrauen Sie darauf, dass die Griechen das schaffen werden?

Ja. Aber ich betone: Es wird nicht im Handumdrehen machbar sein.

Wäre nicht eine harte Umschuldung nach dem Motto „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ besser für Europa und auch für Griechenland?

Das sehe ich nicht so. Wenn man jetzt einen harten Schuldenschnitt machen würde, hätte dies eine Ansteckungsgefahr für viele Staaten in Europa mit unabsehbaren Konsequenzen zur Folge. Wir verfügen über keinerlei empirische Erfahrungen darüber, was es hieße, wenn sich ein Mitglied einer Währungsunion, wie es sie weltweit nur einmal gibt, zu einem solchen Schritt entschließen würde. Ich halte die Risiken für so hoch, dass ich vor einem solchen Schritt nur warnen kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel macht die Zusage zu einem zweiten Hilfspaket für Griechenland von einer Beteiligung privater Gläubiger abhängig. Ist diese Forderung in Europa mehrheitsfähig?

Das hängt davon ab, wie man das im Detail ausgestaltet. Es gibt in der Euro-Zone eine wachsende Zustimmung für eine grundsätzliche Beteiligung der privaten Gläubiger. Man kann über die Beteiligung der Privatgläubiger reden. Das tun wir zurzeit, die Gespräche werden am Sonntagabend und am Montagvormittag fortgesetzt. Aber es gibt gewisse rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen: Es darf nicht zu einem Kreditausfall und einer weiteren Absenkung der Bonität Griechenlands kommen. Die Beteiligung muss freiwillig sein. Und es muss alles vermieden werden, was mit einer Ansteckungsgefahr für andere verbunden wäre.

Wie soll eine Lösung aussehen?

Das wird man nach den Verhandlungen, die am Sonntag beginnen, sehen.

Wie viel Zeit hat Europa, um eine gemeinsame Lösung zu finden?

Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Ende Juni ausstehende Auszahlung der fehlenden Tranche aus dem 110-Milliarden-Euro-Paket sichergestellt wird. Das geht aber nur, wenn wir dem Internationalen Währungsfonds so deutlich wie möglich unsere Fahrtrichtung beschreiben können. Das heißt, wir haben nicht sehr viel Zeit. Ich rate dazu, schnell zu Entscheidungen zu kommen.

In Deutschland heißt es, man könne sich bis in den September hinein Zeit lassen.

Ich bin nicht der Meinung, dass wir zulassen sollten, dass die Entscheidungen bis in den September hinein verschoben werden.

Die deutsche Öffentlichkeit hat große Vorbehalte, Griechenland ein zweites Mal unter die Arme zu greifen. Können Sie das verstehen?

Ich finde es nicht gut, wie in Deutschland über die Griechen und Griechenland gesprochen wird. Niemand sollte vergessen, dass die Griechen große Opfer bringen mussten und auch in Zukunft bringen müssen. Dabei ist es nicht hilfreich, angesichts der großen Anstrengungen die Menschen in Griechenland auf penetrante Art und Weise zu beleidigen. Wir brauchen auch die Zustimmung der Griechen für die Konsolidierungspakete. Was ich verstehe, ist die Sorge der Deutschen vor einem Abnehmen des Stabilitätsdenkens in Europa. Diese Sorge herrscht übrigens nicht nur in Deutschland. Aber ich warne davor: Wenn wir uns jetzt unserer gemeinsamen Verantwortung entziehen, dann treiben wir nicht nur Griechenland, sondern auch uns ins Chaos. Die Griechen haben ein zweites Konsolidierungspaket auf den Weg gebracht, ihre Privatisierungsanstrengungen werden sie verstärken und dabei auch deutsche Expertise in Anspruch nehmen. Es ist also nicht im Geringsten so, dass wir die Griechen „durchfüttern“.

Nimmt Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Verantwortung in Europa bei der Rettung Griechenlands wahr?

Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass Frau Merkel ihre Verantwortung als Vertreterin der größten Volkswirtschaft Europas kennt und wahrnehmen wird.

Die Kanzlerin wird eine Zustimmung ihrer Koalition nur erhalten, wenn sie in Brüssel Zustimmung für deren Bedingungen erwirbt. Fühlen Sie sich erpresst?

Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Und dazu gehören die Forderungen des deutschen Parlaments. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Und die, die Forderungen aufgestellt haben und bereit wären, sie so weit zu treiben, dass eine Situation eintritt, deren Folgen unabsehbar sind, sollten sich die Risiken vor Augen führen. Es wird eine Beteiligung privater Gläubiger geben. Aber diese darf nicht zu unvorhersehbaren Konsequenzen führen.

Das Gespräch führten Albrecht Meier und Antje Sirleschtov.

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