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EU-Gipfel nach Trump-Wahl und Ampel-Aus: Regiert die „lahme Ente“ Scholz in Europa durch?
Der EU-Gipfel in Budapest steht für Olaf Scholz ganz im Zeichen der heimischen Krise. Dabei könnte er gerade jetzt Europa seinen Stempel aufdrücken, wie die Union befürchtet.
Stand:
Olaf Scholz hat nicht Angela Merkel kopiert. Die Exkanzlerin zählte, als Donald Trump im Herbst 2016 erstmals zum Präsidenten gewählt worden war, all das auf, was Deutschland und die USA aus ihrer Sicht verbindet. Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht und der Würde jedes einzelnen Menschen. „Auf der Basis dieser Werte biete ich“, so Merkel damals, „Trump eine enge Zusammenarbeit an“.
Eine solche Vorbedingung, die sie damals in den Augen vieler zur alternativen Anführerin der freien Welt machte, hat Scholz nicht gestellt. Weder direkt nach der US-Wahl noch an diesem Freitag in Budapest beim informellen EU-Gipfel. „Wir werden mit dem künftigen amerikanischen Präsidenten auch weiterhin gut zusammenarbeiten“, lautete die pragmatisch-nüchterne Ansage. Als Gegenspieler Trumps tritt Scholz jedenfalls nicht auf.
Große europäische Ansagen sind gerade nicht zu erwarten vom Regierungschef ohne Regierungsmehrheit im eigenen Land. Mehr als ein milder Appell, dass Europas Sicherheit nur dann gewährleistet werde, „wenn alle ihren Beitrag leisten“, ist an europäischer Führung am Donauufer nicht zu hören.
Er ist nicht der einzige innenpolitisch Geschwächte
Mit dem Ende der Ampelkoalition sei, so die italienische Zeitung „La Stampa“, „Deutschland politisch zur ,lame duck‘, zur lahmen Ente, geworden“. So werden US-Präsidenten genannt, die vor der Vereidigung des gewählten Nachfolgers kaum mehr etwas zu sagen haben. So wie nun Joe Biden. So wie Olaf Scholz in Berlin?
Innenpolitisch geschwächt sind viele in der Runde, so etwa Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Übergangsphasen von der einen zur nächsten Regierung gibt es ohnehin ständig in Europa. Insofern muss Scholz im Kreis der Chefs weder mit besonderer Beobachtung noch mit speziellem Mitleid rechnen. Vielmehr sei ihm, so Scholz, „auf die Schulter geklopft“ und „kollegiale Solidarität“ zuteilgeworden – schließlich werde es in Koalitionsregierungen „immer schwieriger, nicht nur in Deutschland.“
Die Krise daheim überlagert trotzdem alles. Er ist später nach Budapest geflogen, sagt bilaterale Gespräche ab, beschränkt das Programm auf das Nötigste. Auch im Gespräch geht es weniger um die Herausforderungen, die mit Trump bevorstehen, sondern um die Innenpolitik. Auf der Pressekonferenz zum Abschluss spricht er den sogenannten Elefanten im Raum selbst an.
Fakt ist, dass das liberale Korrektiv durch den Rausschmiss der FDP-Minister künftig bei Verhandlungen mit Brüssel fehlt.
Der CDU-Europapolitiker Gunther Krichbaum
Scholz scheint mit sich im Reinen und zu seinen jüngsten Entscheidungen zu stehen – auch mit dem von ihm vorgeschlagen Termin für die Vertrauensfrage am 15. Januar, weil die Vorbereitung einer Wahl in Deutschland seine Zeit braucht. Dennoch wird schnell klar, dass er auch in Budapest Gespräche geführt hat, nach denen er zumindest Offenheit für einen früheren Termin für die Vertrauensfrage und darauf folgende Neuwahlen signalisieren muss.
Umso brüsker aber verneint Scholz die Frage, ob ihm in Budapest schon die heimische Rückendeckung fürdie Gipfelgespräche gefehlt habe. Der Kanzler ist sich seiner starken Rolle in der Verfassung bewusst – auch ohne Mehrheit im Bundestag.
Handlungsfähigkeit als Drohung
Anders als es das Bild von der lahmen Ente nahelegt, sehen auch CDU und CSU diese vom Grundgesetz garantierte Regierungsmacht - und ein Problem. Während die neue Minderheitsregierung es im Inland schwer haben wird, Mehrheiten für ihre Gesetzentwürfe zu finden, kann sie außenpolitisch normal agieren.
„Das Ausscheiden der FDP aus der Bundesregierung führt dazu, dass die rot-grüne Minderheitsregierung nahezu freie Hand hat, ihre gescheiterte Politik ohne Korrektiv in die Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse auf europäischer und internationaler Ebene einzubringen“, heißt es in einem Papier der Union.
Verwiesen wird darin darauf, dass in Brüssel nach dem für Anfang Dezember geplanten Amtsantritt der neuen EU-Kommission Verhandlungen beginnen zu den liegengebliebenen Gesetzesvorhaben der vergangenen Wahlperiode. Zudem kämen bald erste neue Gesetzentwürfe, „auf die die Minderheitsregierung in ihrem Sinne noch Einfluss zu nehmen versuchen wird“.
Als Beispiele werden EU-Richtlinien und Verordnungen zum Bürokratieabbau, die Revision des Verbrenner-Aus und Maßnahmen zur Stärkung der Rüstungsindustrie oder zur erleichterten Rückführung abgelehnter Asylbewerber genannt.
Anders als bei einer Bundesregierung, die nur geschäftsführend im Amt ist, könnte eine rot-grüne Minderheitsregierung ihre Vorhaben im Zweifelsfall auf EU-Ebene durchsetzen.
Gunther Krichbaum, europapolitischer Sprecher der Unionsfraktion
Die von Scholz zugesicherte Handlungsfähigkeit betrachtet Gunther Krichbaum, der europapolitische Sprecher der Unionsfraktion, denn auch eher als „Drohung“, wie er dem Tagesspiegel sagte. „Anders als bei einer Bundesregierung, die nur geschäftsführend im Amt ist, könnte eine rot-grüne Minderheitsregierung ihre Vorhaben im Zweifelsfall auf EU-Ebene durchsetzen“, so der CDU-Politiker: „Einmal mehr ist zu beobachten, dass Rot-Grün hier verdeckt über Bande spielen will.“ Für Krichbaum ist das ein weiterer Grund für schnellere Neuwahlen.
Olaf Scholz ficht das nicht an. Als amtierender Kanzler mit allen außenpolitischen Vollmachten wollte er mit seinen Kolleginnen und Kollegen „über Zukunftsfragen diskutieren, die für unsere Europäische Union von allergrößter Wichtigkeit sind“, sagt er: „Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze stehen dabei im Mittelpunkt.“ Niedere Motive, die seine politischen Gegner hinter der Terminwahl für die Vertrauensfrage im Bundestag vermuten, hat Scholz angeblich nicht.
Der Kanzler versucht in der ungarischen Hauptstadt ohnehin den Eindruck von Routine zu vermitteln. Direkt vor dem Beginn nimmt er ein Kanzlervideo zu 35 Jahren Mauerfall auf, der ja nun einmal auch mit dem Land zu tun hat, in dem er sich an diesem Freitag befindet.
Er braucht dann aber wohl noch eine kurze Auszeit für sich. Nach dem Statement zum EU-Gipfel auf der Dachterrasse seines Hotels stellt sich Olaf Scholz allein in die Morgensonne und blickt hinunter auf die prächtige Uferkulisse entlang der Donau. Was ihm wohl durch den Kopf geht? Ob er trotz aller zur Schau gestellten Siegesgewissheit in Bezug auf die vorgezogene Bundestagswahl vielleicht doch denkt, dass dies einer seiner letzten internationalen Gipfel sein könnte?
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