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Euro-Schuldenkrise: Letzte Gefechte der Eurokritiker vor dem Karlsruhe-Urteil

Unmittelbar vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts greifen die Kläger des Karlsruher Verfahrens die Euro-Rettungspolitik erneut an. Sie wehren sich gegen ESM und den Fiskalpakt. Kann das Verfahren am Mittwoch noch kippen?

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Der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hat seinen Eilantrag ergänzt, mit dem er Bundespräsident Joachim Gauck untersagen will, das Zustimmungsgesetz zum ESM zu unterschreiben. Zugleich wurde ein offenbar von Abgeordneten der Linkspartei in Auftrag gegebenes Gutachten des Bundestags bekannt, das vor einer „unmittelbaren und potenziell unbestimmten Haftung“ der Bundesrepublik warnt.

Warum klagt Gauweiler erneut?

Der Antrag des CSU-Politikers ist eine Reaktion auf die Ankündigung des Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, vom vergangenen Donnerstag, Anleihen aus Krisenländern aufzukaufen – unter Auflagen zwar, aber ansonsten unbegrenzt. Für den Beschluss der EZB gab es Zustimmung, aber auch viel Kritik, weil mit dem Programm Geld- und Fiskalpolitik vermischt würden. Draghis Programm wendet sich an Länder, die Hilfen des ESM haben wollen. Bedingung ist, dass sich die Länder zum strikten Sparen verpflichten.

Wie wird der Antrag begründet?

Gauweiler trägt vor, mit ihrem Beschluss habe die EZB eine „völlig neue Situation für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit des ESM-Vertrages geschaffen“. Die Tatsachenbasis habe sich mit der Ankündigung grundlegend geändert. Das Gesamtrisiko für den Bundeshaushalt sei nun völlig unkalkulierbar und damit unverantwortbar geworden. Parlamentarische Kontroll- und Entscheidungsrechte würden überspielt. „Jetzt aber wird die EZB ohne parlamentarische Beteiligung das tun, was eigentlich Aufgabe des ESM ist – und dies in unbegrenztem Umfang“, heißt es.

Für die Verluste aus diesen Ankäufen müssten die Mitgliedstaaten und damit letztlich die Steuerzahler haften. Gauck dürfe bis zur einer Entscheidungs Karlsruhes in der Hauptsache solange nicht unterschreiben, wie der nach Ansicht Gauweilers verfassungswidrige EZB-Beschluss nicht aufgehoben und sichergestellt sei, dass er sich nicht wiederhole.

Wie verfährt das Gericht mit dem Antrag?

Die Karlsruher Richter wollen schnell entscheiden. Für Montagnachmittag hatten sie eine Beratung angesetzt. Ihr Beschluss soll am Dienstag veröffentlicht werden. So wollen die Richter vermeiden, die Urteilsverkündung am Mittwoch doch noch verschieben zu müssen. Dies hatte Gauweiler für den Fall beantragt, dass die Richter seine Angelegenheit nicht mehr rechtzeitig behandeln könnten. Zudem gibt es ohnehin noch einen Befangenheitsantrag gegen einen der Verfassungsrichter im zuständigen Zweiten Senat .

Welche Chancen hat Gauweiler?

Politisch gesehen rührt Gauweiler ein heißes Eisen an. Die EZB steht im Feuer, seit sie Anleihen aus Krisenländern kauft. Sie finanziere deren Defizite mit der Notenpresse, lautet der Vorwurf. Und anders als beim ESM gibt es dafür keinerlei demokratisches Mandat. Ob die Argumentation auch verfassungsrechtlich trägt, ist allerdings zweifelhaft. Die Problematik um die Rolle der EZB ist nicht neu. Die Verfassungsrichter müssten eine solche Situation für ihr Urteil bereits in Erwägung gezogen haben. Zudem kann man auch andersherum argumentieren: Indem die EZB interveniert, nimmt die Bedeutung des ESM als Gefährdung für die nationalen Haushalte eher ab.

Beeinflusst die Entscheidung der EZB die Ausgangslage für das Urteil?

Die Ankündigung der EZB hat die schon seit den ersten Anleihekäufen 2010 immer wieder diskutierte Frage aufgeworfen, ob die Notenbank damit ihr Mandat verletzt oder nicht. Für die Urteilsfindung des Bundesverfassungsgerichts dürfte dieses Problem aber keine Rolle spielen. Gleichwohl spielt es in die Thematik der Karlsruher Richter hinein, weil diese Anleihenkäufe sich der parlamentarischen Mitwirkung entziehen.

Bewegt sich die EZB bei den unbegrenzten Anleihekäufen im Rahmen ihres Mandats?

EZB-Präsident Mario Draghi hatte das am Donnerstag eindeutig bejaht. Tatsächlich formuliert Artikel 127 des „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken, Preisstabilität zu gewährleisten. Dazu darf die EZB, wie es im Artikel 18 ihrer Satzung heißt, „auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Gemeinschafts- oder Drittlandswährungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere ... kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen“ kann.

Überdies hat der EZB-Rat nach Artikel 20 das Recht, mit der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen über die Anwendung anderer Instrumente zu entscheiden, die er für zweckmäßig hält. Die EZB agiert laut Artikel 130 AEUV unabhängig und darf keine Weisungen entgegennehmen. Die Regierungen der Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet „nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen“.

Was sagen die Kritiker?

Kritiker des Vorgehens der EZB verweisen auf Artikel 123 des AEUV, wonach insbesondere der „unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln“ von Mitgliedstaaten durch die Europäische Zentralbank verboten sei. Wiederholt wird dies im Artikel 21 der EZB-Satzung. Die Notenbank ihrerseits will allerdings – wie bei bisherigen Anleihenkäufen auch – die Geschäfte nicht über die jeweiligen Regierungen, sondern über private Banken abwickeln. Sie sieht ihr Vorgehen nicht als „unmittelbaren Erwerb“ und daher als vertrags- und satzungskonform an.

Was sagen die Bundestagsgutachter zum ESM?

In einem aktuellen Gutachten geben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags einen „Sachstand“ zur gegenseitigen Haftung im Rahmen des provisorischen Rettungsschirms EFSF und des ESM. Dabei referieren sie im Wesentlichen Rechtsprechung des Verfassungsgerichts aus den letzten drei Jahren. Entsprechend allgemein sind die kritischen Sätze gehalten, etwa wenn betont wird, die Legitimation der Staatsgewalt dürfe nicht durch Fesselung des Haushaltsgesetzgebers entleert werden.

Soweit es den ESM konkret betrifft, wird der Regierungskurs eher gestärkt: Auch bei einem Zahlungsausfall von ESM-Vertragsländern bleibe die Haftung „in jedem Fall“ auf das genehmigte Stammkapital beschränkt, heißt es. Das sind im Fall Deutschlands rund 190 Milliarden Euro. Die Euro-Kläger dagegen gehen von einer Haftung bis zu 700 Milliarden Euro aus. Noch klarer wird eine ebenfalls am Montag veröffentlichte Studie des Berliner Europarechtlers Christian Calliess. Die ESM-Begleitgesetzgebung des Bundestags stelle sicher, dass die wesentlichen Entscheidungen in den Organen des ESM nicht ohne vorherige Zustimmung des Bundestages getroffen werden können, heißt es.

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