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Christian Lindner, Vorsitzender der FDP und Bundesfinanzminister, spricht im Opernhaus beim traditionellen Dreikönigstreffen der FDP.

© dpa/Bernd Weißbrod

„Festkleben war gestern, anpacken ist heute“: Die Liberalen sprechen sich selbst Mut zu

Parteichef Lindner muss die verunsicherte FDP zusammenhalten. Beim Dreikönigstreffen versuchte er, die Parteiseele zu beruhigen – doch Klimaaktivisten stören ihn dabei.

Keine zwei Minuten nachdem Christian Lindner, FDP-Parteichef und Bundesfinanzminister, seine Rede auf der Opernbühne in Stuttgart begonnen hat, beginnt es von der Empore zu singen: „We shall overcome“, übersetzt „Wir werden überwinden“.

Klimaaktivisten stören das traditionelle Dreikönigstreffen der FDP, sie entrollen ein Transparent, auf dem sie ein Tempolimit fordern. Es wirkt nicht, als würde Lindner die Aktion großartig stören.

Warum auch? Er ist an Protest gewöhnt, von Klimaaktivisten ohnehin. „Wir haben Zeit“, sagt er, als die Aktivisten eine weitere Strophe anstimmen, „aber um ehrlich zu sein, würde ich es vorziehen, ihr würdet euch festkleben.“

Sie sollten sich festkleben, mit reichlich Kleber, „dann könnt ihr niemand anderen behindern!“, ruft Lindner und freut sich über seine Schlagfertigkeit. Der Saal johlt, eine junge Liberale stellt sich unter die Empore und schreit: „Wir sind frei, und liberal, und stolz darauf!“

Es wirkt fast wie eine gelungene Einlage, hier die Klimaaktivisten, dort die FDP, alles wie früher. Kurz lenkt es davon ab, dass seit der vergangenen Bundestagswahl wenig beim Alten geblieben ist. Seit einem Jahr regiert die FDP das Land in der Ampel-Koalition mit Sozialdemokraten und Grünen. Sie tut sich schwer damit.

Bis vor Kurzem blickten viele Liberale vor allem auf die Grünen mit einer Mischung aus Verachtung und Häme, andersherum war es nicht besser. Jetzt müssen sie sich aufeinander einstellen, doch Teile der FDP fürchten zwischen den linkeren Partnern zerrieben zu werden.

Das vergangene Jahr lief nicht gut für die FDP, bei drei von vier Landtagswahlen haben sie Stimmen verloren, in Niedersachsen sind sie an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Dieses Jahr soll es besser werden.

Wieder wird in vier Bundesländern gewählt; in Berlin, Bremen, Bayern und Hessen. Das Dreikönigstreffen ist auch deswegen eine Veranstaltung der Selbstvergewisserung. „Diese Kundgebung ist Balsam für die liberale Seele“, sagt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, egal, ob sie in der Opposition oder der Regierung seien, „wir sind und bleiben eine Freiheitsbewegung“.

Opposition sei „nie das Ziel“ der FDP

Dass das Wort „Freiheit“ von der Initiative „Floskelwolke“ zur Floskel des Jahres 2022 gekürt wurde, ist für die FDP und vor allem für Lindner unverständlich. „Freiheit ist zumindest für uns keine Floskel“, sagt er, „Freiheit ist der grundlegende Wert des Zusammenlebens und im Übrigen auch ein Gebot unserer Verfassung.“

Es sei die junge Generation, die die FDP vor allem gewählt hätten. „Nicht, weil wir für illusionäre politische Konzepte eintreten würden“, sagt Lindner, „das ist eine junge Generation, die an die Zukunft glaubt und sie gestalten will, sie sind gewissermaßen das Gegenteil der pessimistischen letzten Generation“, sagt er. Der Saal jubelt wieder, wieder freut sich Lindner.

Aber Lindner ermahnt seine Partei auch: „Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass mit der Union zu regieren, einfacher gewesen wäre. Das wäre nur anders.“ Als sie die Jamaika-Sondierungen zwischen CDU/CSU, Grünen und FDP im Jahr 2017 platzen ließen, hätten sie gezeigt, dass sie bereit seien, in die Opposition zu gehen, „wenn wir unsere politisch-inhaltlichen Vorstellungen nicht hinreichend umsetzen können“.

„Aber Opposition ist für die Freien Demokraten nie das Ziel“, sagt Lindner. Es sei unbefriedigend, „nur die eigene Parteilyrik der Rechtschaffenheit vorzutragen, und dabei zu beobachten, wie andere das Land in eine Richtung führen“.

Offen für mögliche Fortsetzung der Ampel-Koalition

Lindner hat als Hauptgegner der FDP nicht die Grünen ausgemacht, sondern die Union. In der Partei gibt es manchmal Verwunderung darüber, mit welcher Härte die CDU der FDP in Landtagswahlkämpfen begegnet. Für die Liberalen kann das – wie in Niedersachsen – existenzbedrohend sein. Weil es für Schwarz-Gelb in absehbarer Zeit ohnehin nicht mehr reichen wird, bleiben als Alternativen nur Jamaika oder die Ampel.

Dass die Ampel fortgesetzt werden könnte, darüber spekuliert Lindner nun auch öffentlich. Die Chance bestünde, wenn die Koalition das Land „auf den wirtschaftlichen Erfolgspfad zurückführen“ würde, erklärte er vor Kurzem der „Stuttgarter Zeitung“. Für die Partei ist das emotional herausfordernd.

In Stuttgart ruft Lindner erst einmal eine „ökonomische Zeitenwende“ aus. Die Höhe der Schulden, die er im vergangenen Jahr habe aufnehmen müssen, sei ihm nicht geheuer, „dennoch war die Entscheidung richtig“. Nun aber müsse der Fokus auf der wirtschaftlichen Konsolidierung liegen, um Klimaschutz und Sozialstaat zu sichern.

„Festkleben war gestern, anpacken ist heute“, sagt Lindner, und fordert ein Wachstumspaket, verspricht eine Milliarde zusätzlich jährlich für die Bildung, ein Technologiefreiheitsgesetz. Er fordert, dass sich Arbeit lohnen müsse und er möchte eine steuerliche Entlastung. Was das ist? Balsam für die liberale Seele.

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