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Wofür steht die FDP?

© Michael Dalder/Reuters

FDP: "Wir dürfen keine Klugscheißer sein"

Gerade die Jüngeren in der FDP sind mit dem Profil der Partei unzufrieden. Seit Jahren wird bei den Liberalen die Forderung nach Neuorientierung und mehr Herzenswärme gestellt – und stets verhallt sie.

Berlin - Daniel Bahr hat es wieder getan. Mal wieder, um genau zu sein. Der junge FDP-Chef in Nordrhein-Westfalen hat in dieser Woche gefordert, dass seine Partei mehr Gefühl zeigen müsse. Man komme zu kalt rüber. Dieser Zwischenruf erinnert an den Neujahrsappell der jüngeren Führungskräfte der FDP, unter denen sich Daniel Bahr befand. Aber trotz dieser seit Jahren vorgetragenen Wünsche befinden sich Anspruch und Wirklichkeit in der FDP nicht erst seit dem Umfragetief in extremer Schieflage. Nirgendwo wird dies bei den Liberalen so gut sichtbar wie beim Thema Neuorientierung. Gerade hat der Vorsitzende Guido Westerwelle das Dreikönigstreffen genutzt, um Forderungen nach inhaltlicher oder personeller Neuorientierung zu ignorieren. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle entwertete sie gar als „Säusel-Liberalismus“.

Im Neujahrsappell „Jetzt erst recht“ von Generalsekretär Christian Lindner, Gesundheitsminister Philipp Rösler und dessen Staatssekretär Daniel Bahr wurde die „thematische Verengung, die Parteinahme für einzelne Wählergruppen, die exklusive und dauerhafte Bindung an nur einen Koalitionspartner, die Radikalisierung von Programm und Rhetorik“ kritisiert. Westerwelle selbst hatte einst noch als Generalsekretär auf dem Parteitag 2000 in Nürnberg versucht, die FDP menschlich klingen zu lassen: „Es muss auch eine Partei geben, die Nächstenliebe nicht als staatliche Dienstleistung ansieht, sondern … als Hinwendung des Menschen zum Menschen.“

Die Hinwendung von Guido Westerwelle zu den Menschen fand zunächst im Big-Brother-Container statt und endete mit dem nach der Wahl 2002 erworbenen Etikett „Spaßpartei“. Seitdem hagelte es Forderungen nach Veränderung in Inhalt, Haltung und Ton. 2004 begann der damals weitgehend unbekannte FDP-Politiker Philipp Rösler, sich mit einer Reihe von Thesenpapieren als Vordenker zu etablieren. Im Hinblick auf die Grünen schrieb Rösler: „Die FDP muss in den Großstädten wieder Häuserkampf machen. Straßenzug um Straßenzug muss zurückerobert werden – nicht mit Gewalt, sondern mit Gesichtern.“

Viele Wahlen in den Bundesländern aber gewannen die Liberalen mit dem Westerwelle-Dauerbrenner „Steuersenkung“. Trotzdem blieben die Jungen hartnäckig. Daniel Bahr sagte im Frühjahr 2005: „Wir müssen uns verbreitern und endlich raus aus den alten Schubladen Besserverdienerpartei, Spaßpartei. Wir müssen das Lebensgefühl der Leute ansprechen, die Grünen schaffen das.“ Gut vernetzt arbeiteten die Jungen an gemeinsamen Sprachbildern. Johannes Vogel, damals Chef der Jungliberalen, heute FDP-Arbeitsmarktexperte im Bundestag, sagte im November 2005: „Wir können auch sozial – das muss die Botschaft sein. Vor allem in den Großstädten brauchen wir eine Art Kiezoffensive.“ Auch Christian Lindner fand: „Wir müssen die FDP breiter aufstellen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten. (…) Wir sind keine Sekte.“

Nur Westerwelle blieb stur und bei anderen Themen stumm: Umwelt, Bildung, Bürgerrechte – er überließ sie den Fachleuten, aber er setzte nicht auf diese Themen. Und so wurde weiter gefordert. Rösler schrieb 2008: „Die liberale Agenda braucht wieder eine übergreifende Vision, wenn sie gehört werden will. Und sie braucht wieder eine Verankerung in den Milieus der Bürgergesellschaft. Nicht das laute Darstellen der FDP in der Öffentlichkeit, sondern das Wirken mit Kompetenz und Substanz muss wieder zu den Grundeigenschaften liberaler Politik gehören. Nur so kann man die für das liberale Lebensgefühl so wichtige authentische Herzenswärme wieder in die Politik zurückbringen. (…) Es bedarf (…) des Zauberwortes Bescheidenheit.“ Immer galt der Subtext Westerwelle, nie erzielte er Wirkung.

Otto Fricke, angesehener Finanzexperte der FDP-Fraktion, sagte im Januar 2008 am Rande des Dreikönigstreffens: „Politik ist Vernunft, die ich aber emotional begründen muss. Wir dürfen keine Klugscheißer sein, auch wenn wir hundertmal recht haben. Wir müssen mitfühlender argumentieren.“ Im Januar 2009 gaben Rösler und Lindner das Buch „Freiheit. Gefühlt, gedacht, gelebt“ heraus. Darin führen sie im Vorwort aus, was sie gerade erneut forderten. So heißt es: „Wir glauben nicht daran, dass eine Partei nur wegen sinnvoller Maßnahmevorschläge gewählt wird. Sie erhält Zustimmung, wenn sie mit einer positiven politischen Erzählung verbunden ist, die das Lebensgefühl trifft. (…) Eine solche Tonalität wollen wir (…)“. Im März 2009 findet Johannes Vogel: „Wir müssen jetzt die Umfragewerte nutzen, um den Menschen zu sagen, dass wir mehr sind als nur eine marktwirtschaftlich orientierte Partei. Um neue Wähler zu erschließen, brauchen wir einen integrativen Ton.“

Guido Westerwelle hat dieser Tage betont, was er von solchen Vorschlägen hält. Er könne „öffentliche Ratschläge, die FDP müsse sich völlig neu erfinden und der Vorsitzende gleich mit, nicht nachvollziehen“. Anspruch und Wirklichkeit bleiben in der FDP vorerst Feinde.

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