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Cem Özdemir kritisiert die türkische Regierung scharf.

© Britta Pedersen/dpa

Update

Festnahmen von Oppositionspolitikern in Türkei: Cem Özdemir fordert gemeinsames Vorgehen gegen Erdogan

Mindestens elf Abgeordnete der prokurdischen HDP wurden bei nächtlichen Razzien festgenommen. Außenminister Steinmeier bestellt den türkischen Geschäftsträger ein.

Bei nächtlichen Razzien hat die türkische Polizei mindestens elf Abgeordnete der prokurdischen HDP festgenommen, darunter die beiden Vorsitzenden der Oppositionspartei. Die Staatsanwaltschaft habe die Festnahme von insgesamt 15 HDP-Abgeordneten angeordnet, die Vorladungen nicht gefolgt seien, teilte die Regierung mit.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bestellte daraufhin den türkischen Geschäftsträger ein. Das Gespräch solle noch am Freitag stattfinden, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. "Die nächtlichen Festnahmen von Politikern und Abgeordneten der kurdischen Partei HDP sind aus Sicht des Außenministers eine weitere drastische Verschärfung der Lage", hieß es zur Begründung.

Die HDP sprach am Freitag von „politischer Lynchjustiz“ und rief zu Protesten auf. Nach den Festnahmen kam es in der Kurdenmetropole Diyarbakir zu einem tödlichen Anschlag. Die Regierung setzte unterdessen ihre Angriffe auf Deutschland fort.

Auf Betreiben von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan war im Mai die Immunität zahlreicher Abgeordneter aufgehoben worden. Die auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte Maßnahme richtete sich vor allem gegen die HDP: 55 der 59 HDP-Abgeordneten verloren meist wegen Terrorvorwürfen ihre Immunität. Sie weigerten sich aber, gerichtlichen Vorladungen Folge zu leisten. Erdogan beschuldigt die zweigrößte Oppositionspartei im Parlament, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.

Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag bei einem Parteitag der HDP in Istanbul.
Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag bei einem Parteitag der HDP in Istanbul.

© REUTERS/Murad Sezer

Justizminister Bekir Bozdag sagte, die Festnahmen von Abgeordneten seien rechtskonform gewesen. Weder Kanzlerin Merkel noch EU-Kommissare hätten das Recht, der Türkei „Lehren zu erteilen“, betonte er. „Sie müssen sehen und verstehen, dass die türkische Justiz genauso neutral und unabhängig ist wie die deutsche.“ Bozdag griff Deutschland scharf an. „Rechtsstaat und Freiheiten gibt es nur für Deutsche“, sagte Bozdag am Freitag in Ankara. „Wenn Sie ein Türke in Deutschland sind, haben Sie überhaupt keine Rechte.“ Rechte für Türken gebe es in der Bundesrepublik anscheinend „nur auf dem Papier“.

Erdogan hatte Deutschland am Donnerstag vorgeworfen, Terroristen Unterschlupf zu bieten, statt „rassistische Übergriffe gegen Türken“ zu verhindern. „Man wird sich zeitlebens an Euch erinnern, weil Ihr den Terror unterstützt habt“, sagte er an die Adresse der Deutschen.  

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte dazu: „Ich kann die Äußerungen Erdogans zur Sicherheitslage Deutschlands überhaupt nicht nachvollziehen.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte schon am Mittwoch Kritik an der neuerlichen Festnahmen von Journalisten in der Türkei wegen angeblicher Terror-Unterstützung geäußert.

Ein ganzer Straßenabschnitt ist nach der Explosion in Diyarbakir in der Türkei zerstört.
Ein ganzer Straßenabschnitt ist nach der Explosion in Diyarbakir in der Türkei zerstört.

© dpa

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich ungewohnt scharf zu den Entwicklungen in der Türkei geäußert. „Was ich derzeit in der Türkei beobachte, bestürzt mich“, sagte er dem „Spiegel“. Wenn Ankara den Putschversuch nutze, „um etwa die Pressefreiheit faktisch auszuhebeln, wenn es die Justiz instrumentalisiert und der Präsident die Wiedereinführung der Todesstrafe betreibt“, dann würden zentrale Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaates außer Kraft gesetzt. Er frage sich: „Ist diese Politik die endgültige Abkehr vom Weg in Richtung Europa?“ Nach Ansicht des deutschen Staatsoberhaupts bedeutet sie in jedem Fall „eine Eskalation, die die Europäer nicht unbeantwortet lassen können“.

EU-Außenbeauftragte "äußerst besorgt"

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat die Festnahmen in der Türkei scharf kritisiert. Sie sei "äußerst besorgt", schrieb Mogherini im Kurzmitteilungsdienst Twitter am Freitag. Sie stehe in "Kontakt mit den Behörden" und habe ein "Treffen der EU-Botschafter in Ankara" einberufen.

Grünen-Chef Cem Özdemir hat die deutschen Parteien zum gemeinsamen Handeln aufgefordert. „Ich schlage vor, dass alle demokratischen Parteien, die im Bundestag vertreten sind, gemeinsam agieren“, sagte er am Freitag in Berlin. Der Protest gegen das Vorgehen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan bekomme mehr Gewicht, wenn die Fraktionen von CDU/CSU bis zur Linkspartei eine gemeinsame Stimme hätten. Das Drangsalieren von Medien und Opposition in der Türkei sei „eine Art Putsch“.

Özdemir sprach sich erneut gegen den formellen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus, da das Erdogan in die Karten spielen würde.  Mit Blick auf Probleme auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik in der Türkei dürfe es nicht „business as usual“ geben, sagte der Grünen-Vorsitzende. „Wenn es nicht sofort zu einer Änderung kommt, dann können wir unsere Soldaten dort nicht belassen.“

Türkische Sicherheitskräfte haben die beiden Vorsitzenden der prokurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, im Zuge von Terrorermittlungen festgenommen. Das berichtete der staatliche türkische Sender TRT in der Nacht zum Freitag. Die beiden gehören zu zahlreichen HDP-Abgeordneten im türkischen Parlament, deren Immunität im vergangenen Mai auf Betreiben des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan aufgehoben worden war.

Polizeirazzia in der HDP-Zentrale

Demirtas wurden den Berichten zufolge in Diyarbakir festgenommen, Yüksekdag in der Hauptstadt Ankara. Den beiden wird von der Staatsanwaltschaft die Verbreitung terroristischer Propaganda vorgeworfen. Sie seien festgenommen worden, nachdem sie sich geweigert hätten, zur Vernehmung bei den Ermittlern zu erscheinen, teilten die Behörden in der Nacht mit.

In Hamburg, Berlin und Hannover versammelten sich in der Nacht zum Freitag spontan jeweils rund 100 Kurden in der Stadtmitte zu Protestkundgebungen. Nach Angaben der Polizei waren die Menschen aufgebracht, verhielten sich aber friedlich.

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Der Sprecher der kurdischen Partei DBP, dem kommunalen Ableger der HDP, teilte mit, neben Demirtas und Yüksekdag seien sieben weitere HDP-Abgeordnete festgenommen worden. Darunter sei Ferhat Encu, dem am Donnerstag die Ausreise aus der Türkei verweigert worden war. Die Staatsagentur Anadolu veröffentlichte eine Erklärung des Innenministeriums, nach der insgesamt elf HDP-Vertreter festgenommen worden seien, gegen vier weitere Angeordnete gebe es Haftbefehle.

„Die Polizeibeamten stehen vor meinem Haus in Diyarbakir mit dem Beschluss, mich gewaltsam in Gewahrsam zu nehmen“, twitterte Demirtas kurz vor seiner Festnahme. In den sozialen Medien wurden trotz erschwerten Zugangs Livevideos von den Festnahmen und anschließenden Hausdurchsuchungen gezeigt. Die HDP verbreitete über den Dienst Periscope zudem ein Video, dass eine Polizeirazzia in der HDP-Zentrale in Diyarbakir zeigen soll. Die Szenen erinnerten an die Festnahme kurdischer Abgeordneter von 1994, als auch Leyla Zana abgeführt wurde, die 15 Jahre hinter Gittern blieb.

Die Politiker, die zu den Machenschaften Erdogans schweigen, sind dieselben Politiker, die alljährlich bei diversen Gedenkveranstaltungen immer wieder schwafeln, dass es so etwas wie im 3. Reich nie wieder vorkommen dürfe. […] Ganz offensichtlich verstehen sie die Bedeutung ihrer eigenen Reden nicht oder es ist ihnen schlicht egal.

schreibt NutzerIn sar

Erdogan hält die HDP für das Sprachrohr der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Parlament. Im vergangenen Jahr war die HDP als drittstärkste Partei ins türkische Parlament gewählt worden. In den vergangenen Wochen hatte die türkische Regierung bereits in mehr als zwei Dutzend kurdischen Gemeinden die Bürgermeister durch Zwangsverwalter ersetzt.

Die türkischen Behörden sind zuletzt massive gegen kurdische Politiker im Südosten des Landes vorgegangen. Anfang der Woche wurden bei Razzien in der Provinz Mardin 25 Politiker der kurdischen Partei DBP, die ein kommunaler Ableger der HDP ist, festgenommen. Vor einer Woche waren die DBP-Bürgermeister von Diyarbakir, Gültan Kisanak und Firat Anli, unter Terrorvorwürfen festgenommen worden. Gegen die beiden wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Auch gegen die Presse gehen die Behörden rigoros vor. Zuletzt wurde der Chefredakteur und mehrere Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" festgenommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Festnahmen am Mittwoch kritisiert. Erdogan warf Deutschland im Gegenzug die Unterstützung von Terrorismus vor.

Erst im September hatte die türkische Regierung 26 Bürgermeister im Südosten des Landes wegen mutmaßlicher Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK abgesetzt und deren Verwaltungen unter Zwangsaufsicht gestellt. (Tsp/dpa/AFP)

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