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Flüchtlingstragödien vor Lampedusa: „Wir machen das Meer zum Friedhof“

Nach dem erneuten Flüchtlingsunglück vor Lampedusa fordern Politiker und Kirchen ein Umdenken.

Nach der zweiten Flüchtlingskatastrophe vor der italienischen Insel Lampedusa innerhalb von zehn Tagen dringen Politiker und Bischöfe auf eine andere EU-Flüchtlingspolitik. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner verlangte von ihrer Partei, sich auf das Gebot christlicher Nächstenliebe zu besinnen. „Wir tragen Verantwortung, auch wenn wir keine Küste haben, an der Flüchtlinge stranden“, sagte sie dem Tagesspiegel am Sonntag. Mit der Bekämpfung von Schlepperbanden sei es nicht getan, betonte sie und forderte die Einberufung eines europäischen Flüchtlingskongresses.

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, nannte die Zustände vor und auf der italienischen Insel „eine Schande für Europa“. Die unkontrollierten Flüchtlingsströme müssten durch eine gemeinsame Einwanderungspolitik der EU ersetzt werden, erklärte er und warf der Bundesregierung vor, dies bisher verhindert zu haben.

Auch die katholische Kirche kritisierte die europäische Flüchtlingspolitik. Hinter der Tragödie von Lampedusa stecke „der Gedanke, möglichst zu verhindern, dass jemand europäischen Boden betritt“, sagte der Münchner Erzbischof Reinhard Marx. Selbst wenn der Kontinent nicht jeden aufnehmen könne, dürfe man niemanden an den Grenzen zu Tode kommen lassen. „Wir dürfen Europa nicht als Festung ausbauen, in die keiner mehr hineindarf“, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, der „Passauer Neuen Presse“.

Zahl der Opfer auf 34 gestiegen

Nach dem jüngsten Schiffsunglück vor Lampedusa ist die Zahl der Opfer auf 34 gestiegen. Das berichtete die Nachrichtenagentur ANSA unter Berufung auf italienische Behörden. Demnach konnten insgesamt 206 Menschen gerettet werden. Das Flüchtlingsboot war am Freitag zwischen Malta und Lampedusa gekentert. 22 Leichen wurden nach Lampedusa gebracht, vier weitere Tote wurden nach Malta überführt. Zu dem Unglück sei es gekommen, als Passagiere versucht hätten, eine maltesische Patrouille auf ihr Schiff aufmerksam zu machen.

Erst vor einer Woche hatte sich vor Lampedusa eine Bootstragödie mit hunderten Toten ereignet. Bisher wurden 359 Leichen geborgen, 155 Flüchtlinge hatten den Schiffbruch überlebt. Nach ihren Angaben sollen aber 545 Menschen an Bord gewesen sein.

Gleichwohl machen sich weiterhin Bootsflüchtlinge von Nordafrika aus auf den Weg nach Europa. Am Samstag rettete die italienische Küstenwache 235 Flüchtlinge von zwei Booten, die rund 120 Kilometer südlich der Mittelmeerinsel in Seenot geraten waren. Die Hilfsorganisation Pro Asyl machte die Flüchtlingspolitik der EU für die Tragödien verantwortlich. Die Abschottung der Grenzen Europas im Frühjahr habe „überhaupt erst dazu geführt, dass Flüchtlinge auf den gefährlichen Seeweg ausweichen und dort zu Tode kommen“, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt dieser Zeitung. Weitere Abschottung führe „nur dazu, dass die Wege länger, gefährlicher und teurer werden“. Wer Schleuserbanden bekämpfen wolle, müsse ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen.

Malta rief die EU zum Handeln auf. Das Land fühle sich „im Stich gelassen“, sagte Ministerpräsident Joseph Muscat dem Sender BBC. Man werde auf eine Änderung der Einwanderungsbestimmungen für Nahost-Länder drängen. Er wisse nicht, wie viele Menschen noch sterben müssten, bevor etwas geschehe. „Wie die Dinge im Moment stehen, machen wir unser eigenes Mittelmeer zum Friedhof.“

In Berlin wurden drei der 28 hungerstreikenden Flüchtlinge am Brandenburger Tor aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands ins Krankenhaus gebracht. Dies teilte die Vereinigung „Asyl Strike Berlin“ mit. (mit dpa/rtr/epd)

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