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Eigentlich sollten der Regierungssprecher, Steffen Seibert, und seine Stellvertreterin Christiane Wirtz die Presse informieren. Doch ihr Auftrag lautet oft genug auch, genau das zu unterlassen.

© dpa

Pressefreiheit in Deutschland: Freiheit, die wir meinen

In Deutschland ist die Pressefreiheit im Grundgesetz garantiert. Allerdings gibt es auch Tendenzen, die sie auszuhöhlen drohen – vier Thesen.

Pressefreiheit ist ohne Freiheit von Überwachung nicht denkbar

Jede Form von staatlicher Überwachung höhlt die Pressefreiheit aus. Dazu muss man in Deutschland nicht erst den NSA- Skandal bemühen. Wenn die schwarz-rote Koalition wirklich die Vorratsdatenspeicherung wieder einführt, dürfen ohne konkreten Verdacht die Internet- und Telefonverbindungsdaten aller Bürger gespeichert werden. Zwar will die Bundesregierung das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten, nachdem der Generalanwalt in der betreffenden EU-Richtlinie Verstöße gegen Grundrechte feststellte. Doch im Prinzip steht die neue Bundesregierung zu diesem Projekt. Für den Journalismus hätte die Vorratsdatenspeicherung dramatische Folgen. Welcher Informant würde sich noch einem Journalisten anvertrauen, wenn jeder Telefonanruf, jede E-Mail zu ihm zurückverfolgt werden kann? Das vertrauliche Gespräch wäre nur noch unter vier Augen möglich. Eigentlich müssten sich über diese Pläne viel mehr Journalisten empören. Selbst wenn nur eine Minderheit von ihnen investigativ arbeitet, wäre grundsätzlich fast jeder betroffen: Denn welcher Journalist hat nicht einmal einen vertraulichen Bericht aus einer Behörde per Mail erhalten oder mit jemandem gesprochen, der aus guten Gründen nicht namentlich genannt werden will? Wer die Vorratsdatenspeicherung einführt, schadet der Pressefreiheit.

Der Abschied vom Amtsgeheimnis fällt Deutschland besonders schwer

Seit 2006 gibt es auch in Deutschland auf Bundesebene  ein Informationsfreiheitsgesetz, mit dem jeder Bürger Einsicht in amtliche Dokumente verlangen kann. Allerdings kennt das deutsche Gesetz viel mehr Ausnahmen als ähnliche Gesetze in anderen Staaten. So kann die Akteneinsicht verweigert werden, wenn das Bekanntwerden der Informationen „nachteilige Auswirkungen“ auf die internationalen Beziehungen haben kann oder „Beratungen von Behörden beeinträchtigt“ werden. Wer diese Hürde geschafft hat, bekommt die gewünschten Informationen noch längst nicht. Monatelange Bearbeitungsfristen sind keine Seltenheit, die Gebühren liegen schnell bei mehreren hundert Euro. Am Ende ist in den Akten auch noch alles geschwärzt, was nicht direkt zum Thema gehört.

Die Behördenauskunft darf nicht wieder zum Gnadenakt werden

Anders als Unternehmen müssen Behörden Journalisten auf Anfrage Auskunft erteilen. Das ist kein Gnadenakt, sie sind dazu nach den Landespressegesetzen verpflichtet. In der Praxis tun manche Pressestellen jedoch einiges, um missliebige Fragesteller auszubremsen, wenn die Anfrage den Eindruck erweckt, die Berichterstattung könne für das jeweilige Haus nicht günstig ausgehen. Antworten werden erst mit tagelanger Verspätung erteilt und dann so allgemein formuliert, dass sie praktisch nichts mehr aussagen. All das ließe sich als subjektiver Eindruck verärgerter Journalisten abtun, wäre da nicht eine mehr als befremdliche Initiative der alten schwarz-gelben Bundesregierung gewesen: Vor dem Bundesverwaltungsgericht plädierte der Vertreter der Regierung im vergangenen Jahr dafür, dass der Auskunftsanspruch aus den Landespressegesetzen nicht – wie bis dahin gängige Praxis – auch für Bundesbehörden gelten sollte. Das Gericht folgte diesem Vorstoß aus dem Bundesinnenministerium, das daraufhin nichts unternahm, die Lücke zu schließen. So können sich Journalisten derzeit gegenüber Bundesbehörden nicht auf das Berliner Pressegesetz berufen. Faktisch ist das eine Schwächung der Pressefreiheit. Im Koalitionsvertrag ist von einer Neuregelung nicht die Rede.

Journalisten nutzen ihre Freiheit zu wenig

Der Alltag in den meisten deutschen Redaktionen ist von zeitlichem und ökonomischem Druck geprägt. Langwierige Recherchen und Anfragen, auf deren Antwort man tage- und wochenlang warten muss, sind da nur schwer möglich. Das nutzt vor allem den Pressesprechern von Politikern, die schnell ein Statement in einem Medium unterbringen wollen, und PR-Leuten von Unternehmen, die eine Botschaft verkaufen möchten, ohne dass jemand allzu genau hinsieht. In Deutschland wird zudem ein Interview vor der Veröffentlichung dem Gesprächspartner zum Absegnen vorgelegt – manchmal werden dabei nicht allein einzelne Formulierungen, sondern Inhalte verändert. Journalisten aus Ländern, in denen es keine Pressefreiheit gibt, ist nicht verständlich zu machen, warum ihre deutschen Kollegen einen kleinen Teil ihrer kostbaren Freiheit an der Tür zum Ministerbüro abgeben.

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